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Als hätte Jule gerochen, dass wir uns dem Haus nährten, stand sie plötzlich hinter mir, als ich gerade die Tür schließen wollte.

,,Na ihr!"

Freute sie sich und drängte sich an Michael vorbei zu mir. Freudig umarmten sie mich und erkundigte  sich direkt nach den letzten Tagen. Irgendwie war mir das ganze unangenehm und ich hätte Michael gern auf dem Hinweg schon gesagt, dass ich doch lieber umgedreht wäre.

Während Jule mich zum Sofa schob, schaute ich zu Michael und Helen. Er hatte sie auf dem Arm und flüsterte ihr grinsend etwas zu.

,,Wehe du wirst später so eine Schnattertante."

Nun musste ich lachen. Helen schaute mich aus großen Augen an, als wäre sie über seine Worte total erschrocken.

,,Ich würde ihr eher raten nicht so ein Grantelbart wie du zu werden."

Mischte Jule sich zwinkernd ein.

,,Papa da."

Deutete Helen auf Michael. Ich wusste, dass mich das wohl immer irgendwie verletzen würde. Aber gerade tat es ganz besonders weh, auch wenn Michael bemüht war ihr diesen Namen auszureden und sie stetig verbesserte. Hier wieder in meinem Wohnzimmer zu sitzen.. das hier fühlte sich ohne Paul nicht mehr nach zuhause an. Ich war gern mit Michael zusammen und bei ihm, aber es war einfach kein Vergleich.

,,Nun erzähl! Wie wars ?"

Zum Glück war Michael anwesend und Jule verkniff sich grinsend die Frage nach schmutzigen Details. Aber die Gelegenheit würde sie sicher noch nutzen, wenn er nicht dabei war.

,,Kommt doch zu uns! Was steht ihr da wie bestellt und nicht abgeholt ?"

Fragte Jule und klopfte neben sich aufs Polster.

,,Ich will euch nicht bei euren wichtigen Gesprächen stören."

Grinste Michael, lief aber doch zu uns rüber und setzte sich dazu. Ich knibbelte an der Decke, die auf der Sofalehne lag und lächelte ihn etwas unsicher an.
Ein fragender Blick war seine Antwort, aber ich hatte keine parat. Alles hier fühlte sich gerade einfach falsch an. Mir fiel es schwer Jule von den letzten Tagen zu erzählen, ohne das Gefühl zu haben, dass ich Paul betrogen hatte. Absurd, wenn man bedachte wie viele Wochen das mit Michael nun schon lief. Selten klopfte da irgendetwas von Gewissen an. Dem Gespräch von Jule schon längst nicht mehr gefolgt, löste sich ein unangenehmes Rauschen in mir. Erinnerungen befielen mich wie aggressive und gnadenlose Hyänen.

,,Ich werd mal eben nach der Waschmaschine schauen und auch oben einmal durchlüften. Bin gleich wieder da."

Unterbrach ich das Gespräch zwischen uns dreien. Michaels Gesichtszüge schlugen direkt um in Besorgnis und er wollte schon aufstehen, als er mir Hilfe anbat, doch ich schüttelte den Kopf und striff im vorbeigehen noch seine Schulter. Nur einen kurzen Moment Ruhe, Jules geschnatter ausgeblendet und damit hoffentlich auch das Rauschen der Erinnerungen, die sich aufspannen wollten wie ein klebriges Netz.

♥︎

,,Lena!?"

Brüllte es nach oben und plötzlich stand Michael im Türrahmen. Sofort sickerte ihm die Farbe aus seinem zu vor hochrotem Kopf. Jule machte direkt kehrt, als sie aufgebracht mit Helen hinterher gesprintet war. Mein kleines Mädchen sollte mich so nicht sehen.

In einem Meer aus Scherben und Holzsplittern fand ich mich wieder. Ich wusste nicht wie mir geschah, was war passiert ? Ich hatte die Bilder und Rahmen zerrissen und geschmissen, die seit einiger Zeit eingestaubt in der Schublade der mittlerweile demolierten Komode lagen und einfach vergessen wurden. Die Vase und die kleine Lampe waren zu Boden geworfen. Das abgestandene Blumenwasser war an die Tapete gespritzt. Geistesgegenwärtig riss Michael den Stecker aus der Steckdose, als das Wasser über den Boden die zerschmetterte Birnenfassung der Lampe erreichte. Es funkte noch kurz, dann knallte zeitgleich die Sicherung aus dem Kasten.

Zwei Leben (Aktuell PAUSIERT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt