61

130 14 93
                                    

Zu meiner Überraschung schien die Tablette und der Schlafmangel von heute Nacht genau die richtige Mischung zu sein.

Die erste halbe Stunde wirkte er noch ziemlich angespannt und immer wieder suchte er Sicherheit, indem er seine Hand auf meinem Bein ablegte. Dann lockerte sich seine Stimmung und ich wartete eigentlich nur darauf, dass er genau wie Helen, gleich die Augen zu machen würde.

,,Können wir Musik anmachen ?"

,,Natürlich. Hier, such dir was bei Youtube raus und verbinde dich mit Bluetooth."

Drückte ich ihm mein Handy in die Hand.

Kurze Zeit später spielte das Radio einen Song von U2.
Es dauerte auch nicht lange, bis er aus voller Kehle mit sang und ich stellte mit Erstaunen fest, dass er eine unfassbare Stimme hatte, die ich viel zu lange nicht zuhören bekam. Auf der Bühne war das nochmal was ganz anderes. Hier in meinem kleinen Auto kam jeder Ton, die Wärme und Harmonie seines Gesangs richtig zum Ausdruck und Gänsehaut packte mich.

,,Du könntest mir öfter mal was singen."

Grinste ich ihm zu und legte meine Hand auf sein Bein.

,,Du mir auch."

,,Du weißt doch gar nicht, ob ich singen kann. Vielleicht kling ich wie eine Kreissäge."

Lachte ich und setzte den Blinker für die Abfahrt. Das Tempo gedrosselt, fuhr ich die lange Kurve bis zur Kreuzung und hielt an.

,,Selbst wenn, die schönsten Töne gibst du von dir, wenn ich dich verwöhnen darf."

Ich pustete Luft aus meinen strammen Lippen und konnte ein Lachen kaum unterdrücken. Als ich zu ihm rüber schaute, staunte ich kurz über seine riesigen Pupillen.

,,Ach du Heiliger, geht's dir gut ?"

,,Sehr! Ich bin total entspannt, ein bisschen schwindelig aber das ist eher wie ein Kitzeln im Kopf."

,,Ein Kitzeln im Kopf ?"

Lachte ich verwundert. Die Tablette schien ihren Job heute sehr ernst zu nehmen, doch entgegen der sedativen Wirkung schienen sie ihn im Augenblick irgendwie zu pushen.

,,Willst du eine Pause machen ? Dir mal die Beine vertreten oder was trinken ? Du siehst ein bisschen so aus, als hätte man dir eine überdosis Koks verabreicht. Wenn die uns anhalten nehmen die das Auto auseinander und du machst einen Drogentest."

Scherzte ich amüsiert. Michael wank ab.

,,Ich geb dann einfach zu, dass ich ein Junkie bin und süchtig nach dir!"

Herüber gebeugt, hauchte er mir einen Kuss auf die Wange. Ein bisschen drollig war das schon, dass er völlig zugedröhnt war.

,,Du bist süß."

,,Mhm.. Sollen wir nicht wieder umdrehen ?"

,,Und dann ?"

Kicherte ich gedrückt und fuhr weiter. Noch ungefähr 100 Kilometer und der Alltag rückte wieder näher. Natürlich verstand ich den Gedanken hinter seinen Worten, ohne jegliche Erklärung. Aber was sollten wir tun ? Uns auf einer einsamen Insel absetzen und nie wieder Kontakt zur Außenwelt aufnehmen ?
In diesem Moment ein verlockender Gedanke, denn je näher wir dem Ziel kamen, desto stärker wurde das beklemmende Gefühl in meiner Brust.

Zwei Leben (Aktuell PAUSIERT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt