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,,Ist okay." Sagte Michael irgendwann mit sanfter Stimme. Die Situation war mir so unangenehm, dass ich sofort aufgesprungen war, um meine Sachen zu packen.

Doch entgegen meiner voreingenommenden Erwartung reagierte Michael weder sauer noch eingeschnappt. Er griff stattdessen zu Helens Trinkflasche, stellte sie in die Halterung vom Kinderwagen und schlenderte schließlich mit etwas mehr Abstand neben mir her. Es war ihm scheinbar gar nicht in den Sinn gekommen, einfach zu gehen - Die Flucht zu ergreifen wenns unschön wurde. In dem Punkt musste ich wieder einmal feststellen, dass es eindeutige Unterschiede zu Paul gab.

,,Ist es das ?" Fragte ich ihn kaum hörbar und ich spürte, wie meine Kehle sich zusammenzog. Ich holte Luft.

,,Es fühlt sich nämlich absolut nicht okay an."
Richtete ich meinen Blick starr zu boden, blinzelte die Tränen weg, die sich doch heimlich gesammelt hatten und nun zu meiner Nasespitze liefen und von dort in den Sand tropften. Mit dem Handrücken versuchte ich sie unbemerkt weg zu wischen, dann richtete ich meinen Blick vorsichtig zu Michael.

Seine Augen fesselten mich, sein Gesicht regte sich nicht ein bisschen, als er mir die Hand entgegen streckte, mich einlud.

Ich schaute auf seine Hände, nicht breit genug, keine Schrunden, keine Narben. Nicht Paul. Dann presste ich die Kiefer aufeinander, griff nach ihr, um mich von ihm behutsam in den Arm ziehen zu lassen.

Ich inhalierte sofort seinen Duft, wieder diese holzige Note. Patchouli. Erdend und.. aphrodisierend.

Nicht Paul

Seine Hände auf meinem Rücken ruhend.
,,Es wird irgendwann besser." Murmelte er und ich spürte seinen Atem an meinem Ohr. Nicht wissend, ob ich ihn anziehend oder abstoßend fand.

Michael

Und dann löste sich in meinem Inneren eine Lawine aus angestauten Emotionen. Wie wohltuend eine aufrichtige Umarmung sein konnte.

,,Lass alles raus.. du bist wirklich sehr stark, weißt du das ?"

Hörte ich ihn leise sprechen. Michael legte seine Fürsorge wie Balsam auf meine Wunden, versuchte die Blutung zu stillen, ohne zu ahnen dass er selbst oft gleichzeitig das Pflaster war, das ohne Rücksicht wieder abgerissen wurde. Er war Fluch und Segen zugleich.
Selbst wenn ich mir eingestehen würde, dass er die meiste Zeit wie ein Fenster war, durch das ich in mein altes Leben schaute, so spürte ich dennoch eine Art Verbundenheit.

Blut ist eben dicker als Wasser.

Das wirds sein.

,,Geht schon wieder." Löste ich mich von ihm und griff zurück zum Kinderwagen, um die Bremse mit dem Fuß zu lösen. Einige Minuten liefen wir schließlich weiter schweigend nebeneinander her, bis ich zu dem Entschluss kam, dass meine Stimme wieder stark genug sei,  um der unangenehmen Stille ein Ende zu setzen.

,,Sollen wir zum Supermarkt und später gemeinsam Kochen ?"

Wollte ich schnell wieder Normalität rein bringen. Michael schaute mich schief an und ich konnte seinem Gesichtsausdruck entnehmen, dass er gern noch etwas zur Situation gesagt hätte. Er verkniff es sich aber schließlich und ein Lächeln legte sich auf seine Lippen.

Zwei Leben (Aktuell PAUSIERT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt