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--- Samstag, 21.03.2020----

Ich war so weit von mir entfernt. So weit vom Leben und auch viel zu weit von der Erlösung allen Schmerzes. Zu gern hätte ich mir Alkohol, Literweise, in die Birne gezimmert. Schlaftabletten, irgendetwas, das meine Sinne und die unsagbar, brennenden Schreie meiner Seele betäubte. Ich vermisste Paul und ich hasste ihn. Ich hasste ihn so sehr, dass ich mit ihm schimpfte, ihn anschrie, obwohl er nicht da war.
Was fiel ihm ein zu sterben, ich hätte ihn viel lieber eigenhändig umgebracht.

Nur noch einmal seine weichen Lippen auf meinen spüren, sein perlendes Lachen und das brummen, dass aus seiner Kehle drang wenn er müde war. Nur damit ich zu packen und sie zudrücken konnte, bis er schlaff und bleich unter mir zusammen sinken würde. Seine starken und doch sanften Hände, wie sie mich trugen, streichelten, berührten, ich vermisste ihn. Er gehörte ans Kreuz genagelt für all seine Sünden. Seine Stimme, die sagte Ich liebe dich Honey - Wie süßer Wein perlte sie von seinen Lippen, wenn er nach einer langen Geschäftsreise erzählte, wie sehr er mich vermisste. Ich würde sie noch einmal hören wollen, nur damit sie unter meinen Händen erstickte und nie wieder aufatmen würde. Diese gespaltenen Gefühle würden mich selbst noch ins Grab bringen.

Ich blickte auf Helen, die fröhlich plärrend unter ihrem Spielebogen lag und sich die Welt kunterbunt ausmalte.
,,Bist du dir sicher, dass du gehen willst ?" Jule stand hinter mir im Türrahmen und blickte mich durch den Spiegel ihres Kleiderschranks an.
Ich zögerte nicht, nickte sofort entschlossen und schaute mich noch einmal an. Diese schwarzen Klamotten ließen meine Blässe noch mehr hervorstechen. In einer Leichenhalle würde ich gar nicht mehr auffallen. Meine Augen, dunkel umrandet und schrecklich gerötet von den vielen salzigen Tränen. Jule trat hinter mich und fasste mir an die Schultern.
,,Ich soll dich auch sicher nicht begleiten ?" Kaum merklich schüttelte ich den Kopf. Sanft striff sie mir durchs Haar, trennte Strähnen ab und begann sie behutsam zu flechten, bis sie in die Spitze eines ihrer Haargummis knotete, dass sie immer um ihre schmalen Handgelenke trug.
,,Du musst an Helen denken, reiß Dich zusammen." Legte sie den Zopf über meine Schulter und presste die Lippen aufeinander. Jule sah im Gegensatz zu mir aus wie das blühende Leben. Die breite Nase trug einen kleinen, glänzenden Stein, der schmale Mund war mit pinkem Lippenstift bemalt.  Alles an ihr wirkte manchmal eher unproportional. Ihre zierliche Figur passte kaum zu den großen Händen und Füßen. Aber so verdreht sie äußerlich schien, so war auch ihr Charakter. Sie war auf der einen Seite frech und aufbrausend, auf der anderen die fürsorgliche und bemühte Freundin.
Oft fehlte es ihr an Feingefühl, sie verpasste die richtigen Momente um etwas zu sagen, oder es besser zu lassen. Immer wieder. Aber auch jetzt hatte sie recht, selbst wenn es schroff klang. Helen war das wichtigste und das einzige, dass mir blieb. Gefühle runter zu schlucken war wie Nägel in der Speiseröhre, doch ich musste mich auf sie konzentrieren.

9:00 Uhr
Heiligen Geist Kirche
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Ein befremdliches Gefühl überkam mich, als ich mich möglichst unauffällig in die letzte Reihe der Kirche setzte.  Inständig hoffend, dass Helen weiter schlief. Ich passte nicht zu dieser perfekten Familie die Paul neben mir lebte. Ich fühlte mich fehl am Platz und wollte jeglicher Begegnung aus dem Weg gehen.
Auf der Beerdigung meines eigenen Mannes und eines Fremden. Die Sätze, die der Pfarrer sprach ließen meine Lunge schwer in sich zusammen fallen. Ich rang leise nach Luft, wischte immer wieder die Tränen weg. Einige Sätze trafen auch auf Paul zu, andere wiederum passten so gar nicht zu ihm. Nie hatte er erwähnt, dass er das Schauspiel liebte, weigerte er sich immer, mit mir ins Theater zu gehen. Er spielte in einem Fußballverein, hatte zahlreiche Freunde. Wie konnte all das nie auffliegen ? Vermutlich liebte er das Schauspielen so sehr, dass er sein eigenes Theater erfand und wir waren seine Marionetten. Jane erhob sich, das schwarze enge Kleid betonte ihre schmale, weibliche Figur. Zwischen ihren zierlichen Fingern hielt sie ein glattes, beiges Papier. Ihr räuspern prallte von den Wänden, dann begann sie zu sprechen. Leise und zerbrochen.

Zwei Leben (Aktuell PAUSIERT)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt