Kapitel 4

6 3 0
                                    

Am Samstag nutze ich die freie Zeit und das Sonnenlicht, um Fotos von der Hexe zu schießen. Seit diesem Jahr hatte ich mich der Social-Media-Pflege des Märchenwaldes angenommen. Die verschönerte Hexe verdiente einen Instagrampost. Erik sollte der Erste sein, der die Fotos zu Gesicht bekam. Schließlich war er ja auch ihr Retter gewesen. Also schickte ich ihm ein paar der Fotos.

»Grüße von der Hexe.«

Zudem fragte ich ihn um Rat, welches Foto ich letztendlich posten könnte. Er hatte einen klaren Favoriten. Dann sammelten wir die bescheuertsten Ideen für Bildunterschriften. Es wurden so viele Ideen, dass ich den Überblick verlor.

»Der Hexe gefällt es echt gut hier. Du musst dir ihr Haus auch einmal angucken.« Erik stimmte mir zu.

»Schade, dass er geschlossen ist.« Ich tippte daraufhin etwas in das Nachrichtenfeld und überlegte wahrscheinlich etwas zu lange, bevor ich es abschickte.

»Ich komme an einen Schlüssel ran. Am besten kommst du mal bei Tageslicht vorbei, wenn du freihast.«

»Also am Wochenende. Wann hast du Zeit?« Wir nahmen Tempo an. Wir würden uns wohl tatsächlich bald treffen. Ich überlegte, wann ich Zeit hätte und ganz ehrlich gegen morgen würde nichts sprechen. Also schlug ich den morgigen Tag vor.

»So um drei, da ist es noch hell. Passt es dir?«

Es passte ihm.

Zu Hause passte ich meine Mutter ab, die gerade dabei war, Einkäufe aus dem Kofferraum ins Haus zu tragen.

»Brauchst du Hilfe?«

»Nein, das war die letzte Tasche.« Schnell hievte sie die Tasche in die Küche und ich schloss die Tür hinter uns. Verstohlen schaute ich mich um, ob mein Vater und mein Bruder in der Nähe waren. Aber sie schienen nicht dazu sein.

»Mama kann ich den Schlüssel noch bis morgen Abend behalten?« Sie stimmte zu und fragte aber nach wofür ich ihn brauchen könne.

»Ich treffe mich morgen mit einem Jungen«, sagte ich und versuchte sehr stark dabei nicht rot zu werden. Deshalb wollte ich erst mit ihr darüber reden. Es wäre voll peinlich gewesen, wenn ich vor allen rot geworden wäre, und dann hätten sie lauter dumme Fragen gestellt. Eventuell würde ich es beiläufig beim Abendessen erwähnen und meinem Opa eine WhatsApp-Nachricht schreiben, damit sich keiner wundern würde, warum ich morgen mit einem Fremden im Park sein würde. Ich war mega froh darüber, dass mein Opa mit einem Handy und WhatsApp umgehen konnte.

Meine Mutter zog die Augenbrauen hoch, als sie hörte, dass ich mich mit einem Jungen treffen würde.

»Woher kennst du ihn denn?« , fragte sie nach.

»Er arbeitet hier auf der Baustelle. Er heißt Erik. Letztens hat er mir geholfen die Hexe in den Park zu bringen, da habe ich ihm angeboten ihn mal etwas herumzuführen. Er ist ungefähr in meinem Alter.« Da hakte sie ausgerechnet bei dem Alter nach.

»Anfang zwanzig.«

»Ist er süß?«, wollte sie dann wissen.

»Mama!« Ich versteckte mein Gesicht in meinen Händen. Die Frage war mir peinlich. Trotzdem nickte ich dann doch bejahend. Natürlich war er süß, würde ich mich sonst mit ihm treffen?

»Ist es ein Date?« War es ein Date? Das wäre schon cool. Er schien cool zu sein. Aber ich kannte ihn noch gar nicht gut genug, um zu wissen, ob ich wollte, dass es ein Date wäre. »Ich glaube erst einmal nicht«, sagte ich dann, »Wir treffen uns um fünfzehn Uhr und laufen ein bisschen herum. Um siebzehn Uhr hast du den Schlüssel wieder. Ich habe die ganze Zeit mein Handy dabei und wenn es beschissen ist, komme ich wieder nach Hause."

»Sollen wir ein Signal ausmachen?«

„Ja, ich überlege mir etwas. Aber vorerst müssen wir ein Bild von der Hexe posten. Also Erik fand das hier am schönsten." Es schadete sicher nicht noch die Meinung meiner Mutter mit ins Boot zu holen. Eventuell schätzte ich Eriks Sinn für Ästhetik nicht allzu hoch ein. Aber bis jetzt kannte ich ihn auch noch nicht gut, vielleicht tat ich ihm mit dieser Vermutung auch unrecht. Meine Mutter war von dem Foto nicht sonderlich begeistert.

Wir einigten uns auf ein Foto, das Eriks Auswahl ähnlich war, aber bei dem die Lichtverhältnisse etwas anders waren. Von den Ideen, die wir als Bildunterschrift gesammelt hatten, war meine Mutter begeistert. Während ich durch den Chatverlauf scrollte und sie vorlas, räumte meine Mutter die Einkäufe ein. Konrad kam auch in die Küche. Er schlich an uns vorbei zwischen Kühlschrank und Vorratsschrank hin und her. Schließlich setzte er sich an den Küchentisch und aß Müsli.

Als ich schließlich die Beschreibung geschrieben und die letzten Verlinkungen hinzugefügt hatte, meine Mutter fertig mit dem Einräumen war und Konrad aufgegessen hatte, verließen wir die Küche und verstreuten uns jeder für sich im Haus. 

Von Märchen und NovembergefühlenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt