Der Montag verlief erstaunlich gut. Mit Erik war alles in Ordnung, wir hatten kurz miteinander geschrieben und würden uns morgen treffen. Darauf freute ich mich schon. Was den Tag noch einmal um einiges besser machte, war die Tatsache, dass der Biounterricht heute ausfiel.
Die Frage war nun, was ich mit dieser Freistunde machen könnte. Ich hatte nicht wirklich Bezugspersonen in dem Kurs, mit denen ich unbedingt abhängen wollte. Filiz hatte auch keine Zeit, sie hatte Sportunterricht und wäre bestimmt nicht bereit, für mich zu schwänzen. Dann fiel mir ein, wer Zeit haben würde. Ich schrieb Nils an. Er hatte montags immer zwei Freistunden, die er irgendwie überbrücken musste.
»Wir treffen uns auf dem Parkplatz.«
»Was auch immer wir machen, wir laufen, wir nehmen nicht deinen Roller.«Wir gingen zu Fuß zum Supermarkt. Wir kauften uns was aus der Backwarenabteilung, dann gingen wir ziellos durch die Stadt. Es war zu kalt, um sich irgendwo hinzusetzten. Solange wir in Bewegung blieben, waren die Temperaturen auszuhalten.
»Wie läuft es mit Erik?«
»Sehr gut, ich habe jetzt sogar seine Familie kennengelernt.«
Er zog die Augenbrauen hoch. Er lächelte mich an. Das Lächeln war neckend, freundlich, so weit ich es deuten konnte. Es schien wirklich zu klappen, weiterhin mit ihm befreundet zu sein. Vermutlich würde er bald ganz und gar über den Crush auf mich hinweg sein.
»Es wird ja richtig ernst bei euch.«
»Es scheint so.« Ich erzählte ihm nicht, von dem Gespräch, was ich am Sonntag mit Erik hatte.
»Mochten sie dich?«»Ich glaube schon. Ich würde sagen, dass ich einen guten Eindruck gemacht habe.« Ich warf meine Haare zurück.
»Und kennt er deine Familie schon?«
»Nicht ganz. Er kennt meinen Vater und meinen Bruder. Er hat bei uns mal zu Abend gegessen. Es war ganz entspannt.«
»Nimm es mir nicht übel. Aber dein Vater ist noch der normalste aus deiner Familie.« Da hatte er recht. »Da kommt noch eine Menge auf ihn zu.« Auch da stimmte ich ihm zu. »Na ja, wenn du ihn nicht abschreckst. Dann wird deine Familie ihn auch nicht abschrecken.«
»Bis jetzt habe ich ihn nicht abgeschreckt, aber wer weiß, was noch kommt.« Ich spielte mit meinen Fingernägeln. Erik und ich hatten uns in den letzten Tagen so oft gesehen, dass es sich so vertraut in seiner Nähe anfühlte. Doch es waren eben erst Tage, die wir uns kannten. Noch nicht einmal ein ganzer Monat und obwohl es sich schon so vertraut anfühlte, es gab noch soviel, was wir nicht voneinander wussten. Was, wenn ihm manche Seiten an mir nicht gefallen würden?»Deine Familie ist schon sehr ... besonders«, formulierte Nils vorsichtig. »Du bist besonders«, das klang schon gleich viel positiver. »Er wird vielleicht nicht gleich alles mit Begeisterung aufnehmen. Aber du bist es wert. Mich haben du und deine Familie ja auch nicht abgeschreckt.« Das haben sie tatsächlich nicht. Er war immer noch hier, auch nach allem, was wir diesen Sommer erlebt haben. Vermutlich war er auch immer noch in mich verliebt. Auch wenn wir jetzt so taten, als wäre alles wie vor diesem Sommer. Wir waren wieder zwei Mitschüler, die sich gut verstanden.
»Deine Familie ist nett, er wird schon mit allen klarkommen und an nun ja, an den Rest wird er sich auch gewöhnen. Wenn er dich liebt, dann bleibt er und wenn nicht, dann entgehen ihm halt die coolsten Abenteuer.« Wenn Nils nur wüsste, wie dankbar ich ihm in diesem Moment für diese Worte war. Ihn zu umarmen wäre wohl zu viel des Guten. Aber mit Worten konnte ich auch nicht ausdrücken, wie sehr es mich tröstete, das gerade zu hören. Unbewusst hatte ich mir immer Sorgen darüber gemacht, wie Erik wohl reagieren würde, wenn er meine Familie besser kennenlernt. Da war einiges, was man auf den ersten Blick nicht bemerkt. Eines Tages würde ich ihn einweihen. Aber jetzt noch nicht.
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Von Märchen und Novembergefühlen
Teen FictionNovember 2020. Weltweit war es bis dato ein verrücktes Jahr. Für Faralda, 18 Jahre alt, privilegiert, kurz vor dem Abitur, war es vor allem ein ruhiges Jahr. Doch diesen November könnte sich alles ändern. Die Nerven liegen blank und zum ersten Ma...