Kapitel 15

3 2 0
                                    

Erik schloss die Tür auf. Ich trug das Geschenk. Etwas aufgeregt war ich ja schon. Beim Reingehen kam einem der Geruch von Kaffee und Kuchen entgegen. Das war eine schöne Begrüßung. Die Einrichtung machte auf mich einen praktischen und wohnlichen Eindruck. Mein Blick wanderte durch den Flur und die offenstehenden Türen zum Wohnzimmer und in die Küche. Die Möbel und Türen waren aus Buchenholz. Bilder hingen an der Wand und überall wo Platz war, standen Dekokerzen. An einer der Wände hing ein Kruzifix. Eriks Mutter kam aus der Küche heraus auf uns zu. Sie begrüßten uns freudig und ich überreichte ihr das Geschenk.

»Vielen Dank. Ich bin Irena. Schön, dich kennen zulernen.« Irena hatte blonde Haare, trug eine Brille und Make-up. Sie war etwas kleiner als Erik und etwas größer als ich. Alles in allem wirkte sie sehr lieb. Sie kam aus Polen, schien akzentfrei Deutsch zu sprechen. Nur die Artikel vertauschte sie konsequent, während sie quatschend ins Wohnzimmer zog. Wir würden ihr folgen, sobald wir unsere Schuhe und Jacken ausgezogen hatten. 

»Seid ihr religiös?«, fragte ich Erik und zeigte mit meinen Augen auf den Kruzifix an der Wand.

»Katholisch. Aber eigentlich nur meine Mutter. Und deine Familie?«

»Evangelisch. Zumindest auf dem Papier.«

Im Wohnzimmer lernte ich den Rest der Familie kennen. Eriks Vater Jürgen war ein großer dunkelhaariger Mann. Vater und Sohn waren sich von der Statur und den Gesichtsstrukturen her sehr ähnlich. Seine Schwester hingegen war eine kleine, pummelige Frau, mit beneidenswerten Haaren. Sie hatte mehrere Piercings im Gesicht und trug eine schwarze Spitzenbluse. Ihr Freund sah unauffällig aus. Ich machte Komplimente über die Einrichtung und den Kuchen. Ich nutzte jede Gelegenheit, um mich einzuschleimen. Es schien gut zu laufen.

»Weißt du schon, wie du nächstes Jahr deinen Urlaub legst?«, fragte Irena Erik. Er schüttelte den Kopf.

»Ich weiß noch gar nicht, wovon ich das abhängig machen soll.« Dann sah er zu mir rüber. »Wann hast du denn Ferien?«

»Ich?« Wieso war das in diesem Zusammenhang relevant? »Ich habe bis zum Abi keine Ferien mehr.«

»Wann sind denn deine Prüfungen? Nicht dass Erik sich freinimmt und du musst die ganze Zeit lernen«, fügte seine Mutter hinzu.

»Ich habe die genauen Termine nicht im Kopf, wer weiß, ob es überhaupt bei den jetzigen Terminen blieb.« Auf einmal fand ich es unangenehm warm in dem Wohnzimmer.

»Was machst du denn nach dem Abitur?«

»Ich weiß es noch nicht.«

»Wie sieht es an Weihnachten aus? An welchem der Tage feiert ihr hier?« Ihr?

»Und Heiligabend?«

»Mama wollte Heiligabend Braten machen. Faralda möchtet du auch etwas davon?« Ich wollte nichts davon, ich mochte kein Fleisch, aber ich sagte nichts dazu, weil ich nicht vorhatte, sie an Heiligabend zu besuchen. Sie merkten wohl, dass mir die Fragen unangenehm wurden. Es folgte kurzes Schweigen. Wir starrten auf unsere leeren Kuchenteller.

»Lust auf eine Führung?«, fragte Erik und nahm meine Hand. Ich war ihm so dankbar dafür.

»Unbedingt.«

Wir gingen die Treppen hoch zu seinem Zimmer. Ich war gespannt, wie es aussehen würde.

»Da ist mein Badezimmer und hier geht es zu meinem Zimmer. Es ist nicht aufgeräumt«, warnte er mich vor, als er die Tür zu seinem Zimmer öffnete. Wir traten in ein tatsächlich nicht aufgeräumtes Zimmer. Vermutlich hatte er es sogar erfolglos und panisch in der Nacht zuvor aufgeräumt. Ich ließ es unkommentiert. Es war nicht unbedingt dreckig, abgesehen von dem Teppich, der die besten Jahre hinter sich hatte, aber es war voll. Auf dem Schreibtisch befanden sich neben seinem Gamerequipment, den extra Tastaturen und Kopfhörern von denen er eine ganze Auswahl hatte, die wahllosesten Sachen. Tassen, die zum Glück leer und sauber waren. Notizzettel, die er vermutlich nie benutzen würde. Eine Gießkanne, obwohl sich keine Pflanzen in dem Zimmer befanden. Eingepackte Funko Pop! Figuren und andere Sammelfiguren. Flummis, ein Zauberwürfel und anderer Kleinkram. In dem Zimmer stand außerdem ein Sofa gegenüber einem Fernseher, der umrandet von Spielkonsolen war und ein Einzelbett. Wenn wir beiden Zeit zu zweit verbringen wollten, würden wir uns weiterhin bei mir treffen, beschloss ich in dem Moment. Schade eigentlich, denn das eigene Badezimmer und die eigene Etage bei ihm wären ein Plus gewesen. Die Wände hier waren platingrau, was den Raum tatsächlich größer und heller wirken ließ. Ich machte es mir gleich auf seinem Bett bequem.

»So lebst du also.« Er zog die Jalousien hoch. Die, aus welchem Grund auch immer, noch unten waren, als wir das Zimmer betreten hatten.

Wir hakten unsere Finger ineinander, ich ging auf die Zehen spitzen. Ich sah im in die Augen, das hier war er, das hier war seine Welt, er hatte mich in seine Welt gelassen. Wir küssten uns. Es war ein süßer Kuss. Einer dieser Küsse, bei dem das Sonnenlicht auf einen fiel und Welt hell und freundlich schien. »Glaubst du, wir werden schon vermisst?«, fragte ich ihn.

»Ganz bestimmt.« Doch anstatt mich loszulassen, küsste er mich wieder und wieder. Ich kicherte, was mir sofort unangenehm war, denn ich wusste nicht, ob man mich unten hören konnte.

»Wir sollten wieder nach unten gehen, nach her denkt deine Familie noch, wir würden hier noch ganz andere Dinge tun.«

»Wenn es sein muss.« Er hielt meine Hand, als wir die Treppe runtergingen. Ich hoffte, nicht rot zu werden, als wir wieder bei seiner Familie waren. Hier war kein Spiegel, bei dem ich mich schnell und unauffällig abchecken konnte.

Ein schöner Nachmittag neigte sich dem Ende. »Ich packe euch noch schnell den Kuchen ein.« Irena verschwand in der Küche und kam mit zwei Tabletten Kuchen, die in Frischhalte eingepackt waren, wieder zurück.

»Bringt ihr Oma noch welchen vorbei?« Erik versprach, den Kuchen seiner Oma zu überbringen. Ich würde mitkommen. Wir verabschiedeten uns und gingen zum Auto.

»Wenn du Musik hören willst, nur zu, kannst anmachen, was du willst«, sagte er, als er losfuhr. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich scrollte durch seine Playlist.

»Deine Familie wirkt nett, sagte ich. Als ich zu ihm herübersah, konnte ich sehen, dass er zufrieden lächelte. Der Tag war ein voller Erfolg.

»Du kannst auch mitkommen«, sagte er, als er vor dem Haus seiner Oma parkte und sich abschnallte. Ich hatte meinen Gurt noch um, weil ich damit gerechnet hatte hier zu warten.

»Cool«, sagte ich, als hätte ich nur darauf gewartet, dass er mir versicherte, ich könne mitkommen. Ich schnallte mich ab, zuppelte mein Kleid zurecht und wir gingen zur Eingangstür. Wir klingelten. Sie antwortete die Klingelanlage. Wir gingen durch das graue Treppenhaus, bis zu ihrer Wohnung.

»Brauche ich eine Maske?« Er winkte ab. Ich würde einfach Abstand halten, wenn sie öffnete.

Sie stand bereits im Türrahmen, als wir oben ankamen.

»Kommt rein.« Verunsichert sah ich zu Erik hoch. Er zuckte mit den Schultern, dann folgten wir der alten Dame durch ihren engen Flur in ein Wohnzimmer. Sie knuffte Eriks Arm zur Begrüßung und schüttelte meine Hand. Bevor, wir uns auf dem Sofa hinsetzten. Sie war gesprächig, fragte uns über den Geburtstag aus, erzählte uns ausgiebig, dass sie am Morgen bereits mit Irena telefoniert hatte, fragte uns wie die Lage in den Supermärkten war und welche Regelungen galten, beschwerte sich, dass sie ja nur noch allein zu Hause sitzen würde und man nichts mehr machen könne. Ich saß da und lächelte und nickte. Hin und wieder erzählte ich in ein, zwei Sätzen etwas über mich. Sie schien sich zu freuen, mich kennen zulernen, war durch und durch nett.

Auf dem Weg nach Hause, sagten wir nicht viel. Wir hörten Musik. Wir küssten uns kurz, bevor er mich absetzte. 

Von Märchen und NovembergefühlenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt