XVI. 2. Schlangengesang und Hahnenschrei

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Kapitel 2


An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Eine Rückkehr in die aus den Fugen geratene Welt seiner Träume, in der Merope versucht, ihn in die Fänge des Todes zu locken, ist jetzt das Letzte, was er gebrauchen kann. So tragen seine Füße ihn hinaus auf die Schlossgründe. Das erste Morgengrauen kündet sich mit für die Jahreszeit ungewöhnlicher Klarheit an und eine herrliche Ruhe liegt über den Ländereien. Kein Basiliskengesang, kein Schülergeschrei. Kein Kollegengeplapper. Welche Wohltat! Zu dieser frühen Stunde gehört Hogwarts ihm allein – wenigstens um diese Zeit ist also alles so, wie es sein soll. Vielleicht sollte er viel öfter–

Ein ohrenbetäubendes Krakeelen zerreißt die Stille. Was bei Salazar–

Schon folgt ein zweiter schriller Schrei und seine sich vor Abscheu kräuselnden Ohren erkennen unzweifelhaft den Urheber des Übels. KÜKÜ-RÜ-KÜKÜÜÜ!, schallt es erneut. Ein Hahn! Bei Merlins borstigen Nasenhaaren, warum müssen diese Biester solche Frühaufsteher sein?

Hektisch gleiten seine Augen umher. Woher kommt der Schrei? Wo hockt das Biest? Sein Blick verfängt sich an der windschiefen Silhouette von Hagrids Hütte, aus deren Schornstein schon um diese Zeit weiße Rauchwolken aufsteigen und sich über den Wipfeln des Verbotenen Waldes ihren Weg in die Freiheit bahnen. Natürlich. Was hätte er anderes erwarten sollen? Den Halbriesen umgeben zottige Biester wie Flöhe, da ist es kein Wunder, dass sich auch schreiende Hähne unter ihnen befinden.

Tom eilt den Pfad hinunter, der ihn zu der hässlichen Behausung führt. In einem weitläufigen Gehege neben dem Kürbisbeet zuckelt eine ganze Schar fettleibiger Hühner hin und her. Ihr Gefieder glänzt goldbraun im ersten Tageslicht, Erde spritzt unter ihren scharrenden Krallen hervor, ihr gesamter Körper ruckt gierig, jedes Mal wenn ihre spitzen Schnäbel aufpicken, was auch immer sie dort unten auf dem staubigen Boden finden, und über allem liegt ein leises, unruhiges Gurren. Auf den ersten Blick erkennt er fünf Hähne, die zwischen den hungrigen Hennen umherstolzieren, die Kämme geschwollen, das Halsgefieder aufgeplustert, die langen, gekrümmten Schwanzfedern glänzend. Verdammte Angeber! Schon reckt einer von ihnen den Hals und lässt ein weiteres KÜKÜ-RÜ-KÜKÜÜÜ! ertönen. Der nächste erwidert den Ruf und schlägt mit den Flügeln, als könnte er sich dadurch noch größer machen. Ein dritter steht auf dem dampfenden Misthaufen wie auf einem Thron und kräht, als müsste er alle anderen übertrumpfen.

Tom widersteht dem Drang, sich die Hände auf die Ohren zu pressen. Warum bei allen Doxys dieser Welt hält der Wildhüter so viele Hähne auf einmal? Ist nicht einer von diesen Flattermännern schon mehr als genug? Was sollen die Hennen mit fünf von der Sorte? Immerhin muss man diesen Hennen zugutehalten, dass sie die Angeber geflissentlich ignorieren. Richtig so. Wobei – vielleicht sind sie auch einfach nur zu gefräßig um auf etwas anderes zu achten als das, was sie vor sich auf dem Boden finden ...

Dabei würden sie selbst viel besser auf einen Teller passen. Warum eigentlich wird oben im Schloss tagein, tagaus nur Kohlsuppe serviert, wenn hier unten eine ganze Horde wohlgenährtes Federvieh herumrennt? Das ist doch bestimmt eine von Dumbledores Schikanen, die er mit dem Halbriesen abgekartet hat. Und dann dieses grässliche Hahnengeschrei–

Tom erstarrt mitten im Gedanken. Hahnengeschrei! Das ist es! Warum bei Salazar ist es ihm nicht sofort aufgefallen? Das Krähen eines Hahns ist absolut tödlich für jeden Basilisken! Ist es das, was Daisy gemeint hat? Bei seiner Unsterblichkeit, das muss es sein! Und selbst wenn nicht – er will sämtliche Besen von Hogwarts fressen, falls sie nicht unglaublich glücklich ist, wenn er das Hahn-Problem für sie erledigt! Glücklich und dankbar – und endlich wieder so zahm und folgsam, wie es sich für die Basiliskin des größten Magiers aller Zeiten gehört.

Professor Riddles ScheiterhaufenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt