Kapitel 38

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Alison P.O.V

Man kann den heutigen Tag nur mit drei Worten beschreiben: kalt, nass, windig. Und diese Adjektive passen nur in eine Stadt: London. Meine eigentliche Heimat, obwohl ich in der USA zur Welt kam. Aber diese Information habe ich erst vor zwei Tagen erfahren, als meine 'Mutter' Anne und mein Vater sich sahen. Natürlich ging mein Traum nicht in Erfüllung, denn wir sind nicht alle glücklich. Jeder in diesem Auto starrt aus den Fenster und keiner sagt ein Wort. Melly sitzt neben mir, Dad gegenüber und meine Mutter daneben. Jap, ich werde sie trotzdem meine Mum nennen, denn ich weiß, dass sie den größten Fehler ihrers Lebens begangen hat und die Geschichte verheimlicht hat, aber sie hat mich wie ein eigenes Kind erzogen. Zwar war es nicht ganz mütterlich, aber es war wenigstens etwas. Es ist schließlich besser als gar nicht. Naja, was vor zwei Tagen passiert ist, wird nicht vergessen. Meine Mum weigerte sich in den Haus von Dad für zwei Nächte zu übernachten. Die richtige Melly fuhr somit zu ihrem richtigen Zuhause auf den Reiterhof und konnte ihren geliebten Kevin sehen und ich fuhr mit Mum auf einen Hotel und sah Leon erst heute früh, nachdem wir in London landeten.

Die Tür ging auf und als erstes stieg mein Vater aus. Für Dad ist diese Situation ziemlich unangenehm, denn er kennt nun die ganze Wahrheit und deswegen weiß er nicht, wie er sich verhalten sollte. Einerseits findet er sehr schlimm, dass Anne ihm alles verheimlicht hatte und er würde nie wieder mit ihr sprechen. Aber andererseits hat sie mich erzogen, seine zweite Tochter, welche von seiner Ehefrau noch übrig geblieben ist. Und damit steht er genau dazwischen: entweder wird er es ihr verzeihen oder sie weiterhin ignorieren.

Andre übergab seinen schwarzen Regenschirm meinen Dad und holte den nächsten raus. Meine Mum stieg dann ebenfalls aus, nahm den Schirm, welchen Andre ihr anbot und Melly tat es ihr gleich.

"Hier, komm unter meinen."- meinte Melly, nachdem ich auch aus der Limousine stieg. Nickend und verständnisvoll stellte ich mich genau neben sie. Es schüttelte wie aus Eimern und der kühle Wind machte es auch nicht besser. Fest klammerte Melly den Regenschirm, damit dieser nicht weg flog und deutete mir an, dass wir Dad und Mum folgten sollten, welche schon vorran liefen.

Eltern. Ich habe keine beiden Eltern. Wie gerne würde ich Mum und Dad als Eltern bezeichnen. Aber leider sind sie nicht verheiratet und Mum ist eigentlich nur meine Tante.

Still schaute ich mich um, da mein Blick nur auf den Boden gerichtet war, damit ich auf keinen der tiefen und schlammigen Pfützen drauf treten wollte. Wir es aussieht sind wir die einzigen hier. Und außerhalb von London wird uns keine dieser Kameras und alles drum und dran sehen. Das ist schon mal ein Pluspunkt.

Nun kamen wir am Tor an, welcher weit offen stand. Irgendwo weit hinten in der Ecke müsste meine richtige Mum ruhen. Ich will eigentlich daran nicht denken und eigentlich will ich gar nicht dahin, aber Mum fühlt sich dafür verpflichtet.

Also liefen wir durch das offene Tor und ließen Andre im Auto zurück. Rechts und links erstreckten sich die Gräbern. Manche sehen gepflegt aus,  andere sind schon zu gewachsen.

Natalie Koliger
* 14.12.91
t 27.06.15

Die arme...so früh schon. ..23 Jahre ist sie alt...ob sie Kinder hat? Oder eine Familie? Und ob es ihnen schwer fiel, ihre Mutter zurückzulassen? Mit den Gedanken, dass du sie nie mehr sehen wirst?

Ich schüttelte den Kopf. Leicht war es bestimmt nicht, sondern sehr schwer dies zu verarbeiten. Ich hoffe nur, dass Natalie Koliger keine Kinder hat. Aber theoretisch gesehen könnte sie noch studieren. Vielleicht wollte sie Anwältin werden oder Lehrerin oder vielleicht Ärztin?

"Kommt ihr?"- hörte ich sie sanfte Stimme meiner Mum und drehte mich um. Der Regen ist so heftig, sodass man sie kaum sah.

"Ja." - murmelte Melly. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich vor dem Grab von Natalie stehen geblieben bin. Melly warf mir einen Blick zu, der andeuten sollte, ob ich bereit dafür bin. Zögernd nickte ich ihr nur zu und so liefen wir weiter. Die Pfützen konnte ich nicht mehr vermeiden, denn alles bestand nur aus Schlamm. Ich spürte schon, wie meine Füße nass wurden und ich musste mich zusammenreißen. Liebend gerne würde ich im meinen Zimmer sitzen und etwas anderes machen, als auf den Friedhof zu sein.

Zwillinge?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt