Ich versetzte mich zurück in das Gefühl, wie es war, als ich ein Wolf war. Die schärferen Sinne. Die kürzeren Arme. Das längere Gesicht. Die stärkeren Muskeln. Ich spürte jedes einzelne Haar, das aus meiner Haut wuchst. Und dann begann das Kribbeln. Ich hatte gerade noch Zeit, um mir die Jacke und die Hose auszuziehen, bevor wieder etwas davon kaputt ging. Kurz darauf war ich wieder ein Wolf. ,Wow!', dachte ich.
Ja, beeindruckend.
Du kannst mich hören?
Ja.
Wow.
Wollen wir los?
Ja.
Als sandfarbener Blitz schoss er an mir vorbei und ich folge ihm, so schnell mich meine Wolfsbeine trugen.
Nach dem dreißigsten Versuch hörte ich auf zu zählen, doch ich vermute, dass wir mindestens drei Stunden brauchten, um zwei Kaninchen zu fangen. Wölfe sind Hetzjäger und jagen zusammen im Rudel. Doch das mit dem Hetzen funktioniert nicht mehr so gut, wenn der eine Wolf abgemagert und schwach und der andere unerfahren und untrainiert ist. Dementsprechend waren wir danach immer noch hungrig. Ich leckte mir das restliche Blut von den Zähnen, bevor ich die Augen schloss. Ich dachte an mich selbst. Als Mensch. Blasse Haut. Schwarzes Haar. Bernsteinfarbene Augen. Ich spürte meine Füße, jeden einzelnen Zeh, der sich in die weiche Erde grub. Ich spürte den sanften Wind auf der nackten Haut und im Haar. Ich spürte meine Arme, die sich um meinen Oberkörper legten, um ihn warm zu halten. Und ich spürte mein Gesicht. Meine weniger spitzen Ohren. Meine weniger scharfen Augen. Meine weniger große Nase. Und meine weniger scharfen Zähne. Diesmal ging es schneller. Das Kribbeln setzte ein und bevor ich mich richtig darauf konzentrieren konnte, war es auch schon wieder weg. Ich griff nach meiner Jacke und meiner Hose und zog beides über. Dann zog ich meinen Rucksack zu mir her und begann, darin zu wühlen. Was suchst du? „Geld. Von den Kaninchen hier können wir uns nicht ewig ernähren. Du bist zu schwach und ich zu unerfahren. Wir brauchen einen anderen Weg. Und dazu müssen wir aus dem Wald raus." Ich verstehe dich nicht. Aber ich vertraue dir. Ich hielt inne. „Ich dir auch", sagte ich, während ich ihm in die Augen blickte. Bernstein in Bernstein. „Wie heißt du eigentlich?" Ich habe keinen Namen. Ich habe nicht erwartet einen Wolfsmenschen zu treffen und im Rudel kommunizieren wir anders untereinander. Und wie heißt du? „Ich habe eigentlich auch keinen Namen. Aber die anderen Kinder aus dem Waisenhaus haben mich immer Vampirmädchen genannt um mich zu ärgern und die Besitzerin des Waisenhauses hat mich Lillith getauft." Warum Lillith? „Sie meinte, der Name ist einfach schön, aber ich glaube, dass sie mich nach dem weiblichen Dämon benannt hat." Das klingt aber nicht nett. Ich schnaubte. „Kannst du dich eigentlich auch in einen Menschen verwandeln?" Nein, ich bin zu hundert Prozent Wolf. „Und du kommst aus Indien?" Ja. „Wie bist du hier her gekommen?" Es waren drei und sie waren bewaffnet. Mein Rudel war nicht auf einen Angriff vorbereitet. Wir mussten fliehen. Ich weiß nur noch, dass mir auf einmal schwindelig wurde und dann war auf einmal alles schwarz. Als ich wieder zu mir kam, wollten sie mich gerade in einen Käfig sperren, aber ich bin ihnen entwischt und hier in den Wald gelaufen. Und am gegenüberliegenden Waldrand habe ich dich gefunden. Und das andere Mädchen. „Warum hast du Marie überhaupt gebissen? Sie hat dir doch gar nichts getan!" Sie wollte, dass ich sie beiße. „Was?" Sie war mit dem Bann belegt. Sie hat mich gesehen und wollte, dass ich sie befreie.
DU LIEST GERADE
Wolfsmädchen
FantasyHast du dich jemals alleine gefühlt? Niemand war für dich da? Niemand steht hinter dir? Alle sind gegen dich oder mobben dich sogar? Dann weißt du, wie ich mich mein ganzes bisheriges Leben lang gefühlt habe. Nach dem rätselhaften Tod meiner Mutter...