13) Bilder

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Ein Bild zuckte durch meinen Geist. Drei Männer. Zwei von ihnen trugen Betäubungsgewehre am Rücken, der Dritte hatte zwei Pistolen an der Hüfte. Zusätzlich trug jeder von ihnen ein langes Messer, das an ihren Waden festgeschnallt war. Erinnerung. Ein zweites Bild, einer der Männer hielt sein Betäubungsgewehr schussbereit und zielte. Angst. Ein drittes Bild, ein riesiger Garten mit etlichen Springbrunnen, dahinter eine riesige Villa. Müdigkeit. Ein viertes Bild, einer der Männer mit Betäubungsgewehr, der auffallend helle Haut und weiße Haare hatte, stand neben einem anderen großen Mann in einem schicken Anzug, der ihm mehrere Bündel Geldscheine in die Hand drückte. Verwirrung. Ein fünftes Bild, wieder der Mann im Anzug, hämisch grinsend durch Gitterstäbe. Wut. Das letzte Bild verschwand und ich musste mich an der Theke festhalten, um nicht zu fallen. „Ist alles in Ordnung?", fragte der Mann. Ich antwortete nicht und rannte einfach aus dem Laden.

Den Weg zu der Villa kam nicht in den Bildern vor, also rannte ich zuerst zurück in den Wald. Die Autos hupten überrascht und eines machte eine Vollbremsung, als ich ohne zu schauen über die Straße preschte. Die Welt um mich herum verschwamm, als mir die Tränen in die Augen traten. Hinter der Straße im Wald, als der Geruch der Abgase mich längst verlassen hatte, hielt ich endlich an. Doch ich fand keine Spuren. Meine menschlichen Sinne waren nicht dafür gemacht. Meine wölfischen hingegen schon. Zwei Minuten später packte ich meinen Rucksack mit den Zähnen und rannte los. Ich vertraute auf meine Nase und fand schon bald den Ort, an dem ich den indischen Wolf zuletzt gesehen hatte. Neue Gerüche strömten auf mich ein. Die der Männer. Ohne Zeit zu verlieren folgte ich ihren Gerüchen und Fußspuren durch den Wald, parallel der Straße entlang. Als ich an der Hütte vorbei kam, wurde der Geruch der Männer stärker und danach ebbte er wieder etwas ab. Ihren Wohnort hatte ich schon mal gefunden. Doch ich verlor keine Zeit. Ich rannte weiter und weiter, bis die Gerüche in Richtung Stadt abbogen. Als ich aus dem Schatten des Waldes trat, sah ich den Garten. Er war riesig und voller Springbrunnen, genau wie das Bild, das mir der indische Wolf geschickt hatte. Ich komme.

Die Hintertür zum Garten war verschlossen, aber ich sah ein offenes Fenster im ersten Stock. Ich nahm Anlauf und sprang, doch ich erreichte es nicht. Zwei Minuten später sprang ich noch einmal. Diesmal schaffte ich es, wenn auch nur mit Mühe. Ich grub die Krallen in die Hauswand, so dass der Putz abbröckelte. Mit den Vorderpfoten auf dem Fensterbrett stemmte ich mich hoch und wuchtete meinen felligen Körper samt Rucksack in das Zimmer. Nach einer kurzen Verschnaufpause verwandelte ich mich zurück und zog mich an. Ich war in der Küche gelandet. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber hier wurde anscheinend ein Mittagessen zubereitet. Aus den Töpfen auf dem Herd roch es köstlich nach Gulasch, die Bratkartoffeln in der Pfanne verströmten einen herrlichen Duft und aus dem Backofen kam eine Fahne von Schokoladenkuchenduft. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Wie hypnotisiert bewegte ich mich auf den Herd zu. Schon stand ich vor dem Topf. Meine eine Hand legte sich um den Griff, die andere hob den Deckel an. Dampf schlug mir entgegen. Ich hob den Topf an und setzte ihn mir an die Lippen. Es brannte heiß, als mir die Soße in den Mund lief. Die kleinen Fleischstückchen waren so zart, dass ich sie nur mit der Zunge am Gaumen zerdrücken musste und schon liefen sie mir zusammen mit der Soße meinen Rachen hinunter. Ein Schrei. Ich erschrak und erwachte aus meiner Trance. Die Köchin, eine kleine, runde Frau mit widerspenstigen kurzen Locken, die unter ihrer weißen Kochmütze hervorlugten, stand vor mir. „Mädchen! Du kannst doch nicht einfach die Soße aufessen! Wie bist du überhaupt hier rein gekommen? Mit zwei Schritten war sie bei mir und packte mich mit einem erstaunlich starken Griff am Arm. Diesmal schrie ich auf und mir wurde plötzlich bewusst, was ich getan hatte. Wenn ich mich nicht von dem Duft hätte ablenken lassen, hätte die Köchin mich nicht erwischt. Ich zerrte an meinem Arm, doch die Frau lies nicht los. Meine tierischen Instinkte erwachten und ich biss zu. Die Frau schrie auf, doch anstatt mich loszulassen, packte sie nur noch fester zu. Sie zerrte mich aus der Küche in einen langen Flur, mit vielen Türen, an dessen Ende eine Wendeltreppe nach oben führte. „Wenn haben wir denn da?"  

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