Ich spürte ein Kribbeln, das sich auf meiner Haut ausbreitete. Ich schob den dreckigen, löchrigen Ärmel hoch und blickte entsetzt auf das Fell. Das Fell! Auf meinem Arm spross Fell! Es breitete sich auf meinem ganzen Körper aus. Auch mein Körperbau veränderte sich. Meine Beine wurden kürzer, meine Füße und Hände wurden kleiner, meine Zehen und Finger wurden von scharfen Krallen ersetzt, mein Hals wurde dicker und verband so meinen Kopf mit meinem pelzigen Schultern. Ich sank auf alle viere und konzentrierte mich auf mein Gesicht. Meine Augen verkleinerten sich, meine Ohren und mein gesamtes Gesicht wurde länger. Langsam ging das Kribbeln zu ende. Die Erschöpfung überrollte mich und meine Beine knickten ein. Schwer atmend lag ich eine Weile auf dem Waldboden. Da hörte ich auf einmal eine Bewegung. Nur ein ganz leises Rascheln des wenigen noch am Boden liegenden Laubes. Ich spitze die Ohren und hob den Kopf. Der sandfarbene Wolf stand in einiger Entfernung und beobachtete mich aus seinen bernsteinfarbenen Augen. Vielleicht täuschte ich mich, aber ich glaubte sowohl Neugier, als auch Ehrfurcht in seinem Blick zu erkennen. Langsam kam er näher und stupste mich mit seiner kühlen, feuchten Schnauze an der Schulter. Ich blickte mich zu der Stelle um und sah wieder Fell. Als ich mich vorsichtig aufrichtete, um sicher auf allen Vieren stehen zu bleiben, bemerkte ich, dass ich größer als der indische Wolf war. Wenn ich das alles hier nicht nur träumte und ich mich wirklich gerade in einen Wolf verwandelt hatte, dann war ich definitiv kein indischer Wolf. Ich war mindestens zehn Zentimeter größer und etwas fünfzig Zentimeter länger als er. Außerdem war mein Fell dunkelgrau und nicht sandfarben. Vorsichtig setzte ich eine Pfote vor die andere, doch etwas schränkte meine Bewegungsfreiheit ein. Ich drehte den Kopf und erkannte, dass ich noch immer in meiner Kleidung steckte. Vorsichtig versuchte ich mich ihr zu entledigen, doch sie saß zu fest. Ungeduldig schloss ich meinen kräftigen Kiefer um den Stoff um meine Schultern und zog daran. Meine spitzen Zähne ließen den Stoff sofort zerreißen und die Stofflagen fielen links von mir auf den erdigen Boden. Ich schnappte erneut zu, diesmal in Richtung meiner Hose. Diesmal zog ich vorsichtiger und schaffte es, sie nicht zu zerreißen. Ich rollte mit den Schultern, streckte die Beine aus und tänzelte im Kreis. Es fühlte sich so anders an, aber es war ein gutes Anders. Der sandfarbene Wolf hatte den Kopf schiefgelegt und sah mir verwirrt dabei zu. Plötzlich winkelte er leicht die Hinterbeine an, steckte die Schnauze in den Himmel und jaulte. Es war ein frohes, erleichtertes Jaulen. Er war erleichtert. Weil ich hier war. Ich hatte keine Ahnung, woher ich das wusste. Es war so ein Gefühl, dass aus tief aus meiner Seele kam. Als er den Kopf wieder senkte, sah er mich erwartungsvoll an. Er kam näher und setzte sich direkt vor mich. Ich winkelte meine Hinterbeine an, legte den Kopf in den Nacken und jaulte. Meine Stimme klang ganz anders als seine. Voller. Kräftiger. Stärker. Wenn seine Stimme nach dem Sand klang, den der Wind in der Wüste aufwirbelt, dann klang meine Stimme nach einem großen Felsbrocken, der beim Hinabrollen eines Berges andere Steine ebenfalls zum Rollen brachte. Ich senkte den Kopf wieder. Der indische Wolf stand auf, drehte sich um, lief zwischen ein paar Bäume, hielt dort an, drehte sich um und sah mich an. Langsam folgte ich ihm, doch bevor ich bei ihm ankam, sprintete er auf einmal los. Durch die plötzliche Bewegung spürte ich meinen Jagdinstinkt erwachen. Bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, war mein Körper schon in Aktion. Ich stürmte los, dem sandfarbenen Wolf hinterher. Ich schlug Hacken um Bäume, rutschte auf dem feuchten Boden aus, wenn ich zu enge Kurven rannte, fing mich wieder und sprintete weiter. Ich hörte durch meine schärferen Ohren, dass der Atem des indischen Wolfes schneller wurde. Durch seine Unterernährung hatte er viel an Energie und Ausdauer verloren. Er wurde langsamer. Ich hatte ihn fast eingeholt und setzte zum Sprung an, da schlug er auf einmal einen Hacken und verschwand hinter einem Baum. Ich landete und Schlamm spritzte auf, als ich zur Seite rutschte. Gerade wollte ich dem Wolf um die Kurve folgen, da spürte ich auf einmal zwei Pfoten durch das dicke Fell an meinem Rücken. Ich wurde auf den Boden gedrückt und auf den Rücken gerollt. In den bernsteinfarbenen Augen, die über mir ragten, schimmerte Triumpf. Der Druck ließ nach und ich richtete mich auf. Als ich wieder stand, bemerkte ich erneut, wie stark die Rippen des Wolfes zu sehen waren. Er hatte es nicht übersehen. Seine bernsteinfarbenen Augen bohrten sich förmlich in meine. Er wollte mir etwas mitteilen. Und dann, ganz plötzlich, spürte ich die Botschaft. Tief in mir regte sich etwas. Worte blubberten aus meiner Seele und drangen in meinen Geist ein. Ich bringe dir das Jagen bei.
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Wolfsmädchen
FantasyHast du dich jemals alleine gefühlt? Niemand war für dich da? Niemand steht hinter dir? Alle sind gegen dich oder mobben dich sogar? Dann weißt du, wie ich mich mein ganzes bisheriges Leben lang gefühlt habe. Nach dem rätselhaften Tod meiner Mutter...