23) Befreiung

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Als ich mich wieder im Krankenhaus befand, saß ich immer noch aufrecht auf dem Stuhl. Marie richtete sich im Bett auf und steckte die Arme aus. Vorsichtig umarmten wir uns. Als Marie wieder zurück in die Kissen sank, stand ich auf. „Wann wirst du ungefähr entlassen werden?" „Ich weiß es nicht." „Warte mal! Wolfsmenschen haben doch besondere Fähigkeiten. Ich kann mich heilen, wenn ich mich verwandle. Kannst du das auch?" „Ich weiß es nicht. Nach meiner ersten Verwandlung war ich mit dem Bann belegt. Ich kann es aber mal versuchen. Ich weiß nur nicht, wie." „Als ich mich das erste Mal kontrolliert verwandelt habe, hat mir der indische Wolf gesagt, wie es geht. Und ich könnte es nicht besser beschreiben. Sehe dich, wie du als Wolf bist. Spüre dich, wie du als Wolf bist. Sei du, wie du als Wolf bist."

Zwanzig Minuten später standen wir zu zweit vor dem Krankenhaus. „Das war unglaublich!", stieß Marie hervor. „Ich vermute, Mutter hatte diese Kraft auch, sonst hätten wir zwei sie doch nicht, oder?", fragte ich. Da wurde Marie ernst. „Das glaube ich nicht. Diese Kräfte sind nicht vererbbar. Außerdem... außerdem wäre sie dann nicht gestorben." Ich nickte. Sie hatte Recht. Hätte unsere Mutter sich auch heilen können, dann hätte sie sich heilen können, so wie ich, als ich erschossen wurde. „Und hast du jetzt vor?", fragte Marie. Ich grinste teuflisch. „Das wird dir gefallen."

Das Gebäude ragte dunkel und majestätisch vor mir auf. Ich hatte nicht gedacht, dass ich je hier her zurückkehren würde. Ich trat an das Gitter, und zog an der Schnur, die die große Glocke ertönen ließ. Ein dunkler Ton ertönte und hallte in der Luft wieder. Die große Flügeltür des Gebäudes öffnete sich und Frau Griesgram schleppte ihren fleischigen Körper in Richtung Tor. Als sie mich auf halbem Weg erkannte, rannte sie fast zum Tor. Die Scharniere quietschten, als sie öffnete. Ihr Arm schloss sich schraubstockhaft um meinen Oberarm. „Au!", schrie ich, doch sie ignorierte es. „Wo bist du gewesen? Wenn das Jugendamt hier gewesen wäre, hätte ich so was von Ärger bekommen", knurrte sie mich an. Speicheltropfen trafen meine Haut und ich verzog angewidert das Gesicht. Als ich hoch zu den Fenstern des Waisenhauses blickte, sah ich, wie die Kinder scharenweise an den Fenstern klebten und sich die Nasen an den Scheiben platt drücken, um ja nichts zu verpassen. „Warum führen Sie überhaupt ein Waisenhaus? Sie hassen Kinder doch!", rief ich. „Werde ja nicht frech, Fräulein. Sonst gibt es für die heute und morgen kein Essen." „Als ob ich das bräuchte. Das Essen, das Sie dem Jugendamt servieren, kriegt kein Kind von uns je zu Gesicht. Für uns besorgen sie nur das aller Billigste und leihwenigste!" „Hüte deine Zunge, Mädchen. Ich werde für deine Worte nicht leiden müssen." „Dafür werde ich sorgen. Für diese Worte und für alles, was Sie getan haben um mein Leben und das von allen anderen in diesem Waisenhaus zur Hölle zu machen!" Ich schrie die Worte in ihr wabbeliges, fettes Gesicht und beobachtete, wie die Augen hinter der hässlichen, rosafarbenen Brille immer hasserfüllter wurden. „Du kleines Biest! Deine Frechheit wird dein Untergang sein", knurrte sie mir ins Gesicht. Ich grinste zurück. Dann schrie ich: „Jetzt!" Hinter den umstehenden Bäumen traten Polizisten hervor und eilten zu uns. „Lassen Sie das Kind los!", rief einer von ihnen. Ich hatte Frau Griesgram noch nie so erschrocken gesehen. „Ich... das.... wie...", stammelte sie vor sich hin.

Es dauerte nicht lange und die Polizisten hatten Frau Griesgram und die anderen Aufseher abgeführt. Die Polizisten hatten das schlechte Essen und die mangelhafte Kleidung entdecken und kombiniert mit den blauen Flecken vieler Kinder von den Schlägen der Aufseher, konnten sie nicht mehr über diese Tatsache hinwegsehen. Die Kinder blieben allerdings in dem Waisenhaus und ein neuer Besitzer wurde gesucht. Marie, die bei den Polizisten gewesen war und mit ihnen hinter den Bäumen hervorgekommen war, stand nun neben mir, ein erleichtertes Lächeln auf den Lippen und ein stolzes Funkeln in den Augen.


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