18) Vergangenheit

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Es war mehr eine Intuition als ein fester Gedanke, doch ich vertraute meinem Gefühl. Und so stand ich wenig später vor dem Antiquitätenladen. Hinter der Ladentheke saß, wie bei meinem letzten Besuch, der alte Mann mit der kleinen, goldenen Brille. Er las wieder, doch diesmal war das Buch etwas größer und der Einband war dunkelbraun und mit goldenen Schnörkeln verziert. Ich legte ein wenig Geld zusammen mit dem Aufnahmegerät auf die hölzerne Theke. „Das Ding scheint es dir ja angetan zu haben." Mit einem freundlichen Lächeln, das seine kleinen Augen zum Strahlen brachte, reichte er mir das Aufnahmegerät zurück. Da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte, lächelte ich nur zurück und rannte dann aus dem Laden.

Als ich an der Hütte ankam, waren die Männer alle drei darin. Ich hörte ihre Stimmen und unwillkürlich spürte ich Wut in mir aufsteigen, doch ich versuchte, sie zu unterdrücken und schlich mich näher an die Hütte heran, um sich belauschen zu können. „Was glaubt ihr will der Verrückte als nächstes? Einen Rotwolf?", fragte die erste Stimme. Sie war kratzig und hörte sich an, als ob ihr Besitzer Husten hätte. „Ich hoffe, es wird ein Grauwolf. Da müssen wir nicht so weit fahren", sagte eine zweite Stimme. Diese Stimme war weich, dunkel und tief. „Aber es lohnt sich doch. So viel habe ich nicht verdient, als ich noch legal gearbeitet habe", erwiderte die erste, kratzige Stimme. „Es ist schon seltsam, wie wir alle auf diesen Weg gekommen sind", schaltete sich nun eine dritte Stimme ein. Sie war ungewöhnlich hoch für einen Mann. „Du immer mit deinen Wegen! Kannst du nicht reden wie ein normaler Mensch reden, Paul?", regte sich die kratzige Stimme auf. „Wieso? Es stimmt doch!", erwiderte der mit der hohen Stimme, Paul. „Beruhigt euch, Jungs." Einen kurzen Moment lang war es still. „Bei mir war es keine Wut oder ein Kindheitstrauma, das mich dazu gebracht hat, mit Wölfen zu handeln. Mein Vater hat mir das Geschäft gezeigt. Meine Mutter war nicht sehr begeistert davon. Also hat er sie getötet. Er konnte nicht riskieren, dass sie ihn verrät. Ihr wisst, dass ich es genauso gemacht habe. Meine liebe Frau. Sie dachte wirklich, ich würde ihr Kind zurückholen. Und dann hat sie mein Kind mitgenommen." „Warte, was? Könntest du uns deinen Lebensweg etwas verständlicher erklären?", fragte Paul. Die kratzige Stimme stöhnte leise. „Na gut. Ich weiß nicht mehr genau, wo und wann ich sie zum ersten Mal traf, aber sie war umwerfend schön. Blasse Haut, schwarze Haare, groß und schlank." Mir stockte der Atem als ich diese Beschreibung hörte. „Auf jeden Fall dachte sie, ich hätte einen Job. Sie hatte keinen, deshalb wurde ihr das Sorgerecht ihres ersten Kindes entzogen. Verzweifelt hat sie versucht, das Kind zurück zu bekommen. Also hat sie mich geheiratet. Ein Jahr später hatte sie ein zweites Kind. Doch es hätte niemals ein guter Nachfolger werden können. Es war ein Mädchen. Genauso schön und genauso nutzlos wie ihre Mutter. Ich glaubte nicht, dass diese Frau mir noch ein Kind bringen würde, also hatte ich sowieso vor, sie loszuwerden, doch sie kam mir zuvor. Sie fand heraus, was mein Job wirklich war und war gar nicht begeistert. Das war im Winter vor zwölf Jahren. Sie folgte mir in den Wald, zusammen mit dem neugeborenen Kind. Es war einfach, sie zu töten. Und das Kind ist im Schnee erfroren." Ich merkte erst, dass ich weinte, als die Tränen von meinem Kinn auf meine Hände tropften. So schnell ich konnte, griff ich in meinen Rucksack. „Du irrst dich!", rief ich laut aus. Ich trat gegen die Tür und sie schwang auf. Die drei Männer saßen auf einem Sofa und drehten sich überrascht um. „Wer bist du?", fragte der rechte. Es war der mit der kratzigen Stimme. Tiefe Furchen durchzogen seine gebräunte Haut. Ich öffnete den Mund, doch der Mann in der Mitte, mit den weißen Haaren und der weißen Haut kam mir zuvor. Er sprang auf und lief um das Sofa herum. „Weiße Haut, schwarze Haare, bernsteinfarbene Augen. Das kann nicht sein. Sie hatte doch..." Er griff sich an den Hals. „Redest du hiervon?" Ich griff in meine Jackentasche und zog mein Medaillon heraus. Der Mann schrie auf und stolperte zurück. Meine Stimme hingegen war leise, aber drohend. „Du hast meine Mutter umgebracht!"

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