20) fremdes Rudel

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Ich schrie. Mein Brustkorb vibrierte und ich spürte immer noch in der einen Hand mein Medaillon und in der anderen mein Blut. Meine Gedanken kreisten nur um ein einziges Bild. Grauwolf. Ich steckte das Medaillon in meine Jackentasche und schloss den Reisverschluss. Die Verwandlung kam wie eine Explosion. Meine Klamotten rissen und rotes Blut traf auf graues Fell. Schreie. Ich blickte auf. Meine Augen waren schärfen. Meine Ohren waren schärfer. Meine Nase war schärfer. Ich roch die drei Männer bevor ich sie sah. Mein Vater hatte immer noch das Gewehr in der Hand, mit dem er mich hatte umbringen wollen. Ein Knurren kam aus meiner Kehle. Paul hatte sich auf dem Sofa zusammengerollt und starrte mich angsterfüllt an. Der Mann mit der kratzigen Stimme stand an die Wand gepresst da und sah mehr verwirrt als ängstlich aus. Mein Vater zitterte. Das Gewehr bebte in seinen Händen, als er den Lauf erneut auf mich richtete. Doch dieses Mal war ich schneller. Ich sprang. Noch im Flug erreichten meine Zähne das Metall. Es war kalt. Die Wut in mir zermalmte es. Einzelne Metallstücke mit scharfen Kanten fielen mir aus dem Maul. Mein Blick huschte durch den Raum und blieb an einer weißen Kehle hängen. „Du willst mich umbringen?" Natürlich hatte er es gemerkt. Doch er schien nicht überrascht. „Weißt du, ich an deiner Stelle hätte das auch gemacht." Das rüttelte mich wach. Mir war klar, dass das eine List war, doch sie wirkte. Ich wollte nicht so sein wie er. Ich wollte nicht kaltblütig jemanden ermorden, auch, wenn er es wirklich verdient hätte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Mann mit der kratzigen Stimme einen Arm hob. Ich wich gerade noch rechtzeitig aus und die Kugel krachte in das Holz hinter mir. Ich sprang auf ihn zu, wich noch einer Kugel aus und versenkte meine Zähne in die Pistole. Dann schnappte ich eine Hose und einen Pulli, die beide auf der Sofalehne lagen, und meinen Rucksack mit den Zähnen und rannte aus der Hütte. Ich wusste, was ich zu tun hatte. „Wir müssen weg hier", hörte ich die samtene Stimme hinter mir sagen. Da änderte ich meinen Plan ein wenig. Mein Jaulen war noch stärker als sonst. Kraftvoll und gebieterisch hallte meine Stimme durch den Wald. Es dauerte nicht lange und sie waren da. Ein Rudel. Zwanzig Grauwölfe kamen aus dem Wald und bildeten einen Halbkreis um mich. Wolfsmensch. Warum rufst du uns? Es war der Anführer des Rudels. Der Alphawolf. Ich brauchte eure Hilfe. Diese Menschen sind böse und töten Wölfe aus Spaß. Ich kann sie aufhalten, doch dafür muss ich kurz weg. Sie dürfen die Hütte nicht verlassen. Der Alphawolf knurrte und fletschte die Zähne. Ich bringe mein Rudel nicht für ein paar Menschen in Gefahr. Ich trat einen Schritt auf ihn zu. Er musste es einfach verstehen! Das würdest du auch nicht. Du würdest die Sicherheit deines Rudels nur in Gefahr bringen um ihre Sicherheit weiter gewähren zu können. Verstehst du? Wenn ihr mir nicht helft, dann seid auch ihr nicht sicher! Die Wölfin neben ihm ergriff das Wort. Wir helfen dir. Der Alphawolf zuckte zusammen. Das hast du nicht zu entscheiden! Die Augen der Wölfin glühten, als sie sich ihm entgegenstellte. Oh, doch. Das habe ich. Wenn unser Rudel in Gefahr ist, dann müssen wir alles tun, um es zu schützen. Der Alphawolf knurrte leise, doch dann wandte er sich wieder mir zu. Na gut. Aber sei dir eins gewiss, wenn es nicht um unsere Sicherheit gehen würde, würden wir dir nicht helfen. Du bist kein richtiger Wolf. Und die Gier des Menschen ist unstillbar. Sie wird immer über den anderen Werten stehen. Seine Augen blitzten, als würde er mich herausfordern, ihm zu wiedersprechen. Doch ich ging nicht darauf ein, auch wenn ich ihm einiges zu sagen hatte. Ich brauchte seine Hilfe und konnte nicht riskieren, die Hilfe seines Rudels zu verlieren. Also neigte ich nur den Kopf. Ja, ich habe verstanden. Seine Augen blitzten wieder, als hätte er gewollt, dass ich ihm einen Grund gab, dass er nicht mehr helfen musste. Umstellt das Haus. Lasst nicht zu, dass sie raus kommen. Während die Wölfe sich um die Hütte herum positionierten, verwandelte ich mich zurück in einen Menschen und zog die viel zu großen Klamotten an. Dann steckte ich die Hand in meinen Rucksack und zog mein Beweismittel heraus.


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