Voldemort zuckte zusammen.
Er sah den Jungen vor sich. Er sah, wie er sich krümmte. Er spürte seine Muskeln zucken. Die Augen rollten in ihren Höhlen umher. Der Junge schwitzte. Sein Arm musste ihm Höllenqualen bereiten, aber er registrierte es nicht. Er fühlte den Schmerz. Den Hass. Die Angst.
Panik schlug in Wellen durch seinen Körper, füllte seine Lunge, ließ ihn blind werden.
Alles, was er sah, war ein kleines Licht am Ende des weitläufigen Ganges.
Neben ihm lag ein dicker blonder Junge.
Harry war aufgestanden – er folgte ihm.
Der Schein wurde größer. Er blendete sie fast. Er wollte seinen Zauberstab ziehen, doch noch bevor er die Gelegenheit dazu hatte, sah er sich selbst in die Augen.
Er zuckte zusammen.
Auch Potter erschrak.
Der Junge sah zwar ihn nicht, wohl aber seine schimmernde Fälschung. Er sah mit an, wie Potter panisch nach hinten stolperte und ausrutschte.
Am Boden angekommen begann er rückwärts davon zu rutschen; seine Augen weiterhin auf sein Abbild gerichtet. Wenn er selbst einen Zauberstab besäße, würde er den Jungen jetzt...
Dasselbe hatte sich wohl auch sein Zwilling gedacht, denn er hob seine Hand und – bot sie ihm an?!
Nicht nur er war verwirrt. Auch Potter stockte. So standen sie da.
»Lass mich dir helfen.«, flüsterte sein Doppelgänger.
War das der richtige Weg? Sollte er ihm seine Hilfe anbieten, anstatt ihn zu jagen wie ein Hase?
Harry schluckte. Er schien unentschlossen.
Vielleicht...hatte sein Abbild Recht? Er sollte seinen Horkrux locken. Er musste sein menschliches Gefäß dazu bringen zu ihm zu gehen. Er musste ihn zwingen sich auszuliefern. Voldemort wollte, dass Harry Potter freiwillig sein Leben in seine Hände legte.
In diesem Moment veränderte sich etwas in Harry. Er sah in das glühende Rot seiner Augen. Sein Blick wanderte zu seiner unbewaffneten Hand. Sie war nach ihm ausgestreckt. Er bot ihm Zuflucht an. Er bot ihm das an, wonach er sich so gesehnt hatte. Die Sucht, der Drang war vergessen. Seine wirbelnden Gedanken wurden leiser. Sein Kopf wurde klarer. Die wütenden Stimmen schwiegen.
Dann wachte er auf.
War er wieder zusammengebrochen?
Sein Blick wanderte im Zimmer umher. Nach seinem Anfall hatte jegliches Mobiliar seine Erkennbarkeit verloren. Zwischen Holzbrettern und Sägespänen schimmerte das Medaillon.
Harry kroch auf die Horkruxe zu. Er streckte seine Hand nach ihnen aus. Mit Staunen bemerkte er, dass sie nicht mehr bebten. Verwirrt langte er nach den Gegenständen und zog sie zwischen dem Dreck hervor. Harry pustete die Holzspäne und den Glasstaub von ihnen und legte sie behutsam in die Kommode, die sich wieder zusammensetzte. Auch das Sofa reparierte sich und er ließ sich auf das Polster niedersinken. Eine Flasche Bacardi schwebte auf ihn zu; er fing sie auf und nahm einen Schluck. Der Alkohol brannte sich einen Weg durch seine Kehle und landete in seinem Magen. Und erst jetzt bemerkte er seine brennende Schulter. Harry zischte auf. Nachdenklich betrachtete er die Wunde.
Er brauchte Medizin.
Die Winkelgasse war, wie immer, leer.
Er hatte seinen Arm notdürftig mit einigen Fetzen eines Shirts verbunden. Doch das Blut sickerte langsam durch.
Harry steuerte auf die Apotheke zu.
Sofort schlug ihm die stickige Luft entgegen, als er den Laden betrat. Er rümpfte die Nase. Es roch wie eine Mischung aus Bauschlangenhaut, eingetunkt in Diptam und verfeinert mit Drachenleber und einer Prise getrocknetem Dianthuskraut.
Ein Mann mit grauen langen Haaren und einer fahlen Haut stand hinter dem Tresen. Er wog gerade Florfliegen ab, als Harry sich vor ihn stellte und sich räusperte.
»Ich brauche einen Trank oder eine Heilsalbe.«
»Gegen was?«, schnarrte der Alte und fuhr fort, die Fliegen in Päckchen zu sortieren.
»Verbrennungen.«
Der Mann sah auf und betrachtete ihn.
»Wo juckt's denn?«
Harry deutete auf seinen Oberarm.
»Lass mich ma seh'n...«, murmelte der andere und verschwand im Lager.
Einige Sekunden später tauchte er wieder auf.
»Wie alt?«
Harry stockte. Er wusste es nicht. Wie lange war er bewusstlos gewesen.
»Ähm...«, war seine geistreiche Antwort.
»Zeich ma her.«, grummelte der Verkäufer und umrundete die Theke. Harry zog die Jacke aus und noch, bevor er etwas unternehmen konnte, hatte der Alte ihn grob am Arm gepackt und schob seinen Ärmel hoch.
Er sog überraschend die Luft ein.
»Hast mir aber nix von magischen Feuer jesacht, mehn Jung'.«, brummte er und ließ ihn los.
»Ditt wird teurer. Einen Moment. Ich muss dafür in den Keller.«
Der Verkäufer ließ ihn wortlos stehen und verschwand wieder. Einige Minuten verstrichen. Harry hatte unlängst seine Jacke wieder angezogen, als der Mann wieder auftauchte.
»Ditte is' ne Abwandlung von der Diptam Essenz. Um einiges stärker. Um einiges teuerer.«
»Was kostet es?«
»20 Galleonen.«
Harry zuckte die Achseln – wurde an seine Verletzung erinnert und legte dem Mann sein Geld hin.
»Drei Tropfen sollten genügen. Sie sollten jetzt für etwa drei Tage jeden Tag die Essenz direkt auf die Wunde träufeln. Es wäre ratsam, daraufhin einen Kühlzauber auf die Wunde zu legen.«
»Weshalb?«
»Weil es etwas brennen wird«
'Etwas'war untertrieben gewesen. Schwitzend lag er auf seinem Sofa und starrte mit verzerrtem Gesicht an die Decke. Immer wieder überrollten Schmerzwellen seinen Körper. In seiner linken Hand hielt er seine Flasche feinstes Goldlackwasser.
...Nun, eine positive Sache konnte man aus dieser Situation ziehen:
Er vertrug in diesem Zustand weniger Alkohol.
Bereits nach einer halben Flasche hatte sich seine klare Sicht verabschiedet. Stattdessen zogen die Dielen Linien und die Deckenlampe formte sich zu etwas, dass ihn an einen Thestral erinnerte.
Der leuchtende Thestral blendete ihn. Er kniff die Augen zusammen und kratzte sich mit dem Flaschenboden an seiner Schläfe. Seine Wunde pochte. Seine Stirn pochte. Sein Herz pochte.
Harry schürzte die Lippen und drehte sich auf die Seite. Sein ganzes Sehfeld begrenzte sich nun auf den versifften Stoff des Sofas. War das eine Milbe? Nein, Milben waren kleiner. So klein, dass man sie nicht sehen konnte. Er schob die Augenbrauen zusammen und versuchte, seinen Blick zu fokussieren. Nein. Doch nur ein Fleck. Ein brauner Fleck. Ein Fleck, der die Form eines Käfers hatte.
Was tat er eigentlich hier?
Wieso philosophierte er über einen schmutzigen Klecks auf dem Stoff einer Sitzgelegenheit?
Harry drehte sich wieder auf den Rücken.
Die Decke hatte aufgehört sich zu verformen.
Das Diptamzeug schien zu wirken.
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Novum Ameno
Romansa3 Jahre sind seit der Schlacht von Hogwarts vergangen; die Muggel wissen von der Zaubererwelt und Voldemort hat den Krieg so gut wie gewonnen. Nur noch Amerika kann den Streitmächten des dunklen Lords standhalten. Harry Potter ist untergetaucht und...