Kapitel 7

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Der Schmerz, den Harry verspürt hatte, wenn Voldemort wütend war oder er ihn berührte, war vergangen.
Das Einzige, was er nun fühlte, wenn der dunkle Lord in Rage war, war ein dunkler Widerhall. Ein Ziehen. Ein Gefühl, dass ihn darum bat sich in diesem zu verlieren. Oh Gott und Harry wollte es. Wollte es so sehr. In den Wogen, die über ihn herfielen baden und sich in der Dunkelheit sonnen. Er hasste es. Es hasste es, zu genießen und sich danach zu sehnen. Er hasste das Verlangen danach. Und nur eines vermochte ihn dazu zu bringen dies zu vergessen. Er versuchte jedes Mal, wenn es geschah seinen Kopf auszuschalten. Sich den reißenden Wogen hinzugeben und nicht darüber nachzudenken. Das waren die Momente, in denen er den Horkruxen das Steuer übergab. Teilweise zumindest...
Es war wieder eine dieser Nächte gewesen, in der von ihm geträumt hatte. Er war durch die Gänge des Waisenhauses gestrichen. Auf der Suche nach etwas. Und dann war da die Wut. Sie hatte ihn übermannt und ihn straucheln lassen. Er war hingefallen; lag auf dem dunklen Steinfußboden und sah, wie die Schlange an ihm vorbei glitt. Dann hatte sie den Mann gebissen. Er hatte geschrien. Da war wieder diese Tür. Die Mysteriumsabteilung und die Kugel. Die Prophezeiung.
Und nun stand er, das Herz ihm bis zur Kehle schlagend, vor einer dunklen Gestalt, die sich am Boden krümmte. 'Tu es! Tu es, Harry!'
»Crucio!«, zischte er. Da war es wieder. Dieses Gefühl. So berauschend. Es brannte sich durch seine Adern, wusch den dunklen Widerhall des Hasses und des Verlangens beiseite und bettete ihn in einen betäubenden Zustand. Der Mann am Boden kreischte. Er hob den Zauber. Ein Keuchen. Ein Stöhnen. Harry kniete sich zu dem Haufen Elend hinunter; es wimmerte. »Incendio.«, flüsterte er. Laute Stichflammen zischten auf und erhellten die dunkle, dreckige Gasse. Der Körper krümmte sich. Schreie gellten durch die Nacht. Es roch nach verbranntem Fleisch und Asche.
Er ließ ihn liegen.


Harry lag auf seinem Sofa, die Arme hinter seinem Kopf verschränkt und sah zu, wie ein goldener Schnatz über seinem Kopf Kreise zog. Die Flügel flatterten leise. Es waren drei Tage vergangen, seit dem er diesen Muggel eingeäschert hatte. Die Zeitungen zerrissen sich gegenseitig darüber, wer so etwas getan haben konnte. Es waren keine Spuren von Benzin oder sonstigen brennbaren Stoffen am Tatort gefunden worden. In einem waren sie sich einig: Es musste ein Zauberer gewesen sein.
Harry hob einen Arm und fing die goldene Kugel. Die Flügel falteten sich wieder ein und er stand auf. Der Schwarzhaarige ging zum Fenster und blickte auf den Kanal, der sich durch die Straßen bahnte hinab. Er drückte den Schnatz gegen seine Lippen. Der Ring fiel in seine Hand. Er hatte den Stein wieder auf den goldenen Kreis setzen können, den er in Dumbledores Büro entdeckt hatte. Das Buch hatte er ebenfalls mitgenommen. Kurz nach Voldemorts Machtübernahme hatte er all die zerstörten Horkruxe wieder aufgesucht und sie gesammelt. Er drehte sich zu der Kommode, welche direkt neben dem Fenster stand. Diese sprang von selbst auf und offenbarte, was in ihr lag. Der durchstoßene Kelch, das verbrannte Diadem, das blutige Tagebuch und das Medaillon. Er legte den Ring in das Loch des Buches, so wie Dumbledore es immer getan hatte und umfasste das Amulett. Der Schwarzhaarige öffnete es mit einem Klicken. Es sprang auf, doch nichts geschah. Harry dachte an die verschwommenen Figuren zurück. Er, wie er nackt umschlungen mit Hermine im Nebel gestanden hatte und Ron, wie dieser wild kreischend den Horkrux durchstoßen hatte.
Er schloss die Schublade wieder.

Auf der Tower Bridge war viel los. Selbst in Zeiten des Krieges war London eine Stadt voller Leben. Die Menschen gingen weiterhin zur Arbeit, eilten über rote Ampeln oder unterhielten sich. Die Engländer waren nicht unterzukriegen. Ob es die unzähligen Plakate waren, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammten, auf denen die Worte „Keep calm and carry on", die den Londonern Hoffnung gaben - oder ihre stille Überzeugung und ihr Mut. Menschen, die im Krieg waren, verhielten sich nicht anders als sonst. Sie hielten an ihrem wackelnden Bild von Frieden fest und träumten von einer heilen Welt, im Angesicht des Todes, der Lügen und der Verzweiflung. Und doch sah man es in ihren Gesichtern: Angst. Der Geschäftsmann der einige Schritte zu schnell ging, die schwangere Frau, die den Kopf gesenkt hielt oder das Kleinkind, das sich an die Hand der Mutter klammerte. Schwer lag das Gefühl von Angst in der Luft. Jeder konnte der Nächste sein.

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