1 (Emma)

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Ich legte genervt meinen Pinsel zur Seite und sah auf die Uhr. So spät.

Ich seufzte laut und theatralisch in dem Wissen, dass mich hier in meinem Atelier niemand hören konnte. Naja, mein Atelier war übertrieben. Dieser kleine Raum vollgestopft mit Farben und Leinwänden war das Abstellzimmer einer Bekannten, in dem ich mich für wenig Geld untermietete. Der raum war nicht größer als fünf Quadratmeter, hatte jedoch ein kleines Fenster durch das ich frische Luft hereinlassen konnte.

Wenig später verließ ich das Haus und ging zu meinen zweit, oder sollte ich besser haupt-, Job sagen. Regen prasselte auf mich herab und das kalte Nass benetzte schon nach kurzer Zeit meine Haut und ließ mich frösteln.

Hätte ich einen Wunsch frei, ich wäre gerne sehr erfolgreiche Künstlerin, die irgendwo auf den Kanaren lebt und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lässt. Ach Mist, zwei Wünsche. Was solls.

Mit einem weiteren Blick auf meine Uhr beschleunigte ich wieder meine Schritte und fing schließlich an zu joggen. Nur ein wenig zu spät, aber dafür völlig außer Atem erreichte ich schließlich mein Ziel. Ein hohes altehrwürdiges Gebäude ragte vor mir in den zunehmend dunkleren Himmel und die schwarzen Wolken spiegelten sich in seinen Fenstern. Ich kenne den Bau wie meine Westentasche, schließlich war ich lange als Studentin auf diese Universität gegangen, jetzt hingegen gehörte ich zum arbeitenden Teil dieser kleinen in sich geschworenen Gesellschaft.

Meine Kunstuni war schon immer ein besonderer Ort gewesen, nicht nur wegen der wunderschönen Architektur, einem Gebäude des Neobaroks, errichtet im 19ten Jahrhundert, das nicht nur mit seinen üppigen Ornamenten, geschwungenen Linien und Kuppeln und Türmen Aufmerksamkeit auf sich zog, sondern auch mit seiner schönen Lage in einem kleinen Park.

In seinen Mauern herrschte ein geordneter Wirrwarr aus freien Geistern mit einer Mischung aus Genie und Wahnsinn. Vielleicht war ich deshalb nie gegangen und hatte so dankbar den Job, den sie mir geboten hatten, angenommen:

Ich durfte alte Gemälde restaurieren und dadurch einen Teil an der Erforschung dieser beitragen. Ich war es, die unter Schichten von Ablagerungen und den Zeichen, die die Zeit zurückgelassen hatte, die wahre Schönheit dieser Gemälde Stück für Stück entfaltete, wie eine aufblühende Rose.

„Da bist du ja", hörte ich ein ungeduldiges Murren, als ich mein Arbeitszimmer betrat, und sofort stand ein hagerer Mann neben mir. Seine Geschichte war wütend verzogen und seine Augen musterten mich abschätzig.

„Ich freue mich auch dich zu sehen, Jonas", flötete ich und gab ihn mein schönstes Lächeln, dann wirbelte ich um ihn herum und lief zu dem Schrank mit den Schätzen. „Was hast du denn heute für mich?", erkundigte ich mich, als ich bereits schon Handschuhe anhatte und vorsichtig meinen zukünftigen Liebling zu meinem Arbeitsplatz trug.

„Das ist schwer zu sagen", knurrte er, noch immer verstimmt von meiner geringen Verspätung," Es ist alt und in einem einigermaßen guten Zustand, so viel steht fest. Ob es aber ein Organal ist, wissen wir noch nicht"

Er seufzte laut und sah wieder zur Tür: „Deine Generation nimmt es mit der Pünktlichkeit nicht sehr ernst" Auf meinen fragenden Blick hin antwortete er schlicht: „Du sollst heute Unterstützung bekommen. Irgendsoeine Kunsthistorikerin" Mit diesen Worten schwang die Tür auf und ich sah sie.

Hellbraune Augen musterten mich hinter dicken Brillengläsern, während blonde Locken sich aus ihrem Dutt lösten und ihr schönes Gesicht umspielten. Sie trug einen dunkelblauen Jampsuit, der ihre Kurven betonte.

„Entschuldigen Sie bitte die Verspätung", waren ihre ersten Worte, während sie die nasse Jacke, die sie wohl schon vor der Tür abgenommen hatte, auf einen Stuhl warf, „Mein Name ist Olivia Bronsbrenner"

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