2(Olivia)

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„Nein", genervt packte ich meine Brotzeitbox in meinen Rucksack, und sah mich dann zu ihm um. „Nein", wiederholte ich das gesagte, „Wir sind jetzt 2 Monate getrennt", ich stöhnte laut, „Fang wenigstens an dir was neues zu suchen"

„Warum", die ewig gleiche Frage, das ewig gleiche Spiel, wie ein Tanz, den wir jeden Tag vollzogen, aber vielleicht brauchen wir das auch. „Die Wohnung läuft auf mich, ich habe die Miete gezahlt. Immer" „Wenn ich dich so störe, dann geh halt", lachte er, sein Machtspiele wieder auslebend. Ich starrte ihn für einen Moment an, musterte seinen ebenen Gesichtszüge, die vergnügt blitzenden, blauen Augen, die Lippen, die ich so gerne geküsst habe.

„Du musst im Übrigen zum Friseur", schnaubte ich nur und sah ihn abschätzig an, „Und deine Kleidung ist echt dreckig" Ätzend konnte ich auch sein. Mit diesen Worten verließ ich das Apartment und stand wenig später auf der Straße vor dem Haus. Ich atmete tief ein. Luft flutete meine Lungen und es fühlte sich, als wäre ich kurz davor gewesen zu ersticken. „Männer", schnaubte ich, während mir im selben Moment bewusst war, dass ich einfach nur Pech gehabt hatte, weshalb ich mich in der gleichen abschätzigen Tonlage korrelierte „Nicht Männer... Mark"

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich viel zu spät dran war und das an meinem ersten Arbeitstag. Aber was solls, es war nur ein Nebenjob, wenn man das so bezeichnen konnte. Eigentlich war es eine Gefälligkeit, die wirre Fantasie eines alten Mannes, der meine Mutter beschwatzt hatte.

„Olivia", hatte sie am Telefon verkündigt", du musst das tun. Ich habe ihm noch einen Gefallen geschuldet und er zahlt dir auch eine passable Entschädigung" Dann war ganz viel Bla bla gekommen und das Ende des Liedes war, dass ein alter Freund von ihr dachte einen Schatz gefunden zu haben und diesen restaurieren und untersuchen lassen wollte. Natürlich möglichst inoffiziell, um das Geld später abgreifen zu können. Es sei ihm gegönnt, aber ausgerechnet jetzt? Mit einem letzten Blick zu meiner und Marks Horrorwohnung machte ich mich auf den Weg.

„Mein Name ist Olivia Bronsbrenner", stellte ich mich einige Zeit später den beiden Gestalten, die auf mich warteten vor. Herr Kaffino war in Realität noch viel grimmiger, als ich ihn mir aus den Erzählungen meiner Mutter je vorgestellt hatte. Seine Antwort bestand jedeglich aus einem Schnaufen und den Engerziehen seines Mantels, den er anscheinend selbst im Haus trug.

„Ich bin Emma", die schwarzhaarige Frau neben ihm streckte mir ihre Hand entgegen, „Wir duzen uns hier eigentlich immer. Du arbeitest heute mit mir" Und schon wenige Minuten später waren sie und ich völlig in die Arbeit vertieft. „Kennst du dich mit Restauration aus", erkundigte Emma sich und stand dabei sehr nah neben mir, während wir beide auf das Gemälde hinabblickten.

Ich schüttelte nur den Kopf, in mir breitete sich immer mehr Lustlosigkeit auf und ich bereitete mich auf langweilige Stunden vor.

„Nun ja", sie lächelte mich an und begann dann ihren Vortrag, „Die Restaurierung von Bildern ist ein komplexer Prozess, vor allem wenn man so wenig über das Gemälde weiß wie wir über dieses"

„Ihr müsst auch nicht viel wissen", knurrte Kaffino von der Seite und setzte sich ächzend auf einen Stuhl. „Ich meinte damit noch nicht mal, wo du das aufgetrieben hast und warum du das alles hier so spät am Nachmittag erledigen möchtest. Ich habe noch nicht Mal darüber spekuliert, dass es daran liegt, dass dann niemand in der Uni ist", lachte die Frau neben mir und zwinkerte mir verschwörerisch zu, „Zunächst beginnen wir mit einer Untersuchung und Dokumentation" Sie reichte mir ein Formular und Stück für Stück gingen wir die Merkmale des Gemäldes durchs, während sie mir Stichworte gab, trug ich sie ein. „Wunderbar", sie strahlte mich an und holte eine Kamera aus einem Schrank im Raum. Geschickt und rutiniert begann sie den jetzigen Zustand des Bildes auch fotographisch zu dokumentieren.

Das Bild an sich zeigte einen Berg, vor dem sich ein gewaltiger Baum erhob dessen Krone in den Himmel reichte. Eine Vielzahl an Tieren waren zu sehen und aus dem Himmel senkte sich ein Lichtstrahl auf eine leere Fläche.

Ich kam nicht darin herum, ihre Eleganz dabei zu bewundern. Ihre dunklen Haare ergossen sich in Wogen über ihre Schultern. " Jetzt kommt die Infrarotreflektographie" erklärte sie mir , aufgeregt wie ein Kind an Weihnachten, das kurz davor war seine Geschenke auszupacken. Hob das Gemälde vorsichtig hoch und bedeutete mir ihr zu folgen.

In einem Nebenzimmer richtete sie ein Werkzeug, ein Infrarotreflektographie-Gerät, auf das Gemälde. Die Infrarotreflektographie war eine faszinierende Technik, die es ihr ermöglichte, unter die oberste Schicht der Farbe zu blicken, ohne das Kunstwerk zu beschädigen. Sie erklärte mir, dass diese Methode auf der Eigenschaft von Infrarotlicht basierte, tiefer in die Farbschichten einzudringen als sichtbares Licht. „Siehst du", begann sie, als sie das Gerät sorgfältig über die Leinwand bewegte, „Infrarotstrahlen reflektieren anders von verschiedenen Materialien. Diese Unterschiede können wir nutzen, um zu sehen, was unter der sichtbaren Oberfläche liegt."

Auf einem separaten Bildschirm zeichneten sich langsam Konturen und Linien ab, die nicht mit dem bloßen Auge zu erkennen waren. Es war, als würde sie durch eine magische Brille in eine vergangene Welt schauen. Ich fühlte, wie mein Herz schneller schlug. Jede verborgene Linie konnte eine Geschichte erzählen, eine Absicht des Künstlers offenbaren, die seit Jahrhunderten verborgen war. Und mit einem Mal war ich von einem ähnlichen Fieber erfasst wie Emma. Ich fühlte mich wie eine Schatzsucherin. „Manchmal" fuhr Emma fort, während sie konzentriert den Bildschirm beobachtete, „entdecken wir unter einer scheinbar normalen Szene eine ganz andere Komposition oder Skizzen, die der Künstler später übermalt hat. Es ist, als würden wir die Gedanken des Künstlers lesen, seine Entscheidungen und Veränderungen im Schaffensprozess nachvollziehen." Ich, gebannt von dem, was auf dem Bildschirm erschien, stellte fest: „Es ist, als würden wir durch die Zeit reisen."

„Genau" lächelte Emma, „Infrarotreflektographie ist unser Zeitfenster in die Vergangenheit. „Langsam enthüllte das Gerät eine bisher unsichtbare Zeichnung unter der obersten Farbschicht. Es war eine Figur, die im endgültigen Bild nicht vorhanden war. Mir wurde klar, dass mein heutiger Job vielleicht doch spannender sein konnte, als ich dachte. 

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