Kapitel 35

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Jackys Sicht:

Ich wiege Linnea, die schluchzend in meinen Armen liegt, beruhigend hin und her. Auf einmal sieht sie mich an und fängt dann wieder an zu weinen. Nach bestimmt zehn Minuten weint sie immer noch, während ich ihr über den Kopf streiche und versuche sie zu trösten. Plötzlich sackt sie zusammen, ist aber schon nach wenigen Sekunden wieder bei sich. Sie sieht sich um und ist dann ganz weg.

J: "Dustin, holst du bitte mal schnell die Trage?"

D: "Ja, bin sofort wieder da."

Schon nach vielleicht einer Minute steht er wieder vor dem Spielhaus. Er stellt die Trage möglichst niedrig und dann heben wir Linnea auf diese. 

J: "Gehen wir schnell ins Auto? Sie scheint mir ein bisschen unterkühlt."

Dustin nickt. Im RTW angekommen fangen wir an, sie ans EKG anzuschließen. Auf einmal steigt ihre Frequenz und sie öffnet ihre Augen. Gerade will sie sich aufsetzen, da drücke ich sie sanft zurück auf die Trage. Glücklicherweise steht Dustin hinter ihr, so dass sie ihn nicht sieht. Sonst hätte sie vielleicht eine Panikattacke bekommen. Sie schien allerdings ein bisschen eingetrübt, ihre Augen waren immer noch glasig und sie reagierte nicht auf Ansprache. Dustin ging nach vorn und wir fuhren los. Linnea wurde immer wieder bewusstlos und dann kurz wieder wach.

Als wir in der Klinik ankommen, winkt Gisela uns direkt durch in den ersten Schockraum. Anscheinend hat Dustin uns schon angemeldet. Schnell schieben wir sie in den Schockraum wo Viola schon wartet.

(V=Viola, L=Linda)

Ich mache die Übergabe:

J: "Also, Linnea Weiß, 14, auf dem Schulhof einer Realschule gefunden, vermutlich unterkühlt, Verbrennungen zweiten Grades, Kopfplatzwunde, ist unterwegs mehrmals bewusstlos geworden und hat nicht auf Ansprache reagiert."

V: "Okay, Dankeschön. Linda, einmal bitte Zugang und Blutabnahme, Wärmeinfusion und CT wegen der Platzwunde anordnen. "

Sicht Viola:

Ich mach bei Linnea einen kurzen Bodycheck. Mir fallen multiple blaue Flecken und Wunden auf. An ihrem Hals ist viel verkrustetes Blut, so dass die Wunde darunter nicht zu erkennen ist. Als ich an ihrem Bauch ankomme, wird mir ein wenig übel- und das obwohl ich schon lange Ärztin bin und somit schon vieles gesehen habe. Über und Über ist ihr Bauch mit Hämatomen bedeckt, alte sowie auch neue.

V: "Jacky, war da nicht vor ein paar Tagen irgendwas mit "du wurdest zusammen mit Linea gekidnappt und alleine bei euch vor der Haustür ausgesetzt"? Es gab da so ein Gerücht hier in der Klinik."

J: "Ja, ein Großteil der Hämatome ist entstanden als dieser Psychokidnapper sie zusammengeschlagen hat. Ihre Schulter war ausgekugelt, vermutlich war eine Arterie in ihrem Oberschenkel verletzt und ich musste einen Druckverband anlegen, sie hatte eine Platzwunde an der Stirn und ihre Arme waren aufgeschnitten."

Jacky atmet durch.

J: "Allerdings hat er mich ziemlich direkt danach 'ausgesetzt'."

Während Jacky mir erzählt was passiert ist, mache ich ein Ultraschallbild von Linneas Bauch.

V: "Linda? Kannst du auch noch beim Röntgen anrufen? Wegen der Schulter, um sicher zu gehen dass da nichts kaputt gegangen ist. Und beim OP, weil hier scheint die Milz kaputt zu sein."

L: "Klar, mach ich."

Ca. 3h später:

Jackys Sicht:

 Ich sitze immer noch im Wartebereich der Klinik. Irgendwann kommt Viola aus dem Schockraum und kommt auf mich zu. Hoffentlich geht es Linnea einigermaßen gut.

J: Gibt es irgendwas neues?

V: Also, erstmal: Es geht ihr gut und sie hat die OP gut überstanden. Bei der Schulterluxation ist zum Glück nichts abgesplittert und sie hat durch die Kopfplatzwunde auch keine weiteren Schäden außer einer leichten Gehirnerschütterung. Vorhin ist sie aufgewacht und musste sich mehrmals übergeben. Das Labor hat ziemlich viel zu tun, weshalb ihre Werte auch frühestens in drei, vier Tagen zu erwarten sind. Vermutlich kommt ihre Übelkeit von der Gehirnerschütterung, es könnten aber auch die Betäubungsmittel und das Narkotikum von der OP sein.. Die Wunde an ihrem Hals musste genäht werden und die Arterie im Bein und die Milz haben wir geflickt bekommen.

J: Oje. Kann ich zu ihr?

V: Klar, komm, ich zeige dir wo ihr Zimmer ist.

Wir gehen gemeinsam auf die Intensivstation. Als ich in ihr Zimmer eintrete, riecht es nach Erbrochenem und Desinfektionsmittel. Auf dem Bett sitzt Linnea. Sie ist blass wie ein Bettlaken  und hält einen Eimer in ihrer Hand. "Hey, wie geht's dir?" frage ich vorsichtig. Sie antwortet nicht sondern starrt weiterhin geradeaus. Auf einmal übergibt sie sich in den Eimer. Ich halte ihr die Haare und streiche ihr über den Rücken, was allerdings keinen positiven Effekt hat. Sie zuckt bei meiner Berührung heftig zusammen. Schnell ziehe ich meine Hand weg und hebe ihr Kinn an, als sie fertig mit Übergeben ist. "Linnea. Ich bin es. Jacky. Du bist raus aus dem Keller. Wir sind raus aus dem Keller." Linnea blinzelt. Tränen steigen ihr in die Augen. Ich breite meine Arme aus. Erkennt sie mich überhaupt? Sie hebt ihr Arme und umarmt mich. Ich drücke sie vorsichtig an mich, als sie schon wieder würgt. Ich lasse sie los und halte ihr den Eimer hin. Auf dem Nachtschränkchen steht ein kleines Glas Wasser, das ich ihr gebe. "Zum Ausspülen." sage ich. Dankbar nimmt sie es an.

*Kurz vorher*

Linneas Sicht:

Mir wird plötzlich übel und ich muss würgen. Ich übergebe mich und blinzle. Dann kommt alles zurück: Der Keller, die Schule, Jacky, Der Rettungswagen und die Klinik. Und jetzt? Anscheinend immer noch Klinik, da ich Schläuche an mir hängen habe und mehrere Verbände um Hals, Kopf, mein verletztes Bein und um beide Arme habe. Mein einer Arm hängt in einer Schlaufe. Ich sehe neben das Bett, wo ein Haufen meines Mageninhaltes liegt. Oh Mann. Wie kriege ich das wieder weg? Die Menschen die hier arbeiten werden dann doch bestimmt wütend wenn die das sehen. Ich könnte abhauen! Vorsichtig fange ich an, die Schläuche von meinem Oberkörper zu entfernen. Der Ton, der von dem Gerät ausgeht, das mit einem der Schläuche verbunden ist fängt plötzlich an zu piepen, was mich ordentlich zusammenzucken lässt. Schon einige Sekunden später steht eine blonde Frau in der Tür des Zimmers. Die kenne ich doch? Ah, ja: Linda hieß sie glaube ich. Sie sieht mich ziemlich erschrocken an.

Linda: Linnea? Was machst du denn da? Wie geht es dir? Viola? Sie ist aufgewacht! 

Ich hoffe sie sieht nicht dass ich erbrochen habe. Es ist jetzt nicht so einfach zu übersehen, aber die Hoffnung besteht. Ich beiße die Zähne zusammen und bereite mich schon mal auf die Standpauke vor. Jetzt. Jetzt hat sie es gesehen.

Linda: Oje. Hast du dich übergeben? Ich mach das mal kurz sauber. Viola ist auch gleich da.

Was? Kein Anschreien? Kein Prügeln? Ich erinnere mich noch an das eine mal, als ich mich bei ihm im Flur übergeben musste. Er hat mich blau und grün geschlagen und mich gezwungen, das Erbrochene mit bloßen Händen wegzumachen.

V: Hey, Linnea. Wie geht es dir? Oh, ist dir immer noch schlecht? 

 Sehe ich so schlimm aus? Vermutlich schon. Sie geht zu einem kleinen Wagen neben meinem Tisch und holt eine kleine Schale heraus, als ich schon wieder würge. Gerade noch rechtzeitig hält sie mir die Schale vors Gesicht. Mir ist immer noch übel und ich fühle mich furchtbar schlapp. 

Sicht Viola:

V: Also, du hast eine leichte Gehirnerschütterung, eine ausgekugelte Schulter, Verbrennungen zweiten Grades, eine gerissene Milz und ebenfalls eine angerissene Arterie im Bein, welche wir aber beide flicken konnten. Außerdem haben wir die Wunde an deinem Hals genäht.

Sie fährt mit einer Hand zu ihrem Hals und über den Verband. Sie blinzelt. 

Ich wünsche ihr gute Besserung und benachrichtige sie, dass Jacky sie auch gleich besuchen kommt. Eigentlich würde ich noch länger bleiben, schließlich ist Jacky eine gute Kollegin und Freundin von mir, aber momentan ist die ITS ordentlich voll. Gleich ist Mittagspause, so dass ich Jacky Bescheid sagen gehen kann.



Der Wind in meinem GesichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt