Mein Beschützer

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Selbst am Abend ließ mich dieser Satz des Liedes nicht los: "Das Herz sagt bleib', der Kopf schreit geh'".

Ich dachte darüber nach, bis ich schließlich in einen unruhigen Dämmerzustand verfiel. Mit einem Ruck wachte ich jedoch tief in der Nacht auf. Ein heller Blitz zuckte durch den Himmel. Gleich darauf folgte ein ohrenbetäubender Donnerschlag, der die Scheiben vibrieren ließ.

Scheiße, nein!

Es war kein Geheimnis, dass ich unter Astraphobie litt. Schon als kleines Kind hatte ich Angst vor Gewittern. Es war sogar so schlimm, dass ich teilweise Beruhigungstabletten nehmen musste.

Der Regen klatschte mit einem Höllenlärm an die Scheiben. Der Wind jaulte bedrohlich. Erneut erhellte ein Blitz mein Zimmer und es folgte ein noch heftigerer Donnerschlag.

Meine Hände begannen zu zittern. Mein Herz klopfte so heftig gegen meine Brust, dass ich dachte, es würde gleich herausspringen. Mein Schlafanzug klebte an mir. Blitzschnell knipste ich meine Nachttischlampe an.

Michael, dachte ich. Er ist mein Freund, ich brauche ihn.

Zittrig griff ich zum Smartphone und wählte seinen Kontakt aus. Flehend hielt ich mir das Telefon ans Ohr.

Bitte nimm ab. Bitte. Bitte.

Schließlich meldete sich eine raue, dunkle Stimme von der anderen Seite.
"Was ist los?", murmelte Michael völlig verschlafen.

"G-Gewitter.", keuchte ich und drückte mich noch fester gegen die Wand, an der mein Bett angrenzte.

Michael grummelte.

"Mach' die Augen zu und schlaf'.", brummte er und legte dann auf.

"Michael?", fragte ich. "Michael?".

Er hat aufgelegt! ER HAT AUFGELEGT!

In meinen Augen sammelten sich Tränen. Ich wimmerte. Abermals ließ mich ein Donnerschlag zusammenfahren.

Plötzlich klopfte es an meiner Tür.

"Roni?", kam es besorgt von draußen.

"Stefan.", wimmerte ich, wollte aus meinem Bett schlüpfen, doch konnte meinen Körper nicht dazu bringen aufzustehen und die sichere Zuflucht zu verlassen.

Stefan öffnete die Tür. Seine Haare waren zerzaust. Als sein Blick auf mich fiel, setzte er sich sogleich in Bewegung und kam zu mir herüber.

Er ließ sich neben mich auf's Bett fallen und hielt mir dann etwas hin. Hektisch sah ich auf seine Handfläche. In ihr ruhte eine blaue, längliche Pille - eine meiner Beruhigungstabletten.

"Hast du schon eine genommen?", fragte er mich besorgt.

Ich schüttelte mit dem Kopf.

"Okay.", hauchte er, überreichte sie mir und griff nach der Wasserflasche, die ich neben meinem Bett stehen hatte.

Flink nahm ich die Tablette und spülte sie mit dem Wasser herunter.

Ein weiterer Donnerschlag ließ mich zusammenzucken.

"Scccchhhhhhhhtttttttt.", machte Stefan beruhigend und rückte näher an mich heran, um beide Arme beschützend um mich zu schlingen. Dann wiegte er mich hin und her, wie ein kleines Kind. "Ssccchhht.", machte er erneut. "Das Gewitter kann dir nichts tun. Du bist hier sicher. Vertrau' mir.".

Ich vertraue dir.

Schließlich lagen wir zusammen in meinem Bett. Stirn an Stirn. Stefan hatte seine Arme fest um meine Taille geschlungen.
Ich zitterte immer noch leicht, doch ich hatte mich ein wenig beruhigt. Dank Stefan. In solchen Momenten wusste ich, wie dankbar ich sein konnte, dass ich ihn einen Freund nennen konnte.

Während ich hellwach war, merkte ich wie sehr Stefan mit dem Schlaf kämpfte. Immer wieder fielen ihm die Augen zu. Es war ein Kampf, den er schließlich doch verlor. Inzwischen war das Gewitter jedoch weitergezogen. Nur in der Ferne konnte man noch ein leises Grollen vernehmen.

Stefans Umarmung hatte natürlich an Kraft verloren. Ein Arm hing schlaff auf meiner Taille, während der andere auf der Matratze ruhte. Seinen Kopf hatte er jedoch nicht bewegt.

Ich betrachtete sein Gesicht das erste Mal in völliger Ruhe. Mir fiel auf, dass Stefan leichte Sommersprossen um seine Nase hatte. Unter seinem Auge war eine kleine Narbe zu sehen, die von Windpocken stammen musste. Er sah friedlich aus, wenn er schlief. Schon immer hatte er diese beruhigende Ausstrahlung, die ich immer wieder bewunderte.

Mit einem Lächeln im Gesicht schlief ich schließlich ein.

Chefs liebt man nicht [Shindy FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt