Kleine Worte [AS]

Nur 90 Tage

Mürrisch blickte ich mich um, als ich durch den Bahnhof Gare de Carnot eilte.
Ich musste unbedingt pünktlich sein, wenn ich mich noch verabschieden wollte.
„Oy, Dake!"
Ich wandte mich um und sah meinen Kumpel ein paar Meter von mir weg stehen, seine große Reisetasche zwischen den Füßen.
Was hatte der Arsch sich dabei gedacht, an einem doofen Austauschprojekt mitzumachen und für 3 verdammte Monate nach Paris abzuhauen.
Die Stadt der Liebe, pfff... eher die Stadt der willigen Weiber.
Und ich sollte hier bleiben!? Kacke.
Ich fand es ja eh schon total dämlich, dass mich meine Eltern schon wieder aus meinem geliebten Australien nach Frankreich verbannt hatten, weil ich ihnen zuhause so unkontrolliert war.
Aber hier konnte man nicht mal surfen!
Wie auch, 4 Autostunden landeinwärts.
Es war zum Heulen und jetzt musste der einzige hier, mit dem ich normal, das hieß Englisch, reden konnte, auch noch abhauen.
„Get your head up, Mate! Mann, Dake, es sind drei Monate." Flint lachte mich also auch noch aus, ja?
Flint, der richtig Eugene Fitzwillam Flint hieß, war, seit ich klein war, mein bester Kumpel und wenn meine Eltern mal wieder der Meinung waren, mich zu Boris abzuschieben, war er immer der Erste, der am Flughafen auf mich wartete. Er war schon oft auch bei mir in Sydney gewesen. Seine Eltern waren Engländer, die hier in der Stadt eine kleine Computerfirma hatten.
„Klar, drei Monate allein mit diesen arroganten Franzmännern. Und alle Mädchen total verklemmt. Und wenn die vorbei sind, kommst du zurück und ich fliege wieder nach Sydney. Toll."
Er lachte und boxte mir auf die Schulter.
„Ach, du hast doch in den Sommerferien mit dieser Nana rumgemacht, oder wie sie hieß. Und bald sind ja wieder Ferien und dann kommst du einfach wieder."
Ich legte den Kopf schief. Etwas klingelte dunkel bei mir, aber ich merkte mir die Namen meiner Eroberungen nur selten.
„Und? Ich bin aber bei der nicht zum Schuß gekommen und nur rumlecken, das ist doch die Mühe nicht wert."
Mein Kumpel lachte.
„Kriegen wir dich auch noch mal groß? Irgendwann wirst du den Wert einer ernsthaften Beziehung kennenlernen."
„So wie du, damit sie dich dann abserviert, is' klar..."
Flint zuckte mit den Schultern.
Er hatte sich mit Charlotte eingelassen, ohne wirklich zu checken, dass sie die beste Freundin des Teufels war. Niemand kam an der Amoris High an Amber vorbei und Flint hatte ihren „Boyfriend-Check" nicht bestanden. Obwohl er gut aussah und alles.
Er hatte dieses dunkle Haar und die schokobraunen Augen, die die meisten Frauen liebten.
Und trotzdem hatte Charlotte doch mit ihm Schluss gemacht.
Wenn sie keine eigene Meinung hatte...
„Was ist das denn eigentlich für eine Mieze, die für dich dann hier her kommt?" Ich lehnte mich an das Geländer. Es waren noch 15 Minuten, bis der Zug nach Paris eintraf.
„Ich weiß nicht. Sie heißt Evette oder so irgendwie... ich hab es in meinen Unterlagen zu stehen, aber die kram ich jetzt nicht raus."
„Ist ja auch egal. Aber so hatte ich mir meinen Aufenthalt in Frankreich nicht vorgestellt, dass du dann ebenfalls abhaust."
„Sorry, Alter. Aber ich hatte die Anmeldung dafür schon draußen, bevor ich wusste, dass du doch noch mal für ein Vierteljahr herkommst."
Ich selber war nämlich auch erst gestern aus dem Flieger gestiegen. Ich hatte mich auf Partywochenenden und jede Menge Weiberhöschen gefreut, aber außer mit Flint konnte man das hier mit keinem anderen Typen machen.
Die meisten Jungs an der Amoris waren... anders. Der Schulsprecher hatte einen Stock im Arsch und nahm alles tierisch ernst, obwohl er so ein ganz netter Kerl war. Der Möchtegern-Gangsta der Schule, Castiel, hatte in Wahrheit wahrscheinlich einfach nur Schiss, dass die Leute rauskriegten, dass er nachts mit einem Teddy ins Bett ging und sein Kumpel Lysander lebte in einer ganz anderen Dimension. Die Zwillinge Armin und Alexy waren in Ordnung, obwohl ich sagen muss, dass man mit Alexy richtig Spaß haben konnte. Er liebte Partys und Feiern. Er war schwul, aber das war ja sein Problem, nicht meins. Er war cool.
Und die Mädchen... naja...
Wenn man davon absah, dass Amber, die Schwester des Schulsprechers, ein Drachen war und man ihr die Stimme klauen müsste, war sie ziemlich geil.
Richtig geiler Arsch, die Hupen waren nicht zu verachten und ich stand auf lange, wallende blonde Haare, in denen ich meine Finger vergraben konnte, während das Mädel auf den Knien zugange war.
Aber genug davon. Denn Amber war prüde wie eine puritanische Jungfrau und duldete es nicht, das jemand in ihrem Umfeld irgendwelche romantischen oder sexuellen Kontakte hatte.
Wie eine Äbtissin im Kloster.
Wenn ich sie durchnehmen könnte, würde sie danach nichts anderes mehr machen wollen.
Aber sie stand ja meilenweit über mir. So hatte sie es gesagt. Ich sei arrogant und könnte sie mal kreuzweise.
Als ich sie fragte, wann und wo ich das machen solle, hat sie es erst gar nicht kapiert.
Dumme Triene.
Und die anderen waren nett, aber nicht der Rede wert. Eher so der Typ Kumpel, nichts zum Vögeln. Bei denen hätte ich danach wahrscheinlich das Gefühl, einen schweren Missbrauch begangen zu haben... Nee, lieber nicht.
Ich stand nicht auf Sex mit Schuldgefühlen.
Oder irgendwelchem Liebestheater danach.
„Es fährt ein: Der Intercity 3668 über Châteaucreux nach Paris." ertönte die Lautsprecherdurchsage und Flint machte einen Schritt zur Seite.
„Tja Alter. Dann heißt es jetzt erstmal Adiéu."
Flint boxte mich auf die Schulter und wir umarmten uns kurz.
„Wenn du Heimweh hast, denk dran, uns bleibt immer noch Saint-Étienne." scherzte ich und er nickte und reichte einem Schaffner seine Tasche.
Ich blieb stehen, bis der Zug außer Sichtweite war.
Das konnten ja tolle drei Monate werden.
90 Tage, in denen ich nur Französisch sprechen sollte und mich mit diesen Jugendlichen herumschlug, die alle irgendwie anders waren als ich.
Mit einem Seufzen verließ ich den Bahnhof und setzte mich am Place Sadi Carnot auf eine Bank unter einen Baum. Einige Mädchen spielten dort in der Sommersonne mit einem Volleyball und ich schaute ihnen fasziniert zu.
Vielleicht war ich ein bisschen auch ein Spanner, aber danach fühlte ich mich etwas besser.