Verstohlene Blicke [BL]

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Die ersten Sonnenstrahlen drangen durch die dichten Vorhänge des vornehmen Schlafgemachs, als der Jüngling die Tür öffnete, um ein Tablett mit frischgebrühtem Tee auf ein Tischchen zu stellen.
„Guten Morgen, junger Herr."
Unter dem kunstvoll bestickten Stoff der Bettdecke schob sich ein silberhaariger Schopf hervor und verschlafen aussehende verschiedenfarbene Augen blickten den jungen Diener an.
„Danke, Dan."
Der junge Diener neigte den Kopf, zog die Vorhänge von den Fenstern und öffnete eines.
Kühle Luft drang in den eleganten Raum, während der andere junge Mann aus dem Bett aufstand und sich genüßlich streckte.
Seine Brust war nackt und der Diener vermied es, die seidig schimmernde Haut zu lange zu betrachten.
Er wusste, es stand ihm nicht zu, seine Herrschaften zu lange und ungeniert zu begaffen.
Oder den jungen Herrn gar direkt zu bewundern, weil er einfach wunderschön war.
„Soll ich Euch in die Kleider helfen oder möchtet Ihr lieber zuerst ein Bad nehmen?"
Der Angesprochene fuhr sich mit der Hand durch die Haare und goss sich aus einem Krug etwas Wasser in einen Becher.
„Ich denke, ein Bad würde mir sicher gut tun. Es ist..." Er warf einen Blick auf eine der teuren Uhren, die sein alter Herr angeschafft hatte. „... zwar erst 7 Uhr, aber so eine Hitze..."
Dan, der junge Diener, nickte mit einem feinen Lächeln.
„Ich werde die Wanne vorbereiten und Wasser heiß machen. Bitte... das Frühstück ist ebenfalls bereit, mein Herr."
Er legte dem Silberhaarigen ein Hemd über, der es zuknöpfte.
„Sind meine alten Herrschaften schon erwacht?"
„Nein, mein Herr. Aber Euer Bruder hat schon einen Ritt über das Gut gemacht."
Der junge Mann lachte und ordnete sein Haar.
In einen eleganten Morgenrock gewandet, verließ der Silberhaarige das Zimmer, während der Diener zurückblieb, um das Bett in Ordnung zu bringen. Er legte die Bettdecke auf das Fensterbrett zum Auslüften und glättete das Laken.
Als er die Kissen aufschüttelte, atmete er tief ein. Ein milder, sauberer Duft drang in seine Nase und er widerstand dem Drang, das Kissen an seine Nase zu heben und tief einzuatmen, nur mit Mühe.
Dan schluckte schwer.
Es war nicht richtig und er konnte es nicht mal erklären, warum ausgerechnet der junge Herr so eine Faszination auf ihn ausübte.
Er, Dan, kannte den jungen Herrn mit dem wohlklingenden Namen Lysander von Anfang an, denn der war zwei Jahre jünger als er selbst.
Daniel Devont, den eigentlich alle nur mit Dan ansprachen, war im Alter von 3 Jahren in die Obhut der gräflichen Familie Graham gekommen.
Diese führten zu diesem Zeitpunkt – es waren mittlerweile 16 Jahre vergangen – ein kleines Waisenhaus und seine Eltern hatten ihn kurzerhand vor diesen Pforten ausgesetzt, weil sie ihn und seine 8 Geschwister nicht ernähren konnten.
Ein gängiges Schicksal für viele Bauernkinder in der Mitte des 18. Jahrhunderts.
Dan erwies sich als aufgewecktes, wissbegieriges Kind, was ihm sehr früh die Chancen eröffnete, in den Haushalt der Familie zu gelangen und das Handwerk des Leibdieners zu erlernen.
Lysander war noch ein Krabbelkind, als Dan von dem Waisenhaus in das Haupthaus zog. Dessen älterer Bruder Leigh war so alt wie Dan und immer eher ein ruhiger Junge, der nie viel redete, meistens zeichnete oder las oder auf dem Rücken eines Pferdes unterwegs war.
Während Dan wie ein Schatten an dem alten Butler hing, um möglichst viel zu lernen, hing der kleine Lysander wie eine Klette an ihm.
Denn Leigh machte sich nicht viel aus seinem Bruder und spielte so gut wie nie mit ihm.
Die Herrschaften Graf und Gräfin duldeten es eine Zeitlang, das Lysander mit dem Dienerkind spielte, doch als er 5 wurde, bekam er eine Gouvernante, die ihm das Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte und ihn in höfischem Verhalten unterrichtete. Die wollte nicht, dass er sich mit der einfachen Dienerschaft abgab und so hörte es eben auf.
Aber das Verhältnis zwischen ihm und Dan war noch immer... irgendwie besonders.
Selbst jetzt noch, nach 16 Jahren des Nebenherlebens.
Lysander war inzwischen 17 und zu einem wunderschönen Jüngling herangewachsen. Schönheit, die sich herumsprach.
Seine Eltern waren sehr reich und sehr angesehen und so kam es in regelmäßigen Abständen zu Gesellschaften auf dem Herrschaftssitz der Grahams.
Unnötig zu erwähnen, dass Lysander dabei die Attraktion und der meistbegehrte Tanzpartner war. Auch sein Bruder Leigh konnte sich nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beschweren, obwohl er seit vergangenem Winter mit der ebenso wunderschönen wie reichen Tochter eines befreundeten Großgrundbesitzers verlobt war und so eigentlich nur noch mit ihr tanzte.
Dan, der während solcher Anlässe immer rufbereit an einem der Saaleingänge stand, erwischte sich oft dabei, wie seine Augen nur dem Jungen mit den silbernen Haaren folgten und wie ein sonderbares Gefühl an ihm nagte, dass er nicht verstand.
Dan schüttelte die Kissen in Lysanders Bett auf, richtete sie her und breitete die ausgelüftete Decke wieder über der breiten Matratze aus.
Er betrat das Nebenzimmer und legte frische Tücher zum Abtrocknen bereit, damit der junge Herr ungestört sein Bad nehmen konnte.
„Dan?"
Ein Zimmermädchen tauchte hinter ihm auf.
„Ah, Betsy. Kannst du Wasser heiß machen und die Wanne für den Herrn füllen?"
Das Mädchen nickte.
„Aber ja. Das dauert nicht lange. Ist der Herr beim Essen?"
Dan nickte und strich mit den Fingern über die Tücher, die in kurzer Zeit den Körper Lysanders umschließen würden.
Er biss sich auf die Lippen und schämte sich für diesen Gedanken.
Das war falsch und wider die Natur, beim Anblick eines Mannes ein erregendes Gefühl zu verspüren.
„Gut, dann kümmere dich um das Wasser. Der junge Herr wird sicher in 15 Minuten wieder oben sein."
„Ich bin unterwegs, Dan." Das Mädchen knickste und verschwand.
Der junge Diener verließ das Zimmer und betrat nach wenigen Minuten die Küche, um einen Tee für seine Herrin aufzubrühen. Sie mochte es, wenn sie um Punkt 8 Uhr morgens ihren kleinen Salon betrat und einen heißen Tee und etwas Gebäck vorfand.
Er richtete alles an und bereitete den Salon vor.
Es war aufgrund der Wärme draußen nicht nötig, ein Feuer im Kamin zu entfachen und so verließ Dan das Zimmer, bevor seine Herrin kam.
Er fand Lysander im Frühstückszimmer vor, eine Brötchenhälfte im Mund und die Nase in einem Buch.
Dan musste unwillkürlich lächeln, als er sich daran erinnerte, dass der kleine Lysander vor mehr als 10 Jahren versucht hatte, ihm ein Sonett von Shakespeare vorzulesen und immer wieder hängengeblieben war, weil er noch nicht so gut lesen konnte.
„Wünscht Ihr noch etwas, mein Herr?"
Der Silberhaarige zuckte zusammen und das Brötchen fiel zu Boden.
„Oh..."
Dan ging zu ihm, um das Stück Brot aufzuheben. Lysander hatte die gleiche Idee und fing an zu lachen, als die beiden mit den Köpfen zusammenstießen.
„Mein Herr, verzeiht..."
„Warum redest du immer so, Dan?"
„Was meint Ihr?"
„Na das! Früher hast du mich geduzt."
Dan senkte höflich den Blick.
„Ihr seid mein Herr, ich bin ein Diener. Es steht mir nicht zu, Euch so formlos anzusprechen."
Lysander seufzte und seine verschiedenfarbenen Augen musterten den jungen Mann vor sich. Früher waren sie Freunde. Er hatte es zumindest so empfunden. Bis diese Hexe kam, die seine Eltern Mrs. Miller nannten, seine Gouvernante.
Sie hatte ihn gedrillt, ihm jeglichen Spaß verboten und auch untersagt, dass der einfache Bauernbengel auch nur mit ihm redete.
Das hatte Lysander damals sehr verletzt und deswegen hatte er die ältliche Dame auch nie wirklich gemocht und war froh, dass sie verschwand, sobald er 15 war.
„Ich bestimme, was dir zusteht und was nicht, Daniel..." murmelte er und hörte selbst, dass eine gewisse Zärtlichkeit in seiner Stimme lag.
Es war schon immer so gewesen, dass er, Lysander, sich diesem Jungen aus einfachsten Verhältnissen näher gefühlt hatte als seinem eigenen Bruder, der viel mit sich selbst zu schaffen hatte.
„Mein Herr..."
„Warum kannst du das nicht einfach so hinnehmen? Ich möchte nicht so geschwollen angesprochen werden von dir... wir kennen uns so lange..."
Lysanders Stimme wurde leiser und Dan schluckte.
„Ich... Euer Bad steht oben in Eurem Gemach für Euch bereit."
Der Silberhaarige seufzte.
Dan war einfach zu gut geschult, um sich einfach mal gehen zu lassen.
Dabei musste er es doch auch spüren, oder?
Dieses ungewöhnliche, außerordentliche und unangemessene Gefühl zwischen ihnen beiden. Ein Gefühl, das mit Vernunft nicht zu erklären war, denn immerhin waren sie beide Männer.
„In Ordnung. Ich werde mein Bad nehmen und dann ausreiten. Du kannst dich vorerst zurückziehen. Meine Mutter wird wohl bald aufstehen."
Lysander ging an dem jungen Diener vorbei und, ob durch Zufall oder Absicht, seine Hand streifte die des anderen Mannes.
Ein elektrisches Gefühl zuckte durch beide Männer, doch keiner von beiden wagte es, sich in diesem Moment zu dem anderen umzudrehen.
Mit pochendem Herzen eilte Lysander die breite Treppe in seine Gemächer hinauf, riss die Tür förmlich auf und warf sie hinter sich zu. Schwer atmend blieb er an dem lackierten Holz stehen und lehnte sich an.
Was war nur los mit ihm?
Es war nicht richtig, diese absurden Gefühle... sollte er diese nicht für ein Mädchen haben?
Er wurde bald 18 und dann lag es bei ihm, eine Braut zu wählen, zu heiraten und eine Familie zu gründen.
Doch der Gedanke behagte ihm nicht. Er lehnte es ab, eine Frau zu ehelichen. Er hatte kein Interesse, ein verheirateter Mann und Gemahl einer unzufriedenen Frau zu sein, die sich nach ein paar Jahren Ehe eventuell einen Liebhaber nehmen würde, weil er unmöglich in der Lage sein konnte, einer Frau zu Willen zu sein.
Zugegeben, er hatte es noch nie versucht und keine Erfahrung auf dem Gebiet, aber im Gegensatz zu Freunden, die er hatte und die ihm immer erzählten, wie reizvoll sich Amüsierdamen gaben, empfand er nichts Dergleichen, wenn er auf den Festen seiner Eltern mit jungen Damen tanzte.
Es amüsierte ihn, sicherlich und viele der Mädchen waren wunderschön und sicher auch sehr liebenswert, aber etwas in ihm sperrte sich gegen sie.
Bei Daniel hingegen war es anders.
Es machte ihm Freude, wenn er ihn sehen konnte, er genoß es, ihn in seiner Dienerlivree zu sehen, wie er im Garten Rosen schnitt und sich seine nussbraunen Haare aus dem Gesicht strich.
Als Kind wollte er um jeden Preis mit ihm befreundet sein, auch wenn er aus dem Waisenhaus kam und ein einfacher Bauernsohn war.
Seine Eltern mochten und schätzten Dan, denn er war intelligent und fleißig.
Doch auch sie hätten kein Verständnis für seine verwirrten Gefühle, denn in dieser Zeit – sie schrieben das Jahr 1752 – wurden Männer ins Zuchthaus gesperrt, wenn sie dabei erwischt wurden, dass sie... andere Männer liebten.
Lysander seufzte und starrte auf seine Hände.
Das war nicht so, oder?
Daniel war ein Bauernsohn, ein Nichts im Vergleich zu ihm, einem Angehörigen des englischen Adels.
Er durfte solch einen Menschen nicht mehr schätzen als jeden anderen!
Er hatte einen Ruf zu verlieren, der befleckt werden würde, wenn seine tiefe Freundschaft zu dem Diener bekannt wurde.
Aber er wollte nicht von ihm ablassen.
Er mochte ihn. Er hatte keine aufrichtigen Freunde und fühlte sich nur bei Dan gut aufgehoben. Auch wenn der ihm wegen seinem selbst auferlegten höfischen Gehabe wohl kaum wirklich sagen würde, was er dachte.
Als würde Lysander ihn für seine Ehrlichkeit bestrafen, wenn er verlangte, dass er die Wahrheit sagte.
Er stemmte sich von der Tür weg und begann schon im Gehen, sich seiner Kleidung zu entledigen. Mit einem Seufzen ließ er sich in das heiße Wasser gleiten und griff nach der kostbaren Seife, die sein Vater von einem Besuch aus Indien mitgebracht hatte.
Er spülte sich den klebrigen Schweiß von der Haut. Er mochte den Sommer nicht... man sagte dem englischen Sommer Regen und Nebel nach, aber die wenigsten wussten, dass es auch Tage gab, an denen die Temperaturen mörderisch werden konnten. Die Feuchtigkeit Englands kam da nur noch erschwerend hinzu.
Nachdem er sich die Haare ausgespült hatte, stand er auf und hüllte sich in eines der duftenden Tücher.
Er trocknete sich ab und nachdem er in seine Kleider gestiegen war, genehmigte er sich eine Tasse des mittlerweile erkalteten Tees.
Er mochte ihn so.
Mit einem Band von Shakespeare nahm er in seinem bequemen Sessel Platz und vertiefte sich. Er hatte keine rechte Lust, bei den Temperaturen das kühle Haus zu verlassen.
„Mein Herr... das Essen ist angerichtet."
Ein schüchternes Zimmermädchen stand in der Tür, ihre geröteten Wangen auf ihre Füße gerichtet.
Lysander zog die Brauen hoch und sah auf die Uhr.
War es wirklich schon Mittag?
Hatte er vier Stunden gelesen, ohne es zu merken?
Er legte das Buch auf den Beistelltisch und erhob sich.
„Vielen Dank, Betsy. Mir ist wohl einiges an Zeit durchgegangen, wie mir scheint." Er lächelte und bemerkte, dass das Mädchen noch roter wurde.
Sie schwärmte also auch für ihn? Sie war hübsch... mehr nicht. Völlig uninteressant...
Er betrat das Esszimmer und begrüßte als erstes seine Mutter mit einem liebevollen Kuss auf die Wange.
„Mutter, du siehst wie immer hinreißend aus. Vater. Leigh."
„Oh, was bist du für ein Lügner, mein Junge."
Dan betrat das Esszimmer und half den Mädchen, den Mittagstisch zu decken. Anschließend blieb er an der Seite der Gräfin stehen, denn genau genommen war er ihr persönlicher Leibdiener. Es kam zwar zunehmend vor, dass er auch Lysander zu Diensten war, aber das störte niemanden. Die Dienstboten halfen, wo sie gebraucht wurden.
„Lasst es euch schmecken, meine Lieben." Lysanders Vater, Graf William Graham machte eine einladende Geste und jeder bediente sich.
„Ich würde gern etwas mit euch besprechen."
Die Graham-Männer sahen alle zu der Gräfin, die sich diebisch zu freuen schien.
„Dieser Sommer ist so wundervoll und erfrischend und blühend, dass ich gern eine Gesellschaft geben würde... ich dachte an den Freitag in zwei Wochen. Für Lysander wäre es eine wundervolle Gelegenheit, potentielle Heiratskandidatinnen kennenzulernen und uns allen würde ein bisschen gepflegter Übermut ganz gut tun."
Lysander biss die Lippen aufeinander und seine Augen trafen auf die von Dan. Der lächelte, als würde er wissen, dass Lysander dachte.
Heiratskandidatinnen!
Und schon hatte der Silberhaarige keine Lust mehr auf einen Ball.
Doch sein Vater nickte erfreut und Leigh freute sich auf eine weitere Gelegenheit, seine Verlobte in kontrollierter Umgebung wiederzusehen. Denn er und seine Rosalia hatten einander noch niemals allein getroffen. Das gehörte sich nicht für eine anständige Verlobung.
„Gut, dann ist das beschlossen. Ich fange sofort mit den Vorbereitungen an. Wir brauchen ein Buffet, weitere Diener und natürlich eine Kapelle, die aufspielt. Oh, das wird wundervoll."
Lysander hatte plötzlich keinen Hunger mehr und stocherte nur noch mit der Gabel in seinem Gemüse.
Er verbrachte den Tag auf den Ländereien, die der auf dem Rücken seines treuen Hengstes Nikodemus zubrachte.
„Warum ist das so kompliziert, Niko?"
Geknickt saß er an dem kleinen Fluß, der durch die Ländereien seiner Familie floß. Der stolze Hengst hatte sich neben ihm niedergelassen und knabberte an einigen Grasnarben, die er erreichen konnte. Lysander hatte oft das Gefühl, dass dieses Tier ihn verstand.
„Ich will keine Heiratskandidatinnen kennenlernen, die alle nur mein Gesicht sehen und sich nicht dafür interessieren, was ich für ein Mensch bin. Ist das die beste Voraussetzung für eine Vermählung?"
Der Hengst schnaubte laut und Lysander schmunzelte.
„So sehe ich das auch..."
Der Himmel verdunkelte sich und der junge Mann erhob sich. Mit einem leichten Zug an den Zügeln stand auch das majestätische Tier wieder auf und Lysander schwang sich in den Sattel.
„Komm, mein Junge. Wir schaffen es nach Hause, bevor es regnet."
Er sollte nicht Recht behalten.
Als er den Hengst dem Stallburschen übergab, war er bereits völlig durchnässt.
Er stieß das Eingangsportal auf und machte Pfützen auf die Fliesen.
Bereits zitternd hängte er den Mantel an einen Garderobenständer und sah auf, als sich eine Tür öffnete.
„Mein Herr, Ihr seid in den Regen gekommen? Schnell, eilt Euch in Euer Gemach und zieht die nassen Sachen aus. Ich bringe Euch Tee und warmes Wasser zum Baden."
Lysander lächelte.
Dan war wirklich immer da, wenn man ihn brauchte. Mit ihm ging die Sonne auf.
Er nickte und beeilte sich, den Worten des aufmerksamen Dieners zu folgen.
Zitternd stand er in dem kleinen Badezimmer und warf seine Kleidung auf einen feuchten Haufen, als Dan den Raum betrat und ihm einen Krug mit heißem Tee hinhielt. Dem Geruch nach enthielt er Brandy.
„Es ist nicht so, wie es sein sollte, ich entschuldige mich. Aber es wärmt Euch."
Lysander lächelte.
Dan hatte Recht. Normalerweise kam er mit einem silbernen Tablett, einer Kanne und einer zierlichen Tasse und ein paar Keksen. Das hier war... ursprünglicher. Aber es machte ihm nichts aus.
Während er ein paar Schlucke trank, legte der Diener ihm ein Handtuch über die Schultern und rieb ihn trocken.
„Ihr solltet wirklich besser aufpassen."
Das Licht in dem Raum wurde immer spärlicher, als das Unwetter direkt über dem Haus zu stehen schien und als es das erste Mal blitzte, zuckte Lysander fast unmerklich zusammen.
„Ihr fürchtet Euch noch immer vor Gewitter, habe ich Recht?"
Dans Stimme war leise und er ließ das Handtuch weiter über die Haut fahren.
„Ja... merkt man, hm? Von wegen Erwachsen." Lysander lachte zittrig und peinlich berührt, doch er spürte, dass er Gänsehaut auf den Armen bekam.
Etwas, das nicht an der Kälte lag.
„Daniel..." hauchte er leise und schloss die Augen, als der Angesprochene das Handtuch fallen ließ und seine Finger über die Haut streicheln ließ.
„Es tut mir leid..."
Sich schlagartig der Tatsache bewusst werdend, dass er seinen Herrn anfasste, ließ der Diener die Hände sinken, doch Lysander stellte den Becher weg und drehte sich zu ihm um. Er ergriff die Hände des jungen Mannes und legte sie sich auf die Schultern.
„Mir ist kalt..." Er legte seine Stirn auf die Schulter des Dieners und sog dessen Duft ein. Dieser milde Hauch nach Seife und Zigarrenrauch aus der Bibliothek seines Vaters.
Spürbar und sichtbar zitternd hob er seine rechte Hand an den Hals von Dan und zog ihn etwas an sich.
„Wärme mich." Er hob den Kopf und legte seine Lippen auf die von Dan, der überrascht zurückzuckte, doch die Verbindung nicht unterbrach.
Im Gegenteil. Er vertiefte sie nach wenigen Sekunden.
Einige Minuten verloren die beiden jungen Männer sich in einem liebevollen und leidenschaftlichen Kuss, während das Licht um sie herum starb.
Es war, bis auf eine Kerze, dunkel im Zimmer, als sie sich wieder trennten.
„Ich... es tut mir leid, vergebt mir bitte..." Dan trat überrascht, geschockt ein paar Schritte zurück und starrte seinen Herrn an.
Bevor der realisierte, was geschah, war der Diener schon aus dem Zimmer verschwunden und Lysander knickten die Knie ein.
Das... war das Beste in seinem Leben. Nie hatte er sich so glücklich gefühlt, einem Menschen so nah, so willkommen.
Doch er konnte verstehen, dass Dan weggelaufen war.
Was hatte er sich da nur erlaubt? Er hatte eine Grenze zwischen Herrschaft und Diener übertreten, die eigentlich stets unangetastet bleiben müsste.
Plötzlich hundemüde verließ er das Zimmer, entledigte sich seiner Hose und ging ins Bett.

Kleine Worte [AS]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt