Halt' mich, bevor ich mich verlier' [BL]

104 8 1
                                    

... schlanke Hände strichen über schimmernde Haut und leises Seufzen war zu hören. Küsse und Zärtlichkeiten tauschten die Besitzer und rotes Haar vermischte sich mit schwarzem, als einer der Jungen sich über den anderen lehnte. Geschlossene Augen und streichelnde Finger ließen Gänsehautschauer über die Haut krabbeln und flüsternde Liebesbekundungen hingen in der Luft. Die Jungen genossen einander. Ohne an ein Morgen zu denken...

„Armin... HEY, ARMIN!"
Ich zuckte zusammen und sah mich nach der Stimme um. Mein Bruder hing halb auf dem Tisch und starrte mich an.
„Was ist denn?" Ich war völlig verwirrt, weil ich ganz offenbar im Unterricht eingepennt war.
Mal wieder.
„Herr Bergmann, das ist das dritte Mal diese Woche, dass Sie in meinem Unterricht einschlafen. Das ist zuviel. Raus mit Ihnen auf den Flur. Zur Strafe stehen Sie den Rest der Stunde vor der Tür!"
Das konnte doch nicht wahr sein?!
Murrend erhob ich mich und schob die Tür hinter mir zu.
Toll. Jetzt durfte ich hier die ganzen 60 Minuten hier rumstehen und das bei der Hitze. Ich stellte mich an das Fenster und sah hinaus auf den Schulhof.
Es war nicht viel los dort, weil es mitten im Unterrichtsblock war, und trotzdem konnte ich die unverkennbaren roten Haare des Schulrebells bei der Turnhalle erkennen.
Castiel schwänzte mal wieder. Denn eigentlich musste er jetzt mit mir und den anderen in der Geschichtsdoppelstunde sitzen und sich durch „Krieg und Frieden" quälen.
Ich lehnte mich auf das Fensterbrett und erwischte mich nach ein paar Minuten dabei, dass ich ihn anstarrte.
Gereizt wandte ich den Blick ab und drehte dem Fenster den Rücken zu.
Verdammt...
Erinnerungen blitzten in mir auf.
Alte Erinnerungen, von denen ich mir geschworen hatte, nie wieder darüber nachzudenken.
Denn es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein.
Ich war nicht wie mein Bruder. Ich stand nicht auf Jungs!!
Die kleine Stimme in meinem Kopf, die mich des Lügens bezichtigte, ignorierte ich wie immer.
Als es klingelte, taten meine Beine weh und ich seufzte erleichtert, als mein Bruder mit meiner Mappe aus dem Klassenzimmer kam.
„Was zockst du die halbe Nacht und pennst dann immer ein? Irgendwann wird nur noch dein Name im Klassenbuch stehen..."
Alexy lachte und reichte mir meine Tasche.
Ich zuckte mit den Schultern und gemeinsam gingen wir nach draußen, um uns auf unsere übliche Bank zu setzen. Während er sofort anfing, wie ein verhungernder Geier seine Pausenbrote zu verschlingen, wanderten meine Augen einmal mehr zu dem Rothaarigen, der an der Wand lehnte, mit einer Flasche jonglierte und an seiner Zigarette nuckelte.
Er sah schon verdammt gut aus...
Seine Augen trafen meine und ich sah erschrocken zur Seite.
Konnte es sein, dass er auch noch daran dachte?
Es war mittlerweile fast 2 Jahre her, das wir...
Ich hob wieder den Kopf und blickte direkt in seine schimmernden grauen Augen. Seine Lippen waren zu einem Grinsen verzogen. Aber eines, das nicht sehr angenehm war.
Wahrscheinlich machte ich mir etwas vor. Die Dinge, die wir einander damals gesagt hatten, waren im Eifer des Gefechts herausgerutscht und hatten keine Bedeutung.
Natürlich nicht.
Castiel war ebenso wenig gepolt wie mein Bruder wie ich.
Wir tickten normal... oder?
Alexy sprang nach einigen Minuten auf und rannte zu seiner besten Freundin. Ich blieb allein und überlegte, ob ich meine PSP herausholen sollte.
Doch ich überlegte es mir anders. Es war heiß und die Sonne blendete so sehr, dass ich auf dem Display nichts würde erkennen können.
Als es klingelte, hatte ich keine Lust, mich in das Schulgebäude zu begeben und blieb noch etwas sitzen.
„Hey, Zocker..."
Ich hob meinen Kopf und war froh, dass die Sonne meine Wangen eh rot färbte, denn Castiel stand vor mir, seinen Rucksack geschultert, der Blick arrogant und umwerfend.
„Was?"
„Vielleicht solltest du ein Bild von mir machen, dann hast du mehr davon als mich die ganze Zeit anzuglotzen. Willst du, das irgendwer glaubt, dass wir uns näher kennen?"
Ich presste meine Lippen aufeinander.
Irgendwie schmerzten mich seine Worte.
Denn Fakt war, dass wir einander näher kannten. So nah, dass es nicht noch näher ging. Ich kannte jeden Zentimeter seines Körpers, seinen Geruch, ich wusste, wo er gern berührt wurde... und er wusste es von mir.
Konnte er denn wirklich so tun, als wäre das damals alles nicht passiert?
Ok, wir waren gerade 16 geworden und hatten vielleicht nur experimentiert, aber ich musste mir selbst eingestehen, dass es mir etwas bedeutet hatte... zumindest ein bisschen.
„Aber das tun wir doch... uns näher kennen, meine ich..."
Castiel schnaubte und sah sich um, bevor er sich ein Stück zu mir runterbeugte.
„Ich habs nicht vergessen. Und ich bringe dich um, wenn du das publik machst, das verspreche ich dir!"
Ich sah ihn nicht an.
„Schon kapiert. Noch was?"
„Nein..." rotzte er und machte sich auf den Weg ins Schulhaus.
Ich fühlte mich schlecht, als ich ihn folgte und mich im Klassenzimmer schweigend neben meinen Bruder setzte.
Wenn ich vor zwei Jahren gewusst hätte, dass es mir heute solche negativen Gefühle bereiten würde, hätte ich mich damals nicht mit Castiel eingelassen. Hätte ihm auf der Klassenfahrt nicht gestattet, in mein Bett zu krabbeln, weil er fror. Hätte nicht zugelassen, dass seine Hände meinen Körper erforschten. Hätte nicht zugelassen, dass sich das die ganze Woche wiederholte. Und erst recht nicht, dass wir in der letzten Nacht vor der Abreise miteinander schliefen.
Ich bereute nicht, was geschehen war, tat es nie.
Doch diese komischen Gefühle, die mich seither quälten, hasste ich und ich wollte, dass sie verschwanden. Doch das taten sie nicht.
Meine Augen suchten immer wieder nach dem Jungen, der meinen Körper erweckt hatte. Nachts träumte ich von den Erlebnissen, die wir miteinander hatten.
Und ich sehnte mich danach, dass sich das wiederholte.
Der Witz war allerdings, dass mich niemand anders interessierte.
Also war ich schon mal nicht schwul. Denn andere Jungs kümmerten mich nicht.
Doch kaum waren wir wieder zuhause und alles ging wieder den gewohnten Gang, tat Castiel so, als würden wir uns nicht näher kennen.
Er war wieder so rotzig und frotzelig wie immer zu mir und allen anderen. Man kam zwar miteinander klar, aber wirklich Freunde waren wir nicht. Castiel wollte keine Freunde und machte das allen sehr schnell klar. Für ihn gab es nur Lysander.
Und ich quälte mich mit den Erinnerungen.
Ich glaube, erst durch diese Sache wurde ich überhaupt zu so einem exzessiven Zocker. Denn ich suchte nach allem, was mich von einer unangemessenen Sehnsucht nach einem Jungen ablenkte, der mich wie Luft behandelte.
Ich fühlte mich benutzt.
Denn erst hatte er mich verführt und dann ließ er mich links liegen.
Anfangs habe ich versucht, ihn zu hassen, doch das ging nicht. Meine Faszination war zu groß.

Kleine Worte [AS]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt