Take 28

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Es war ein heller Frühsommertag in London, und die Stadt erwachte zum Leben, während Sam auf dem Weg zur Arbeit war. Ein ganzes Jahr war vergangen, seit seine Welt in Trümmern lag und er sich gezwungen sah, ein neues Kapitel in seinem Leben zu beginnen. Der Umzug nach London war ein großer Schritt, einer, den er sich lange überlegt hatte, bevor er ihn wagte. Nach der turbulenten Zeit in Berlin hatte Sam das Angebot des British Museum am Ende doch angenommen und war nach London gezogen. Das Museum hatte ihn schon früher einstellen wollen und Sam war es nur recht. Mit der Unterstützung seines neuen Arbeitgebers fand er eine gemütliche Wohnung im Londoner Süden. Die Veränderung war eine willkommene Flucht vor der ständigen Erinnerung an die Medienbelagerung und die schmerzvolle Trennung von David. Das Leben in einer neuen Stadt half ihm, sich neu zu orientieren und seine Psyche zu schützen. Der mediale Rummel um seine Beziehung zu David hatte sich endlich gelegt, und Sam wurde in London in Ruhe gelassen. Die Anonymität der Großstadt gab ihm die Chance, sich selbst wiederzufinden und seine Karriere voranzutreiben. Er arbeitete inzwischen Vollzeit im British Museum, wo er sich auf seine Leidenschaft für Kunst und Geschichte konzentrieren konnte. Die Arbeit im Museum war erfüllend und gab ihm eine feste Struktur, die ihm half, den emotionalen Schmerz zu bewältigen. Den Kontakt zu David hatte er vollständig abgebrochen. Es war eine harte, aber notwendige Entscheidung, um seine geistige Gesundheit zu bewahren. Die Erinnerungen an ihre Zeit zusammen waren zu schmerzhaft, und jeder Gedanke an den anderen löste einen stechenden Schmerz in seinem Herzen aus. Doch trotz der Distanz und der vergangenen Zeit vermisste er David jeden Tag. Es gab Momente, in denen die Sehnsucht überwältigend war, und er sich fragte, ob es jemals leichter werden würde. In den letzten Monaten hatte Sam versucht, sein Leben weiterzuleben. Er ging auf Dates, lernte neue Leute kennen und versuchte, eine normale Beziehung zu führen. Doch jedes Mal, wenn er sich auf jemanden einließ, stellte er fest, dass er David nicht vergessen konnte. Jede Berührung, jedes Lächeln erinnerte ihn an das, was er verloren hatte. Die Wunden in seinem Herzen waren noch nicht verheilt, und er fühlte sich, als ob er einen Schatten der Vergangenheit mit sich herumtrug.
An diesem Morgen nahm Sam die U-Bahn zum Museum, so wie er es jeden Tag tat. Während die Bahn durch die Tunnel fuhr, sah er aus dem Fenster und ließ seine Gedanken schweifen. Plötzlich bemerkte er etwas, das ihn abrupt aus seinen Gedanken riss: Ein riesiges Filmplakat, fast lebensgroß, von Davids und Jonathans neuem Film prangte an der Wand der Station. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er das Plakat sah. Darauf waren David und Jonathan in ihren Filmrollen abgebildet, in einer intensiven Szene, die die ganze Dramatik des Films einfing. »A Hero's Sacrifice« lautete der Titel. Die Erinnerungen an die Zeit, als der Film gedreht wurde, fluteten zurück, und Sam spürte den vertrauten Schmerz wieder aufsteigen. Er konnte den Blick nicht von Davids Gesicht abwenden. Der Anblick brachte all die Emotionen zurück, die er so mühsam verdrängt hatte. Die Liebe, die Trauer, die Sehnsucht – alles war wieder da, als ob keine Zeit vergangen wäre. Tränen stiegen in seine Augen, und er musste sich setzen, um nicht umzukippen. Die Leute um ihn herum bemerkten seine Reaktion nicht, sie waren in ihre eigenen Welten vertieft, während Sam innerlich kämpfte, die Fassung zu bewahren. Die Bahn fuhr weiter, doch für Sam stand die Zeit still. Er wusste, dass er stark bleiben musste, dass er nicht zulassen durfte, dass diese Erinnerungen ihn wieder überwältigten. Doch tief in seinem Herzen wusste er auch, dass er David niemals wirklich vergessen würde. Er war ein Teil von ihm, ein Teil, den er immer lieben würde, egal wie sehr er versuchte, weiterzugehen. Er versuchte, sich zu beruhigen, und hatte bald seine Station erreicht.
Er betrat das Museum und ließ sich kurz darauf schwer in seinem Bürostuhl fallen. Die Gedanken an das Filmplakat und die Erinnerungen, die es geweckt hatte, schwirrten noch immer in seinem Kopf. Das Büro war noch leer, und er hatte ein paar Minuten für sich, bevor sein Chef eintreffen würde. Ein innerer Drang trieb ihn dazu, mehr über den Film herauszufinden. Er öffnete seinen Laptop und ging auf YouTube. Seine Finger zitterten leicht, als er in die Suchleiste den Titel des Films eintippte: »A Hero's Sacrifice«. Sofort erschien der Trailer in den Suchergebnissen, und Sam klickte darauf und der Trailer begann mit dramatischer Musik und epischen Landschaftsaufnahmen. Eine Stimme aus dem Off sprach über die Herausforderungen und Opfer, die ein Held auf sich nimmt. Dann erschien David auf dem Bildschirm, in seiner Rolle als Dr. Alexander Stuart. Sam spürte, wie sein Herz schneller schlug, als er Davids Gesicht sah, das von Entschlossenheit und Schmerz gezeichnet war. Die Szenen wechselten schnell, zeigten den Kampf gegen eine mysteriöse Epidemie, die politischen Widerstände und die persönlichen Opfer, die Dr. Stuart bringen musste. Dann sah er Jonathan in der Rolle des amerikanischen Arztes Michael, wie er an der Seite von Dr. Stuart arbeitete. Die Chemie zwischen den beiden Figuren war greifbar, und die Intensität ihrer gemeinsamen Szenen war überwältigend. Als die Liebesszene zwischen David und Jonathan kurz im Trailer erschien, fühlte Sam einen scharfen Stich in seinem Herzen. Die beiden Schauspieler lagen eng umschlungen, ihre Küsse und Berührungen wirkten so echt, dass es Sam schwerfiel, zu atmen. Tränen stiegen in seine Augen, und er musste sich zusammenreißen, um nicht laut zu schluchzen. Dann endete der Trailer und die letzten Worte des Off-Sprechers hallten in seinem Kopf wider: »Ein Held opfert alles für das Wohl der Menschheit.«
Sam schloss den Laptop und lehnte sich zurück. Er saß eine Weile da, starrte an die Decke und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Das Leben musste weitergehen. Die Zeit würde vielleicht nicht alle Wunden heilen, aber sie würde ihm helfen, einen Weg zu finden, mit dem Schmerz zu leben.
Kurz darauf betrat Henry das Büro. Er war der Kurator der griechischen Sammlung und Sams Vorgesetzter. Henry war ein freundlicher, aber direkter Mann, der stets ein offenes Ohr für seine Mitarbeiter hatte. Er war Ende fünfzig und Brite durch und durch. Er begrüßte Sam mit einem warmen Lächeln.

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