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Nova
„Audrey? Was ist los?" ich presste mir mein Handy ans Ihr und wappnete mich bereits für die nächsten schlechten Nachrichten.
„Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass Mum wieder stabil ist und sie heute noch entlassen wird. Sonntags wird wohl keiner entlassen, weil die Ärzte nicht alle arbeiten und da Mum keine zwei Nächte hier bleiben möchte... ich hole sie gleich ab und werde wohl einige Nächte bei ihr bleiben." teilte Audrey mir mit und der knoten in meinem Bauch lockerte sich etwas.
„Ich würde ja kommen und es übernehmen, aber..."
„Nein. Bleib du bei deinen Freunden. Ich denke nicht dass ich euch zwei zur Zeit alleine lassen kann." sie sagte es mit dem Hauch eines Witzes, dich ich fand es nicht witzig. Ich fand es schlimm, dass meine Mutter und ich scheinbar noch weniger gerade klar kamen, als sonst schon. Ihr ging es scheiße und ich konnte nichts machen. Ich würde es durch meine Anwesenheit scheinbar nur schlimmer machen...
Ich blieb stehen und sah dabei zu, wie sich die Gruppe immer mehr von mir entfernte. Wir kamen gerade vom Abendessen zurück, wofür wir einige Minuten in eines der Restaurants gelaufen waren. Die Sonne ging bereits langsam unter und tauchte unsere Umgebung in wunderschönes warmes Licht. Der Fluss neben mir rauschte und durch die Blätter der Bäume zog ein leichter Wind.
„Geht schonmal vor." Gino kam wieder zurück in meine Richtung. Er entdeckte das Telefon an meinem Ohr und ließ einige Meter zwischen uns.
„Sobald sie wieder besser drauf ist... ich spreche mit ihr Okay? Die Sache mit Dad und Danny hätte sie nicht sagen sollen."
„Sie hätte sie nicht mal denken sollen..." murmelte ich.
Ein leises hm kam von ihrer Seite.
„Habe ich den Eindruck gemacht, als wäre ich darüber hinweg? Hat die Tatsache, dass ich nicht allein gekommen bin wirklich so gewirkt, als würde ich irgendjemanden ersetzen wollen?" fragte ich. Ich hatte mir die ganze Woche darüber den Kopf zerbrochen, ob die Worte meiner Mutter wirklich eine Daseinsberechtigung hatten oder nicht...
„Nein... es war für sie vielleicht einfach nur komisch dich im Krankenhaus mit jemanden zusehen der... eben nicht Danny ist. Vielleicht hat dieses Bild sie einfach nur an diese schreckliche Zeit zurück erinnert, in der Dad immer zu den Therapien musste... Danny war eben immer an deiner Seite um dich zu unterstützen und... und mit Gino war es am Sonntag eben ähnlich."
„Mhm."
„Nova jetzt sei doch nicht so. Du musst sie doch auch irgendwie verstehen können."
„Tue ich ja auch in bestimmten Maßen." meine Stimme wurde plötzlich laut. „Aber dieses Verständnis sollte von beiden Seiten kommen. Ich verstehe dass sie nicht ständig über Dad reden möchte. Ich verstehe sogar ein bisschen, warum sie nicht andauernd an das Gasthaus erinnert werden möchte. Aber sie versteht nicht, dass ich mein Leben nicht vollkommen nach ihr ausrichten werde. Sie sollte langsam mal verstehen, dass ich Dad nicht einfach auslöschen möchte. Und sie sollte auch verstehen, dass ich mit Dads Tot genauso Schwierigkeiten habe wie sie. Und sie sollte verstehen, dass ICH mit der Sache mit Danny klar kommen muss und nicht sie. Sie hat nicht ihren Vater und drei Monate später ihren Freund verloren Okay? Aber sie verhält sich so, als wäre Danny ihr Sohn gewesen und ich nur seine Freundin, die dafür die Schuld trägt!" zum unzähligsten Mal an diesem Tag, stiegen mir die Tränen in die Augen.
„Niemand gibt dir die Schuld dafür Nova..." flüsterte sie leise.
„Doch! Mum tut es! Ich tue es!"
Es wurde still am anderen Ende. Ich habe etwas ausgesprochen, was bisher niemand gewagt hat. Weder Mum, meine Schwestern, noch ich. Ich ließ mich auf die Bank am Flussufer fallen, nahm das Handy vom Ohr und legte auf. Niemand hätte bei diesem Telefonat noch etwas sagen können, was irgendwie geholfen hätte. Und gerade als ich meinen Tränen und dem Schluchzen den Weg frei machte, ertönte seine Stimme... Ginos brummige ruhige Stimme.
„Nova..."
„Wieso erwischt du mich immer beim heulen?" ich ließ den Kopf hängen und versuchte gar nicht erst die Tränen zu unterdrücken. Ich hörte ein leises Lachen. Keines was mich verspottete, sondern einfach nur ein Lachen, ein schmunzeln... über unsere Situation. Er setze sich neben mich auf die Bank und spielte mit seinem Handy in der Hand. Er drehte es, klopfte auf der Rückseite herum, drehte es wieder...
„Was ist mit Danny passiert?"
Autsch! So ruhig und vorsichtig er meistens war, das war gerade ein Schlag. Er ist direkt mit der Tür ins Haus gefallen. Hatte mich mit einem Auto angefahren und gleich noch seine Freunde über mich drüber fahren lassen. Ungefähr so hatte es sich angefühlt.
„Er ist tot." gab ich genauso ehrlich und direkt zurück. Ich konnte ihm ansehen, dass er damit nicht gerechnet hat.
„Wie? Also...Ehm..."
„Er hat sich umgebracht, drei Monate nachdem mein Vater gestorben ist. Ich war mit ihm zusammen, seit wir 14 Jahre alt waren. Ich kannte ihn seit der Grundschule... er hatte immer mal wieder diese Phasen, in denen er selten dass Haus verlassen hat, teilweise Wochenlang nicht zur Schule konnte, weil er es einfach nicht gepackt hat aufzustehen. Die letzten Monate mit meinem Vater waren hart und Danny hat sich große Mühe gegeben mich zu unterstützen." erzählte ich plötzlich los. „Er hat mich abgelenkt, hat mit mir im Krankenhaus gewartet und bei uns zuhause geholfen, wenn es meinem Vater und damit uns allen wieder schlechter ging. Nachdem mein Dad gestorben ist, habe ich viel Zeit mit meinen Schwestern verbracht und ihn allein gelassen... er kam wieder in eine dieser Phasen und..." ich atmete durch. „Ich war nicht bei ihm, weil ich dachte, ihm kann es ja nicht schlechter gehen als mir." Gino legte sanft seine Hand auf meine, weil ich wieder dabei war sie blutig zu kratzen. „Nachdem ich mich eine Woche lang nicht gemeldet habe und auch nichts von ihm gehört habe, bin ich zu ihm nachhause gefahren. Seine Eltern haben mich rein gelassen. Ich sollte mich mit ihnen an den Küchentisch setzen und... sie haben mir gesagt dass er sich drei Tage zuvor vor einen Güterzug gelegt hat." ich weinte wieder los. Diese ganzen Erinnerung schon wieder zu durchleben... „Ich war so mit mir und meinen Problemen beschäftigt, dass ich nicht gemerkt habe das mein Freund seit drei Tagen tot war!"
Gino legte einen Arm um mich. Mal wieder hinter ließ ich Spuren meiner Tränen auf seiner Schulter, doch es schien ihn nicht zu stören. Er hielt mich fest und ließ mich weinen. War da für mich und... seine reine Anwesenheit hatte eine Wirkung auf mich. Ich hatte das Gefühl es mit ihm zu schaffen. Es zu schaffen mich gleich zu beruhigen, zurück zu den anderen zu gehen und die Stimmung nicht komplett runter zu reißen.
„Wie kann ich dir helfen?" raunte er in mein Ohr.
„Lass mich heute nicht mehr los."
„Das schaffe ich." er stand auf und hob mich gleich mit auf die Beine. „Was hältst du davon, wenn wir schwimmen gehen?" fragte er grinsend, legte einen Arm um meine Schultern und führte mich zurück Richtung Camp.
„Ich dachte du wolltest heute nicht mehr schwimmen gehen?"
„Ich wollte nur nicht allein mit Freya schwimmen gehen."
Zurück bei der Gruppe, scheuchte Gino alle von ihren Stühlen hoch zu einer Runde Nachtbaden. Bis auf die 5 Minuten, in denen wir uns unsere Schwimmsachen angezogen hatten, ließ er mich wirklich nicht mehr los. Ich kam aus dem Waschraum und... ach du heilige scheiße! Gino lehnte an der wand vor mir und... ich konnte ja bereits erahnen wie gut sein Körper aussehen musste aber... puh. Seine Tattoo bedeckten den kompletten rechten Arm und zogen sich noch einwenig über Brust und Schulter. Er hatte breite Schultern, während der Rest eher schmaler und definierter wurde.
„Was starrst du mich so an?" fragte er mit einem verschmitzten Grinsen legte wieder einen Arm um meine Schultern und ging Richtung Badestelle, wo die anderen bereits warteten. Wir legten unsere Handtücher zu den der anderen auf den Boden und betraten den Steg, von dem Kenji, Gibby und Lui gerade mit einer Arschbombe ins Wassersprangen.
„Komm schon Effie." brummte Brix, während Effie an der Leiter stand und quietschte.
„Es ist so kalt!"
„Nein!" plötzlich griff Brix vom Wasser aus nach Effie und zog sie rein.
„Du Arsch!" schrie sie auf und prustete.
„Wie kalt ist es Bayda?" fragte ich meine Freundin.
„Ziemlich kalt." sie grinste mich bereits aus dem Wasser an.
Gino machte kurzen Prozess und sprang vom Steg ins Wasser.
„So schlimm ist es nicht!" rief er und beobachtete mich dabei, ein ich einen zeh von der Leiter ins Wasser tauchte.
„Oh Gott." fluchte ich.
„Lass mich nochmal raus." Gino stieg wieder aus dem Wasser. Ich dachte er hätte vielleicht etwas vergessen und wollte es noch holen, stattdessen blieb er vor mir stehen, lächelte, packte mich und schmiss mich mit einem Atemzug über seine Schulter.
„Wag es nicht Gino!" kreischte ich, doch da nahm er schon Anlauf und sprang mit mir zusammen ins Wasser. Mir blieb für einen Moment die Luft weg, als ich ins kalte Bergwasser eintauchte. Ich brauchte ein zwei Sekunden um mich zu orientieren und aufzutauchen. Um mich herum lachten alle und Gino sah mich mit ein zufriedenen Blick an.
„Geht dich oder?" fragte er und ich spitzte ihm nur etwas Wasser ins Gesicht als Antwort. Unter Wasser legte er einen Arm um meine Taille und zog mich an ihn näher heran. Obwohl seine Augen dieses tiefe dunkle braun hatten, sah ich etwas in ihnen leuchten. Das Leuchten, welches mir den Atem raubte. Meine Hände fanden wie automatisch zu seinen Schultern, strichen vorsichtig se8nen Hals entlang, berührten die Nassen Haare in seinem Nacken.
„Darf ich mal kurz." Freya tauchte neben uns auf und hielt sich an Ginos Schulter fest. Wenn Blicke töten könnten, wäre Gino wohl jetzt ein Mörder... „Das Wasser ist so tief, dass man nicht stehen kann und Minuten lang schwimmen... zu anstrengend." sie lächelte Gino zuckersüß an, Mich eher... angeekelt. Ich habe lange nicht mehr eine Person getroffen, die mir so unsympathisch war.
„Freya Schätzchen." Bayda tauchte auf unserer anderen Seite auf und lächelte Freya an. „Dieser Mann hat definitiv kein Interesse an dir. Also lass die zwei in Ruhe, zisch ab und such dir eine andere Schulter zum fest halten oder geh aus dem Wasser, wenn du eine Pause brauchst." das freundliche Lächeln vom Anfang, hatte Bayda verloren und sah eher genervt aus. Freya schenkte ihr einen abschätzigen Blick, schwamm dann aber tatsächlich wieder weg.
„Gino tut mir echt leid, wie sie sich verhält." Seren und Leo kamen umklammert wie Affen an uns vorbei geschwommen. „Eige t,ich ist sie echt ganz nett. Aber... sie wurde vor zwei Wochen von einem Typen sitzen gelassen für eine andere und jetzt... muss sie es sich irgendwie selbst beweisen, dass sie... naja... dass sie jeden haben kann."
„Vielleicht hat sie es ja jetzt verstanden." Gino lächelte sie an.
„Bei dir alles gut?" wandte Bayda sich leise an mich.
„Ja..." raunte ich. Gino sprach währenddessen noch kurz mit Leo und Seren weiter. „Ich habe ihm von Danny erzählt."
„Oh. Wow!" sie wirkte überrascht. Wahrscheinlich weil ich ihr erst fast ein halbes Jahr nach unserem Kennenlernen und unserer genauso langen Freundschaft davon erzählt habe und dass eigentlich auch nur, weil sie mich bei einer Art Heulattacke erwischt hat. Ich kam gerade nach den Weihnachtstagen von meiner Familie zurück und... es war keine schöne Zeit...
Ginos Griff verfestigte sich wieder etwas indem Moment in dem Leo und Seren verschwanden und er sich wieder uns zu wandte. Die Stellen an denen sein Körper meinen berührte glühten trotz des kalten Wassers um mich herum.

That goddamn smile Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt