11

83 2 0
                                    

Nova
„Hi." Cyana grinste uns müde aus ihrem Krankenbett an, die Decke bis hoch zum Kinn gezogen. Auf ihrer Stirn klebte ein Pflaster, genauso wie am Kinn.
„Schätzchen." meine Mutter strich sanft über ihre Haare.
„Was ist passiert? Niemand wollte uns was sagen und... du warst solange im Op! Was hast du?" sprudelte es aus Audrey hervor.
„Ich bin beim Bike fahren von der Strecke abgerutscht. Ich habe mir die rechte Schulter und den linken Oberschenkel gebrochen. Aber die Ärzte haben gerade gesagt, dass ich ziemlich schnell wieder wach wurde und sie mich recht schnell entlassen können. Natürlich noch nicht heute aber... irgendwann bald." plapperte meine kleine Schwester los, so wie sie es immer tat. Wenn man Cyana knapp beschreiben müsste, würde man sportliche Plappertasche sagen. Sie erzählte uns ausgiebig in ihrem kleinen Ausflug na dem Sturz, von dem sie erschreckend viel wusste, quetschte Audrey über ihren Wochenendtrip aus und sagte mir tausende Male, wie froh sie war mich mal wieder zu sehen.
„Und weißt du was?" Audrey schirmte ihren Mund mit der Hand ab und flüsterte übertrieben laut in Cyanas Ohr. „Nova hat einen wirklich heißen Typen mitgebracht. Gino!" schnurrte sie. Cyana quietschte. Ich stöhnte.
„Er hat mich nur her gefahren."
„Wieso hast du mir nie erzählt dass du einen Typen hast?" Cyana funkelte mich an.
„Weil er und ich nicht... er ist... ich habe mich irgendwie versehentlich mit dem Basketballteam der Uni angefreundet und er ist Spieler. Und heute Morgen als Mum mich angerufen hat, war er da, weil ich ihm bei einem Uni Projekt helfen will. Er hat mir angeboten mich zufahren."
„Wieso hast du als Anti Sportfan ein ganzes Basketballteam aus Versehen kennengelernt? Und ich... NICHT?" empört starrte Cyana mich an. „Ich will ihn sehen! Hast du ein Bild?"
„Wir können ihn einfach holen. Er sitzt mit Brandon im Wartezimmer." schlug Audrey vor.
„Ja!" quietschte Cyana
„Nein!" schrie ich.
„Mädchen..." stöhnte unsere Mutter genervt und starrte mich entsetzt an.
„Ich hol Brandon, Ida und Gino." Audrey lief so schnell aus dem Zimmer, dass ich sie nicht mehr aufhalten konnte. Keine zwei Minuten später kam sie mit Ida, Brandon und Gino im Schlepptau wieder herein.
„Na Cyana." Brandon schüttelte grinsend den Kopf. Er war mit Audrey seit mehr als 10 Jahren zusammen, hat gesehen wie Cyana und ich groß geworden sind und mittlerweile so viele von Cyanas waghalsigen Sportunfällen miterlebt, dass er gar nicht mehr erstaunt ist, wenn sie mal wieder mit Krücken oder einer Schiene auftaucht.
„Hi." Gino stand etwas ratlos hinter mir. Cyanas Augen blitzten auf, als sie ihn sah. Und in mir machte sich vollkommenes Verständnis breit. Gino sah unglaublich gut aus. In seinem Hoodie, der locker geschnittenen Hose, der Cap auf dem Kopf, die Größe von 1,90 Metern und den breiten Schultern, die man auch durch den Hoodie erahnen konnte. Und dann war da dieses Lächeln... dieses Lächeln was jeden um den Finger wickeln konnte und... okay stop! Reiß dich mal zusammen Nova.
Es hat nicht lang gedauert bis Cyana von den Medikamenten erwischt wurde und weg gedöst ist. Während Audrey und Mum noch mit den Ärzten das weitere Vorgehen besprechen wollten, was sie jetzt durfte, da Cyana das Okay gegeben hatte, haben Brandon, Ida, Gino und ich uns noch einmal in das Wartezimmer gesetzt und gewartet bis die beiden fertig waren.
„Bist du immer noch so angespannt oder ist dir kalt?" Gino deutete auf meine zitternden Hände. Für einen Moment wünschte ich mir, er würde seine Hand wieder mit meiner verschränken, so wie er es vorhin getan hatte um mich vom blutig kratzen abzuhalten. Eine schreckliche Angewohnheit in Stresssituationen...
„Ich glaube das ganze Adrenalin ist mittlerweile aus meinem Körper. Jetzt kommt die Müdigkeit und Kälte." erklärte ich. In diesem Moment kamen Audrey und Mum zurück, beachteten aber nur Ida, die immer noch fleißig Bilder malte. Gino und ich standen trotzdem schonmal auf.
„Vielleicht solltest du einfach mal wieder deine Jacke anziehen." er hielt mir die Jacke hin, so dass ich direkt mit meinen Armen hindurch kam. Ich wollte den Reißverschluss eigentlich zumachen, kam mit den zitternden Händen aber nicht weit und ließ es sein.
„Komm her." Gino zog mich zu sich rum, griff nach dem Reißverschluss und zog ihn hoch.
Nein! Nein! Nein! Das hier... durfte nicht sein... ich durfte mich nicht so in seinen dunklen Augen verlieren, wie ich es gerade tat. Und er durfte meinen Blick nicht so erwidern wie gerade...
„Es reicht jetzt!" fauchte plötzlich meine Mutter. Gino und ich zuckten gleichzeitig zusammen. „Hast du ihn mitgebracht, um mir unter die Nase zu wischen, wie glücklich du bist? Dass du an deiner tollen Universität einen neuen Typen gefunden hast? Bringst ihn hier mit her, obwohl du genau wusstest das mich dieser Ort an deinen Vater erinnert und es mir damit scheiße gehen wird!"
Ich starrte meine Mutter entsetzt an. Alle starrten meine Mutter entsetzt an.
„Ich kann nicht einfach so über den Tod deines Vater hinweg kommen und mir einen neuen Mann suchen! Und ich finde es respektlos von dir das du ihn mit her bringst. Und außerdem! Hast du Danny vergessen? Danny der hier mit dir gesessen hat. Dich unterstützen wollte, während der Krankheit deines Vaters? Und jetzt suchst du dir einfach jemand neuen und vergisst ihn!" schrie sie. Ich konnte nichts sagen. Ich starrte sie nur an. Die Tränen liefen über meine Wangen, meine Hände ballten sich zu Fäusten und in mir zerbrach etwas. Meine Mutter sah mich an, als wäre ich schuld für ihren Verlust. Jeder hier im Raum hielt die Luft an.
„Fahr sie bitte nachhause Gino." hörte ich Audrey Flüstern. Gino schob mich vorsichtig an meiner Mutter vorbei, Richtung Treppen, zum Parkhaus, bis vor sein Auto. Meine Atmung ging stockend, ich starrte ins leere und versuchte zu verstehen was da oben gerade passiert war. Von Sekunde zu Sekunde verengte sich mein Hals mehr und mehr. Mir blieb die Luft zum Atmen weg. Mein ganzer Körper bebte und ich spürte die Panikattacke kommen. Dieser Moment in dem ich begriff, dass ich nichts dagegen tun kann, war immer schon der schlimmste.
„Nova..." raunte Gino beunruhigt. „Willst du dich setzten? Oder was trinken? Soll ich jemanden holen? Soll ich Audrey anrufen?" klang seine gestresste Stimme zu mir durch. Blind griff ich nach irgendetwas, an dem ich mich halten konnte und erwischte den weichen Stoff von Ginos Hoodie. Ich krallte meine Hand hinein und versuchte meine Atmung zu kontrollieren. „In a perfect world...One we've never known...We would never need...To face the world alone..." summte Gino leise den Song aus König der Löwen. Das leise Brummen seiner tiefen Stimme, beruhigte mich wirklich. Von Zeile zu Zeile konnte ich wieder besser atmen. „I know...Love will find a way...Anywhere I go...I'm home..."
Ich ließ langsam sein Hoodie los und sah ihm in die Augen.
„Danke Gino..." flüsterte ich und er lächelte mich unsicher an. „Danke dass du überhaupt hier geblieben bist. Danke hier für gerade. Danke dass..." ich stockte. Gino war mir plötzlich ziemlich nah. Ich musste den Kopf etwas zurück legen um ihn ansehen zu können. Ich spürte seine Finger, die mit meinen spielten und spürte seinen heißen Atem genau über meinen Lippen...
„Tante Nova!" kreischte plötzlich eine Kinderstimme und wir fuhren auseinander.
„Wir müssen los kleine." sagte ich schnell, bevor Ida uns erreichen konnte ich sprang ins Auto, Gino startete den Motor und fuhr los. Im Rückspiegel sah ich meine Familie uns nach sehen. Meine Mum die... scheußliche Dinge gesagt hatte.

Ich tat die gesamt Rückfahrt so, als würde ich schlafen. Ich war nicht bereit dafür mit Gino zu reden. Nicht nach den Sachen, die er heute über mich mitbekommen hat. Nicht nachdem was meine Mutter gesagt hatte. Nicht nachdem wir uns beinahe... er hatte mich vor dem Wohnheim abgesetzt und ich hatte mich nur knapp bedankt und war rein gerannt, weil es natürlich wie in einer Filmszenen geschüttet hatte wie aus Eimern. Ich betrat das Wohnheim und lächelte Mrs Kolbring zu, die in ihrem kleinen Büro der Verwaltung saß und wie immer die Tür offen stehen hatte.
„Novalie!" rief sie. Mrs Kolbring kannte glaube ich jeden ihrer Bewohner, sie hatte immer ein offenes Ohr für unsere Probleme und gab sich größte Mühe das Wohnheim zu einem wunderschönen Ort für alle zu machen.
„Ja?"
„Haben sie dich schon erreicht? Du weißt ja dass ich Sonntags eigentlich nicht her komme. Ich bin vorhin nur nochmal gekommen, weil ich ein Dokument vergessen habe los zu schicken und da habe ich den Anrufbeantworter natürlich auch nochmal gecheckt. Ein Krankenhaus hat versucht dich zu erreichen. Ist alles in Ordnung."
„Ehm Ja! Meine kleine Schwester hatte einen Sportunfall. Schulter und Oberschenkel Bruch. Aber die Operation ist gut verlaufen." erklärte ich.
„Ein Glück." sagte sie erleichtert. „Dann hoffe ich du kannst trotzdem gleich gut schlafen."
„Danke. Und ein schönen Rest Abend." ich lief weiter, nahm die Treppen direkt neben ihrem Büro und kramte in meiner Jackentasche nach dem Zimmerschlüssel.
„Wo warst du den ganzen Tag? Warst du bis jetzt mit Gino unterwegs?"
„Kann man so sagen..." antwortete ich Torry, die natürlich im Schneidersitz auf ihrem Bett saß, als hätte sie dort seit Stunden auf mich gewartet. Ich streifte mir die Schuhe ab und warf mich auf mein Bett. Ich wollte mein Handy Tücken doch... fand es nicht.
„Oh nein!" stöhnte ich in mein Kissen, als mir ein fiel wo es war. In meiner Tasche. Die ich in Ginos Auto vergessen hatte.
„Alles gut?"
„Nein." brachte ich hervor und musste, warum auch immer, mit den Tränen kämpfen. „Ich habe mein Handy nicht hier. Kannst du bitte Bayda schreiben und sagen sie soll her kommen?"
„Klar." antwortete Torry sofort und stellte keine Fragen mehr. Bayda kam keine 15 Minuten später in mein Bett gekrochen und nahm mich in den Arm.
„Ich gehe rüber zu Simone." flüsterte Torry und verließ das Zimmer. In solchen Momenten hatte Torry dann doch immer ein richtiges Gefühl dafür, wann sie erwünscht war und wann nicht.
„Was ist los?" fragte Bayda.
„Cyana hatte einen Unfall. Wir haben stundenlang keine Infos bekommen, was mit ihr los ist. Gino ist mit mir ins Krankenhaus gefahren, weil nur meine Mum da war und Audrey noch etwas brauchte um hin zu kommen. Cyana hat sich die Schulter und den Oberschenkel gebrochen. Ihr geht es aber ganz gut damit. Meine Mutter hat mich angeschrien, weil ich Gino mit ins Krankenhaus gebracht habe und ihr wohl unter die Nase reiben will, dass ich glücklich bin und im Gegensatz zu ihr über den Tot meines Vaters hinweg bin. Und sie sagt ich habe Danny vergessen und einfach ersetzt. Dann hatte ich eine Panikattacke vor Ginos Augen. Und habe ihn danach glaube ich fast geküsst..." erklärte ich im schnell Durchlauf. Bayda richtete sich ruckartig auf und starrte mich mit großen Augen an.
„Du hast Gino geküsst."
„FAST geküsst!"
„Oh mein Gott. Ich wusste es! Ich wusste du stehst auf ihn." quietschte sie aufgeregt.
„Bayda!" knurrte ich. „
„Nova." erwiderte sie deutlich sanfter als ich. „Was ist denn das Problem. Gino ist heiß, er ist Sportler, Künstler, er hat eine super süße Tochter, und außerdem steht der ja mal genauso auf dich!"
„Bayda du weißt das ich nichts in die Richtung suche. Ich kann das alles nicht. Ich kann es mir selbst nicht nochmal zu muten..."
„Nova... dass was du erlebt hast, war eine Ausnahme. Niemand hat soviel Pech, um dass zweimal erleben zu müssen. Und niemand sollte davor Angst haben sich zu verlieben. Ach! So weit muss es nicht mal gehen. Hab mit ihm Spaß, Schlaf mit ihm oder was auch immer. Es muss ja nicht gleich in einer jahrelangen Beziehung enden."
„Bayda es hätte auch niemand gesagt, dass jemand soviel Pech hat und sein Vater an Krebs stirbt und drei Monate man seinen auch noch verliert. Aber das habe ich! Und ich kann das nicht nochmal. Außerdem siehst du ja was das mit meiner Mutter machen würde... sie ist jetzt schon völlig instabil..."
„Fuck!" stieß Bayda aus und starrte mich an.
„Was?"
„Ich muss dir jetzt was Beichten. Und es wird dir jetzt gerade nicht gefallen."
„Was denn?"
„Ich habe heute Morgen Ajax zugesagt, dass wir beide nächstes Wochenende mitfahren."
„Das ist nicht dein Ernst?" ich könnte gleich wieder los heulen. Bayda hat für uns beide zugesagt, dass wir mit dem Team Zelten gehen.
„Effie hat sich so gefreut! Sie würde sonst mit den 10 Jungs, Seren und zwei Freundinnen von Seren allein sein."
„Ich will nicht mehrere Tage mit Gino Zelten gehen. Nicht jetzt Bayda."
„Es ist ja erst am Freitag." sie grinste mich mitleidig an. „Du hast gestern gesagt, du willst gerne mitfahren und da dachte ich... ich konnte ja nicht ahnen was heute passiert mit euch zwei..."
Ich presste mir ein Kissen aufs Gesicht und schrie.

That goddamn smile Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt