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Nova
„Torry wo hast du mich hier hin gebracht?" ich drückte das Telefon an mein Ohr und öffnete die nächste Tür. „Sorry!" rief ich und knallte die Tür wieder zu.
„Was ist denn jetzt schon wieder?" ich hörte wie Torry sich im Bett umdrehte.
„In einem Raum ist eine Gruppe in einem Wolle Chaos gefangen, in einem anderen Raum malt der Typ im Dunkeln und gerade... haben sie sich gegenseitig bemalt. Und das einzige was sie getragen haben war eine Schürze. Mit nichts darunter..."
„Oh." kicherte sie.
„Torry ich dachte ich soll einfach nur dieses Schild zur Hälfte bemalen. Und jetzt lande ich in den wirren Tiefen der Kunststudenten." ich schaute mir das halb bemalte Schild an. Es war aus dünnen Holz und sollte bald an unserer Zimmertür hingen... natürlich eine Idee von Torry. Sie hatte bereits unsere Namen drauf geschrieben und eine Hälfte mit Kameras, Zeitungen und bunten Mustern verziert. Und ich sollte jetzt die andere Hälfte bemalen wie ich wollte.
„Naja es sind halt..."
„Wow!" keuchte ich, als die Tür direkt vor meiner Nase aufschwang und ein kleines Mädchen mit dunkel braunem langen Haar raus rannte. Ich sah in den offenen Raum und entdeckte Gino der sein Gesicht in seinen Händen vergraben hatte und ziemlich fertig aussah. Und dann realisierte ich... dass das kleine Mädchen Macy war... und gerade flüchtete. Geistesgegenwärtig rannte ich los.
„Torry ich ruf gleich zurück!" rief ich und steckte das Handy weg. Macy war bereits im Treppenhaus angelangt und rannte die Treppen runter, so schnell wie eine drei jährige eben Treppen laufen konnte.
„Macy? Hey!" rief ich und sprang vor sie, weshalb sie stoppen musste. Ich hockte mich auf die Stufe vor ihr, um ihr ins Gesicht zu sehen. Ihre Augen waren glasig und der Mund nach unten verzogen.
„Weißt du noch wer ich bin? Nova vom Basketball letztens." sagte ich vorsichtig und sie nickte langsam. „Was ist los?"
„Ich habe Daddys Kunst kaputt gemacht." sagte sie leise. „Jetzt ist er ganz traurig."
„Ich glaube er ist aber gerade mehr besorgt um dich, weil du einfach weg gelaufen bist."
„Hm..." machte sie leise.
„Sollen wir zusammen zurück gehen? Vielleicht ist die Kunst von deinem Daddy gar nicht so kaputt wie du denkst."
Sie streckte nur ihre Arme zu mir aus und ich hob sie hoch. Ich trug sie zu dem Raum, aus dem sie vorhin gerannt war und fand ihn leer vor. Gino war wahrscheinlich gerade auf der Suche nach der kleinen.
„Ich versuche mal die Nummer von deinem Vater herauszufinden, dann können wir ihm sagen dass du hier bist." erklärte ich und rief den einzigen Kerl an, von dem ich wusste, dass er Ginos Nummer haben musste.
„Fabrizio Romeo, was kann ich für dich tun?" meldete er sich.
„Kannst du Gino anrufen oder mir seine Nummer geben. Ich habe Macy bei mir, weiß aber nicht wo Gino hin gerannt ist."
„Oh shit! Ja klar! Ich schicke dir seine Nummer." keine Minute später schickte Romeo mir Ginos Nummer und ich rief ihn an.
„Gino." meldete er sich Atem los und ich hörte seine schnellen Schritte.
„Hier ist Nova. Ich habe Macy bei mir."
„Oh Man!" keuchte er. „Ein Glück! Wo seid ihr? Ich komme sofort."
„In dem Kunstraum, wo ihr gerade wart." erklärte ich. Er legte auf und ich blieb mit Macy in dem Raum, um auf ihn zu warten. Macy stand vor einem Tisch und starrte die darauf stehende Skulptur aus hellem Stein an. Ich trat zu ihr und sah mir die Skulptur genauer an. Es war ein Kopf, so viel konnte ich schon mal erkennen. Nur war dort wo sich das Gesicht befinden sollte eine Art Loch mit Stäben von oben nach unten. Es sah ein bisschen aus wie Gefängnisgitter. Und hinter dem Gitter befand sich ein anderes Gesicht, es sah anders aus...jünger... weniger rau und verbraucht, als die vordere Schicht.
„Ich sehe gar nicht, dass es irgendwo kaputt ist." sagte ich an Macy gewandt und sie nickte nur langsam. Es war faszinierend, wie real und detailliert dieses Gesicht war. Jedes Haar der Augenbrauen musste Gino selbst hinein gehauen haben.
„Macy?" Gino kam in den Raum geschliddert und zog Macy in seine Arme. Seine Wangen waren gerötet und er hatte die Ärmel seines Longsleeves hoch geschoben, was mir einen Blick auf seinen rechten voll tätowierten arm gestattete.
„Du warst so traurig und wütend, weil ich was kaputt gemacht habe." flüsterte Macy ganz leise.
„Soll ich dir zeigen, was passiert ist?" fragte Gino genauso leise und auf Macys Nicken hin drehte er sich zu der Skulptur und deutete auf das rechte Auge. „Siehst du? Gar nicht so schlimm. Ich war nur traurig darüber, dass ich noch länger hier bleiben muss und ich gemerkt habe, dass du keine Lust mehr hattest."
„Aber jetzt hat er ja ein Loch im Auge..."
„Da finde ich schon eine Lösung für. Aber ich brauche jetzt noch eine halbe Stunde, höchstens eine Stunde Zeit um die Skulptur zu beenden. Willst du hier bleiben oder soll ich versuchen Gibby zu erreichen und er fährt mit dir nachhause?"
„Wo ist Ajax?" fragte die kleine immer noch etwas traurig.
„Der kommt erst ganz spät nachhause."
„Dann bleib ich hier." sie setzte sich auf einen Stuhl und schaute sich ein parat liegendes Bilderbuch an.
„Und du? Was macht eine Tourismusstudentin im Kunstgebäude?" wandte er sich an mich und holte mich ins hier und jetzt zurück. Irgendwie war es faszinierend Gino mit Macy zu sehen. Der Umgang zwischen den beiden war... besonders.
„Ich suche nach einem freien Raum um das hier anzumalen." ich hielt das Türschild hoch.
„Ist das..."
„Ein Türschild, ja." sagte ich und erwiderte seinen verwirrten Blick. „Torry fand es sei eine gute Idee ein Schild an unsere Tür zu hängen. Sie hat die eine Seite bemalt und ich soll jetzt die andere Seite malen. Aber das mache ich wohl lieber morgen."
„Warum? Du bist doch eh schon hier." sagte er Achselzuckend und griff nach seinem Werkzeug.
„Weil hier nur verrückte sind. Die eine Gruppe verknotet sich mit Wolle, der andere malt im Dunkeln und die zwei nebenan malen nur mit einer Schürze bekleideten." erklärte ich.
„Du kannst auch hier malen." warf Macy von ihrem Platz aus ein. „Ich habe ganz tolle Stifte, siehst du?" sie hielt einige wirklich schöne Farben hoch.
„Hier bekommst du sogar noch kostenlose Tipps von einer Dreijährigen." sagte Gino grinsend und begann an seiner Skulptur rum zu klopfen.
„Ich will euch nicht stören." sagte ich und wandte mich schon zum gehen.
„Tust du nicht." murmelte Gino, der scheinbar schon wieder in der Kunst versunken war. Ich zögerte kurz, doch als ich Macys freudiges Grinsen sah, legte ich mein Schild auf einen der mit Farbe vollgekleckerten Tische und sah mir die Farbauswahl auf dem Wandregal vor mir an.
„Ich helfe dir!" Macy sprang auf und sah mich ernst an. „Weißt du was Daddy immer am Anfang sagt?" sie rannte rüber zu Gino und wartete ab, bis dieser das Werkzeug nicht mehr an der Skulptur hatte. Sie stieg auf den Stuhl neben ihm und zog ihm die Cap vom Kopf. Sein dunkel braunes Haar war etwas zu lang um es in eine dieser Standard Kurzhaarfrisuren zu bringen, aber zu lang um es auch so zu nennen. Macy tauchte wieder neben mir auf, setzte sich die Cap mit dem Schirm nach hinten auf, so wie es ihr Vater auch immer tat und stemmte die Hände in die Seite. Sie war zu klein um auf den Tisch sehen zu können. Als Lösung Zug sie sich einen Stuhl heran und stellte sich drauf. „Zuerst muss man seine Cap aufsetzten, sonst fliegen die Haare dir im wichtigsten Moment in die Augen!" zitierte sie scheinbar ihren Vater, denn Gino schmunzelte im Hintergrund.
„Okay und was dann?" fragte ich leise und hörte regelmäßiges Klopfen aus Ginos Richtung.
„Dann suchst du dir die Farben aus, die dich jetzt gerade anlächeln." Macy sah mich neugierig an.
Die Tür schwang auf. „Hi ich suche..." ertönte eine fremde Stimme.
„Fuck! Verdammte..." fluchte Gino und knallte seine Faust auf den Tisch.
„Oh... das ist wohl nicht der Anfängerkursen für Malen mit Öl Farben." sagte der Fremde kleinlaut und Gino funkelte ihn genervt an.
„Anfänger Regel eins. Platze niemals einfach so in einen Kunstraum und schreie irgendwelche Wörter los. Manche Leute arbeiten an Dingen, die nicht übermalt werden können. Und jetzt raus! Du musst in Raum 9 im dritten Stock." knurrte er. Der Fremde murmelte noch ein leises „Sorry." und flüchtete so schnell er konnte. Gino stütze sich mit den Hunden an der Tisch Kante ab und sah müde und verzweifelt auf seine Skulptur hinab. Macy schlich zu ihm und reichte ihm die Cap zurück.
„Danke." er lächelte sie liebevoll an und setzte sich die Cap wieder auf. Als wäre es nicht alles schon angespannt genug gewesen, klingelte nun auch noch sein Handy los und er nahm mit einem genervten Knurren den Anruf an.
„Nein sind wir nicht Mum! Und wenn du mich nochmal anrufst, schmeiße ich dieses Handy aus dem nächsten Fenster!" er warf das Handy achtlos in die Ecke des Tisches und starrte seine Figur finster an.
„Wenn Grandma Daddy bei seiner Kunst anruft, geht Ajax immer mit mir im Garten spielen. Weil er danach lieber alleine ist sagt Ajax immer." flüsterte Macy mir zu, dich ich glaubte, dass Gino gerade eh in seiner eigenen Welt ist und uns nicht richtig wahrnahm. Er strich sich mit den Fingern über Kinn und sah die Skulptur aus allen Perspektiven an.
„Magst du Kakao Macy?" fragte ich und sie nickte heftig. „Wollen wir runter gehen zu den Getränkeautomaten, einen Kakao trinken und deinem Daddy ein paar Minuten für sich geben?"
„Okay." quietschte sie.
„Gino?" sagte ich vorsichtig.
„Hm?"
„Ist es okay wenn ich mit Macy runter gehe und einen Kakao trinke mit ihr?"
„Das musst du nicht." jetzt sah er doch hält mir auf. Dunkel braune Augen lagen auf mir. So dunkel, dass sie beinahe schwarz waren.
„Das mache ich gern. Na los Macy."
„Da vorne liegt mein Portmonee." er deutete auf den Rucksack neben einem der Tische.
„Ein Kakao kostet kein Vermögen." sagte ich augenzwinkernd und schloss die Tür.
„Können wir mit dem Fahr-Dings fahren?" Macy deutete auf den Fahrstuhl.
„Natürlich. Das sind zwei Stockwerke die du mit deinen kurzen Beinen laufen müsstest. Da müsste ich ja 5 Becher Kakao kaufen, damit du wieder zu Kräften kommst."
„Daddy will immer laufen." sie rollte mit den Augen und brachte mich zum Lachen.
„Er ist neunmal ein Sportler."
Wir stiegen in den Fahrstuhl und fuhren runter in das Erdgeschoss, wo an einer Wand einige Getränke- und Snackautomaten standen.
„Welchen von den möchtest du denn?" fragte ich und deutete auf die drei Bilder. „Einen Kakao mit heller Schokolade, mit normaler oder mit dunkler?"
„Normal!" quietschte sie und ich bestellte zwei.
„Wir können hier hin." Macy lief in einen Flur, während ich die viel zu heißen Becher trug. Um die Ecke befand sich eine Sitzecke, auf der Macy bereits Platz genommen hat. „Hier warten Ajax, Brix und Gibby auch immer mit mir."
„Kommst du oft mit hier her?"
„Manchmal muss Daddy nach dem Training noch etwas abgeben oder auf dem Brennofen holen. Und manchmal nimmt er mich wie heute für ganz lange Zeit mit und ich darf malen. Einmal..." sie schaute mich mit aufgerissenen Augen an. „Durfte ich mit brauner Knete etwas machen und das wurde dann verbrannt und irgendwann hat Daddy es mir nachhause gebracht."
Die nächsten Minuten erzählte sie mir alles mögliche, wie sie beim Basketball selber mal den Korb getroffen hat und das ganze Team sie gefeiert hat, dass sie in der Kita immer am liebsten draußen rutschen geht, obwohl alle Kinder lieber die Schaukel mögen, oder dass sie sich unbedingt ein Kaninchen zu Weihnachten gewünscht hat und Gino nur ein Stofftier Hasen besorgte. Für eine Dreijährige sprach sie erstaunlich viel und erstaunlich gut. Die sechsjährige Tochter meiner großen Schwester Audrey sprach in Macys alter noch nicht so gut, was vielleicht auch daran lag, dass sie generell nicht gerne sprach. Ida war eben etwas schüchterner als Macy.
Nach ungefähr 40 Minuten hörten wir Schritte auf der Treppe und kurz darauf kam Gino um die Ecke und lächelte uns an.
„Bist du fertig geworden? Oder ist es jetzt alles kaputt wegen mir?" fragte Macy und lief zu ihrem Vater hinüber.
„Ich bin fertig und zufrieden. Ich habe in das Loch einen Glitzerstein eingesetzt. Die Skulptur wirkt dadurch jetzt sogar viel besser." er zwinkerte ihr zu und auf ihrem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. „Dein Schild..." er reichte mir das Türschild, was ich scheinbar oben liegen gelassen habe. „Sorry dass du es jetzt nicht bemalen konntest. Ich mach's irgendwie gut."
„Du kannst das Ding für mich anmalen." schlug ich als erste Idee vor. „Ich würde dieses Schild durch meine Kunst wahrscheinlich zerstören."
„Ich glaube nicht dass das der Plan deiner Mitbewohnerin war...aber ich mach's liebend gern." er nahm das Schild wieder zurück. „Bis wann brauchst du es? Und willst du irgendwas bestimmtes drauf haben? Sie hat ja scheinbar ihre Vorlieben drauf gemalt... was ist dein... Ding?" man hörte wie unsicher er sich mit seiner Wortwahl tat und ich musste schmunzeln.
„Ich studiere Tourismus und Hotelmanagement. Ich liebe es zu backen... ich liebe die Rocky Mountains und... den Frühling..."
„Damit kann ich was anfangen." murmelte er und sah so aus, als würde er im Kopf bereits einige Ideen durch gehen.
„Daddy können wir nachhause?" jammerte Macy müde und lehnte sich gegen Ginos Bein.
„Ja... du musst in Bett." er hob sie hoch, griff noch nach ihrem Rucksack unverlierbar mit mir zusammen das Gebäude. „Bis... die Tage."
„Bye Bye Nova." Macy winkte mir noch einmal, bevor ich mich in die andere Richtung verabschiedete und zum Wohnheim lief.

„Ich denke du solltest es hier nochmal umschreiben." hörte ich Torry sagen, als ich die Tür zu unserem Zimmer öffnete. Sie saß an ihrem Schreibtisch... aber leider nicht allein... Winston saß neben ihr und sie schienen irgendein Dokument durch zugehen. „Hi." murmelte ich und stellte meine Tasche neben meinem Schreibtisch ab.
„Bist du fertig geworden?" Torry drehte sich neugierig zu mir um.
„Ehm... es ist in Arbeit." sagte ich vorsichtig.
„Hi Nova." begrüßte mich Winston mit diesem nervigen lang gezogenen Wörtern und einem dämlichen Grinsen im Gesicht. Ich konnte diesen Typen nicht leiden. Nachdem er mich auf einer Party ungefragt geküsst hatte und ich definitiv keine Anzeichen dafür gab, dass ich etwas in dieser Art von ihm wollte, war er für mich kein Thema mehr. Nur leider war er mit Torry befreundet und tauchte daher gerne mal in unserem Zimmer auf um mich dumm anzugucken.
„Ich gehe was essen..." murmelte ich und verließ so schnell wie ich gekommen war auch schon wieder mein Zimmer. Unten angekommen sah ich mich um und fand ein Glück eine Mädchengruppe, die ich bereits kannte, zu denen ich mich solange wie Winston noch da war, setzen konnte.

That goddamn smile Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt