17

79 2 0
                                    

Nova
„Soll ich noch irgendwas machen?" raunte Gino neben meinem Ohr und verlieh mir eine Gänsehaut. Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Da ich morgen zu meiner Familie waren muss, hatte ich mit den Jungs abgemacht heute Abend mit ihnen zu kochen. Da aber irgendein wichtiges Basketballspiel lief, hatten sie mich vorgewarnt, dass sie nicht unbedingt bei der Sache sein würden, ohne ständig auf den Fernseher zu schauen. Ich hatte nichts dagegen. Während die Jungs im Wohnzimmer saßen und lautstark über das Spiel diskutierten, hatte ich die riesige Küche für mich und konnte den Kopf beim Kochen frei kriegen. Dass ich morgen zu meiner Mutter fahren würde, sie sehen muss... ohne für ein zwei Nächte dort sein würde, beunruhigte mich. Cyana war nicht der beste Puffer zwischen unserer Mum und mir und Audrey würde nicht die ganze Zeit da sein können, wenn ich da war. Seit der Sache im Krankenhaus habe ich weder mit meiner Mum telefoniert, noch irgendeine Nachricht bekommen.
Ich spürte Ginos Hände, die sich von hinten um meine Taille legten. Ich fand es schön, seine Nähe genießen zu können, ohne mir viele Gedanken darüber zu machen. Er war gerade eine Art Ruhepol für mich. Hier mit ihm zustehen... es war schön. Dass mir diese Ruhe und Zufriedenheit durch meinen Besuch morgen völlig genommen wird, gefiel mir nicht. Es sollte nicht so sein, dass ich mich bei dem Gedanken an meine Familie schon anspannte. In den ersten Monaten nach Dads Tot dachte ich, es wäre nur eine Phase. Eine Phase, in der ich lieber bei meiner Schwester, ihrem Mann und dem Baby geschlafen habe, als im selben Haus wie meine Mutter... doch diese Phase hat sich in einen Dauerhaften Zustand entwickelt. Einen Zustand, der auch nicht besser wird.
„Nova die Soße kocht."
„Hm?"
„Die Soße." Gino löste seine Hand von mir und rührte die Soße im Topf vor mir um.
„Oh." hauchte ich, stellte den Herd aus und nahm den Topf von der heißen Platte.
„Kann ich irgendwas machen, damit es dir besser geht?" er drehte mich sanft um und sah mir in die Augen. Ich setzte ein Lächeln auf und schüttelte den Kopf. „Gar nichts?"
„Essen ist fertig." rief ich den anderen Jungs rüber und er sah mich an, als würde er ganz genau wissen, dass ich das nur tat, um diesem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Es gab nichts, was meine Situation besser gemacht hätte, außer die Wunderheilern meiner Schwester, sodass ich nicht kommen brauchte.

Doch dass geschah nicht. Donnerstag Nachmittag stand ich vor der Wohnungstür, hinter der Cyana und meine Mutter lebten. Audrey hatte mich vom Bus abgeholt und wir waren kurz zu ihr gefahren um meine Sachen im Gästezimmer abzustellen. Jetzt standen wir hier... ich beobachtete wie Audrey die Tür aufschloss und wir betraten den Flur.
„Audrey hast du den..." meine Mutter kam aus der Küche und blieb prompt stehen. Sie starrte mich an, als wäre ich ein Geist. „Hi Mum!" sagte Audrey, zog Jacke und Schuhe aus und verstaute sie in der Garderobe.
„Was macht sie denn hier?" Mum starrte mich immer noch an. Sie sah nicht gut aus. Ihre Haut war etwas zu Blass, die Haare glanzlos und sie hatte im Gesicht stark abgenommen.
„Sie ist deine Tochter und wurde die letzten Monate ständig gebeten öfter her zukommen." sagte ich angespannt.
„Ich habe Nova doch gefragt, ob sie für einige Tage vorbei kommen kann. Brandon und ich müssen arbeiten, Samstag ist doch die Ausstellung. Nova bekommt eines unserer Autos und wird Cyana zu ihren Terminen fahren. Vielleicht kann sie auch einkaufen fahren und... kochen..." Audrey verstummte.
„Ich dachte dass Mrs Smith..." flüsterte meine Mutter.
„Mrs Smith ist 83 Jahre alt Mum. Außerdem... ihr beide müsst reden." Audrey lächelte uns aufmunternd zu. In diesem Moment machte meine Mutter auf den Absatz kehrt, lief zurück in die Küche und knallte die Tür zu. Ich starrte Audrey mit offenen Mund an.
„Ich... ich rede mit ihr." während sie an die Küchentür klopfte und versuchte unsere Mutter zu sprechen, ging ich zu Cyana ins Zimmer und schloss die Tür.
„Nova!" sagte sie glücklich und ich umarmte sie. Sie lag in ihrem Bett, den Arm mit der verletzten Schulter sicher und ruhig an ihren Körper gebunden, das Bein gegipst. „Du hast ja noch deine Schuhe an." stellte sie Stirnrunzelnd fest. Wir waren schon immer ein Schuhe sofort ausziehen, wenn man ein Haus betritt Haushalt. „Zieh sie besser aus bevor Mum das sieht."
„Ich glaube das interessiert sie gerade nicht." murmelte ich und hörte Audrey ruhige Stimme im Flur sprechen.
„Was ist da schon wieder los mit euch. Audrey hat nur irgendwas von einer Sache im Krankenhaus erzählt, wollte aber nie ins Detail gehen. Also?"
„Mum hat Sachen gesagt..."
„Was für Sachen?" fragte sie sofort.
„Ich würde Dad vergessen haben, Danny ersetzen und ihr mein Glück unter die Nase reiben."
„Scheiße." stieß sie aus. „Und dann?"
„Nichts. Ich bin gefahren und habe seitdem nicht mehr mit ihr gesprochen. Und sie wollte es ja scheinbar auch nicht klären. Sie hat mich gerade nur angestarrt und sich dann in der Küche ein gesperrt."
„Sie hat keine gute Phase gerade..."
„Ja... nur... ich will mir den ganzen Kram nicht nochmal anhören. Ich soll Dad vergessen haben? Sie hat alle Fotos aus der Wohnung entfernt, sie verbietet mir über ihn zusprechen, sie würde das Evergreen am liebsten verkaufen. Und trotzdem soll ich die sein die ihn vergessen möchte?" ich schüttelte den Kopf.
„Lass deine Finger in Ruhe Nova." tadelte sie mich, als ich wieder damit anfing die Haut zu zerstören. „Vielleicht gehst du zu ihr und versuchst nochmal mit ihr in Ruhe zu reden?"
„Jetzt?"
„Ja." sie griff provokant nach ihrem Handy und tat so, als wäre ich nicht mehr da. Ich öffnete leise die Tür und lauschte in den Flur. Die Tür war gerade das einzige was mich vor diesem Gespräch und den Gefühlen beschützte.
„Ja aber so kann es doch nicht weiter gehen." hörte ich Audrey sagen. Sie schien mittlerweile mit meiner Mum zusammen in der Küche zu sitzen. „Es ist immer wieder das selbe mit euch. Sie kommt, irgendwer beginnt mit den Vorwürfen und es schaukelt sich hoch, bis sie wieder fährt und ihr beide unzufrieden seit."
„Was soll ich deiner Meinung nach denn machen? Darf ich meine Gedanken und Empfindungen nicht aussprechen?"
„Du solltest vielleicht einfach langsam akzeptieren, dass Nova ihren eigenen Kopf hat, dass sie ihren ganz eigenen Weg geht."
„Sie geht einen Weg, bei dem sie uns vergisst. Weit weg."
„Ihre Uni ist mit Auto nicht mal zwei Stunden entfernt. Außerdem tut euch die Entfernung vielleicht auch gut... wenn sie immer hier wäre... es würde noch mehr eskalieren."
„Jedes Mal wenn ich sie ansehe... da ist dieses Bedrückende Gefühl..." hörte ich meine Mutter sagen. Ich drehte mich langsam zu Cyana um, die mit geschicktem Gesicht in ihrem Bett saß und ebenfalls lauschte.
„Nova du..." flüsterte sie, doch da hatte ich ihr Zimmer schon verlassen und die Wohnungstür aufgerissen. Ich rannte die Treppen hinunter und verließ das Haus. Mit Tränen in den Augen lief ich ziellos den Gehweg entlang. Mein Handy klingelte und ich laß Audrey nahmen auf dem Bildschirm.
„Nova!" rief jemand hinter mir, doch da bog ich bereits in die nächste Straße ab. Was sollte ich jetzt machen? Zurück in die Wohnung? Nein! Das konnte ich jetzt nicht. Meine Sachen, mein Portmonee, alles war bei Audrey zuhause. Ich hatte keinen Schlüssel und mit ihr reden wollte ich auch nicht. Ich löste ein bedrückendes Gefühl in meiner Mutter aus... was sollte das bedeuten? Als wieder ein Anruf klingelte, wollte ich ihn direkt weg drücken, doch es war ein anderer Name.
Gino.
Mit zitternden Fingern nahm ich den Anruf an.
„Hi!" begrüßte mich seine ruhige Stimme. „Bist du gut angekommen?"
Ich blinzelte die Tränen weg und versuchte mich zu beruhigen.
„Nova?" Unruhe erklang in seiner Stimme. „Was ist los?"
„Ich habe es keine Viertelstunde ausgehalten." flüsterte ich.
„Wo bist du jetzt?"
„Irgendwo in Klestone. Ich bin raus gerannt. Meine Mum... ich habe nicht mal mit ihr gesprochen..."
„Soll ich kommen?" fragte er vorsichtig und mir stiegen wieder die Tränen in die Augen. Der Gedanke ihn jetzt einfach hierzu haben... einen Menschen hier zu haben, der nur für mich da war...
„Du hast Macy..."
„Ich nehm sie mit." sagte er sofort. „Nova ich kann in spätestens eineinhalb Stunden bei dir sein. Wo soll ich hin kommen?"
„Der Parkplatz am Kiefer-Park."
„Willst du trotzdem da bleiben oder soll ich dich nur holen?"
„Ich muss Cyana eigentlich zu ihren Terminen Fahren."
„Okay." raunte er. „Lass mich kurz ein paar Sachen zusammen packen. Willst du mir erzählen was passiert ist?"
Die ganze Fahrt bis zu mir blieb er am Telefon. Ich habe ihm von dem Gespräch erzählt, was ich mitgehört habe, bin in der Zeit zum Park gelaufen und habe mir eine Bank am Parkplatz gesucht. Es gab Momente, in denen niemand was gesagt hat, aber es hat mich irgendwie beruhigt, das Brummen des Motors und Macys leises Gemurmel zu hören. Irgendwann ist das Gespräch abgebrochen, weil Ginos Handy kein Internet mehr hatte. Doch nach meiner Zeitrechnung sollte es nicht mehr lange dauern bis er da war. Ich sah mich um, einige Fußgänger waren mit ihren Hunden im Park unterwegs. Sie drehten Runden um den kleinen See in der Mitte, spielten Stöckchen fangen oder entspannten einfach in der Sonne. Als ich die Geräusche eines Autos wahrnahm sah ich zum Eingang des Parkplatzes, aber es war nur ein weißer Kleinwagen der drauf fuhr. Doch dahinter... der graue Jeep kam auf mich zu gefahren. Sobald er in einer der Parkbuchten hielt, stieg Gino aus und lief auf mich zu. Ich fiel ihm um den Hals und ließ eine ganze Weile lang nicht los. Ich habe diese Momente schon oft durch gemacht. Momente in denen ich nirgends hin konnte. Momente in denen ich mich allein und hilflos gefühlt habe, weil keiner da war für mich. Gino hier zu haben... zu spüren wie er mich festhielt und mir damit irgendwie etwas Kraft zurück gab, die mich vorhin so schnell verlassen hatte... Besuche bei meiner Mutter waren einfach Kräftezehrend für mich. Die Erinnerungen an meinen Vater, an die Zeit, in der es mit meiner Mutter noch nicht so schwierig war, Danny... in dieser Stadt gab es zu viele negative Erinnerungen, was wahrscheinlich auch der Grund war, weswegen ich nach Silverlake gezogen war und es mir dort so gut geht.
„So habe ich die nächsten Tage nicht geplant." murmelte ich in seinen Hoodie hinein.
„Ich weiß." er strich mir sanft über den Hinterkopf. „Bei niemanden läuft alles nach Plan. Einer meiner Nicht-Pläne sitzt im Auto und macht mich trotzdem jeden Tag aufs Neue glücklich."
„Oh stimmt... ist sie..." ich blickte an ihm vorbei zum Auto.
„Sie schläft seit einer Stunde." erklärte er lächelnd.
„Ich will dir keine Umstände machen, wenn ihr... oder..."
„Nova hör auf dir deinen Kopf darüber zu zerbrechen." brummte er und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Ich sah in seine braunen Augen. „Macy hat bisher nie ein Problem gehabt, wenn wir für ein paar Nächte wo anders geschlafen haben. Und ich könnte zuhause eh nicht schlafen, wenn ich wüsste dass du dich hier so quälst."
Vorsichtig legte ich meine Hände an sein Gesicht, zog ihn zu mir herunter und küsste ihn. „Danke." flüsterte ich zwischen einem der Küsse.

That goddamn smile Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt