Kapitel 2

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Ich habe es nicht mehr unter Kontrolle.

In jeder Sekunde, die sich dazu anbietet, denke ich an den Traum aus dem Zug. Ich brauche Kenan. Seine Gegenwart würde mir schon ausreichen, mehr begehrt mein Herz nicht.

Sogar während ich meinen Arbeitsvertrag bei den Chefs unterschrieb, verließ mich dieser Traum nicht. Es fühlte sich richtig an. Jetzt wird mich in alle Ewigkeit das „Was wäre, wenn" verfolgen. Das ist das erste Mal, dass ein Junge einen langanhaltenden Eindruck bei mir hinterließ.

Ich bin gefickt.

Nach dem Unterzeichnen ging ich zurück auf mein Hotelzimmer, das ich nur für mich hatte. Auf meiner Etage befanden sich weitere Mitglieder des Teams, die hinter den Kulissen arbeiten. Die Fußballspieler sind in der Etage unter meiner untergebracht.

Ein paar habe ich schon am Eingang mit Kenan gesehen, aber alle wollten schnell auf ihre Zimmer. Ich werde sie gleich beim Abendessen zum ersten Mal richtig kennenlernen und ich könnte vor Aufregung kotzen.

Niemals hätte ich gedacht, dass ich einen all-expenses-paid-job bei der türkischen Nationalmannschaft erhalten würde. Nach dieser EM kann es nur bergauf gehen. Hoffe ich zumindest.

Nach meiner Dusche schminkte ich mich, um präsentabel zu sein, und glättete mein dunkelbraunes Haar. Es war im Endeffekt nur ein Essen im Hotelrestaurant nach einer langen Reise, weshalb ich mir beim Outfit nicht so viel Mühe gab. Ein paar dunkelgraue Wide-Leg-Jeans und ein schwarzes Langarmshirt erfüllten den Job.

Zur Sicherheit entschied ich mich doch dazu, meine Kamera mitzunehmen. Das erste Essen mit allen sollte eingefangen werden. Richtige Anweisungen erhielt ich von meinem Arbeitgeber nicht. Sie meinten nur, dass ich medienwürdige Bilder auf den Tisch bringen soll.

Als sich die Fahrstuhltür öffnete, sah ich das Gesicht, das seit Stunden in meinen Gedanken herumspukte. Aber Kenan war nicht alleine. Mit ihm waren zwei weitere junge Männer, etwa in meinem und Kenans Alter. Natürlich kannte ich sie ebenfalls.

Der Goldjunge Arda Güler war das Einzige, was man in den letzten Monaten von Real Madrid mitbekam, und um mir die Blamage wie die beim ersten Treffen mit Kenan zu ersparen, war das Erste, was ich tat, als ich in meinem Zimmer ankam, die gesamte Mannschaft zu googlen und mir aktuelle Bilder anzuschauen.

Der zweite im Fahrstuhl war meines Wissens nach Semih Kilicsoy.

Kenan lächelte mich an und zog mich in eine Umarmung, die ich erwiderte.
„Arkadaşlar, sizi tanıştırayım." {Freunde, ich stell euch mal vor.}

Die Türen des Fahrstuhls schlossen sich, als Kenan mich losließ, um mich Arda und Semih vorzustellen.

„Arda, Semih, bu bizim yeni fotoğrafçımız, Lidya-Nur." {Arda, Semih, das ist unsere neue Fotografin, Lidya-Nur.} Ich streckte meine Hand aus, um ihre ebenfalls zu schütteln, so wie ich es anfangs auch bei Kenan tat.

„Çok memnun oldum. Gelen haftalarda sizin yanınızı bırakmam, ona emin olun." {Bin sehr erfreut. Die nächsten Wochen werde ich eure Seite nicht verlassen, da könnt ihr euch sicher sein.}

Mein Witz kitzelte ein Lachen aus den drei jungen Männern heraus. „Biz de memnun olduk, Lidya-Nur," {Wir sind ebenfalls erfreut, Lidya-Nur} sagten die beiden im Einklang.

„Lidya deseniz de bana uyar. Bütün ismim yoruyor insanı bir zamandan sonra." {Ihr könnt mich auch nur Lidya nennen. Der ganze Name ist irgendwann zu viel.}

„Samimi durdunuz Kenan. Hayırdır?" {Ihr seht eng aus, Kenan. was ist da los?}, fragte Arda. „Doğru Arda, iyice samimilik var. Bir de genç duruyorsun Lidya. Bu işe nasıl düştün?" {Da hast du recht, die wirken sehr wie Bekannte. Du wirkst auch noch recht jung, Lidya. Wie kamst du zu diesem Job?}, fügte Semih zu Ardas Frage hinzu.

Bild von Dir - [Kenan Yildiz]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt