Breathe

Kapitel 9

Ice

Obwohl es wahrscheinlich schon eine Ewigkeit her ist, dass in diesem Keller Kohlen gelagert wurden, kann ich den Geruch noch immer wahrnehmen. Ich weiß auch, dass in der Ecke irgendwann Kartoffeln gelagert wurden. Ich weiß, dass eine Katze hier unten verendet ist. Wahrscheinlich, weil sie mit ihrer Beute - einer Maus - hier heruntergesprungen ist und den Keller danach nicht mehr verlassen konnte. All diese Gerüche sind noch immer hier unten und erzählen von der Geschichte dieses Raums, der seit Jahren verschlossen war und alles in sich konserviert hat.

Ich wickle Raven in die dicke Decke ein, die ich mit ihr zusammen hier runtergetragen habe, lehne mich gegen eine Wand und ziehe sie zwischen meine Beine. Ihr Haar ist noch immer etwas feucht. Sie zittert und stöhnt hin und wieder im Schlaf. Es kann sich nur noch um Stunden handeln, dann wird sie entweder ein Wolf oder tot sein.

Das letzte Mal hatte ich solche Angst, als Sams erste Wandlung bevorstand. In diesem Punkt scheint das Tier in mir meiner Meinung zu sein: Wir beide wollen Raven nicht verlieren.

Ich lecke mir über die Lippen, auf denen noch immer Ravens Geschmack liegt. Süß wie Honig und unglaublich erregend. So wie ihr Kuss und ihr Körper, der sich an mich geschmiegt hatte, als müsse sie ertrinken, wenn sie mich nicht mehr berühren dürfe. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, sie einfach zu küssen. Es mir einfach rauszunehmen, nachdem, was ich ihr angetan habe, aber das Verlangen war stärker als mein Gewissen. Vielleicht hatte mein Wolf auch für eine Sekunde die Kontrolle übernommen. Aber jetzt bin ich es, der hier mit ihr in der Dunkelheit sitzt und nicht aufhören kann, über diesen Kuss nachzudenken. Jetzt bin ich es, der Angst davor hat, sie zu verlieren und dieses Gefühl, sie zu küssen, nicht noch einmal erleben zu dürfen.

Ich vergrabe meine Nase in ihrem Haar und ziehe sie noch fester gegen meinen Körper. Ihr Haar ist noch immer feucht, ihre Haut heizt sich schon wieder auf und ihre Muskeln und Knochen verschieben und brechen sich unter meinen Händen. Ich greife nach der Flasche Bourbon, die neben mir steht, setze sie an meinen Mund und nehme mehrere Schlucke, um das sengende Verlangen des Wolfs in meinem Kopf zu dämpfen. Er brüllt mich an, mich zu verwandeln, um Raven besser vor möglichen Gefahren schützen zu können. Aber im Moment ist die einzige Gefahr, die ihr droht, der Tod durch die Qual ihrer Verwandlung. Und kein Wolf der Welt kann sie davor beschützen. Nicht einmal ihr eigener. Sie überlebt oder sie tut es nicht.

Raven stöhnt leise, bewegt sich in meinen Armen und wimmert. »Ist das deine Vorstellung von einem Date? Du verschleppst mich in ein Drecksloch«, stößt sie mit brüchiger Stimme aus.

Ich halte ihr die Flasche hin. Sie greift ohne zu murren danach und trinkt. »Hättest du denn gern, dass das hier ein Date ist?«, frage ich sie und hoffe, sie kann das Lächeln auf meinen Lippen in meiner Stimme hören.

»Im Moment wäre ich überall lieber als in dieser Situation, also würde ich wohl auch ein Date mit dir in Kauf nehmen.« Sie hustet. »Warum sind wir hier unten?«

Ich streiche über ihre Arme, ihren Hals und ihre Wangen. Raven seufzt leise und schmiegt sich in meine Berührung. Sie hebt den Blick und sieht mich aus ihren Wolfsaugen an. Diese Augen in ihrem wunderschönen Gesicht zu sehen, spricht jede Faser in mir an. Bis tief in meine Seele möchte ich in diesem Anblick ertrinken.

Ich weiß, das hier löst nur die Wandlung in ihr aus, aber dass ich sie berühre, erregt sie. Und dass es sie erregt, zerrt an meiner Selbstbeherrschung. Ihre Wandlung kostet mich jeden Funken Selbstbeherrschung. »Es ist fast soweit. Du solltest die Kontrolle an die Wölfin abgeben. Sie wird dich durch die Wandlung führen. Lass dich in sie fallen und sie übernehmen. Du darfst dich nicht gegen den Schmerz und die Wandlung wehren. Es wird einfacher, wenn du sie machen lässt«, sage ich, ohne damit aufzuhören, Raven beruhigend zu streicheln. Wenn es ihr guttut, dann berühre ich sie. Wenn es ihr den Schmerz nimmt, dann streichle ich sie. Wenn es ihr irgendwie durch die Wandlung hilft, dann halte ich sie.