Kapitel 14

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Raven

Ich muss ohnmächtig geworden sein, denn als ich aufwache, liege ich an Händen und Füßen gefesselt in einem schmalen Bett. Jemand hat mich in ein frisches Shirt gesteckt. Was ich darunter anhabe, kann ich nicht sehen, aber ich bin froh, zu fühlen, dass ich Unterwäsche trage und zugleich versuche ich, meinen Körper zu einer Antwort auf die eine Frage zu zwingen: Was ist mit mir geschehen, als ich nicht bei Bewusstsein war? Ich zwinge mich mit mulmigem Gefühl im Magen dazu, eine Bestandsaufnahme meines Körpers zu machen. Meine Hände pulsieren, was von den Silberstäben in der Zelle kommt. Mir ist übel und ich habe Kopfschmerzen, was von dem Fausthieb kommt, den Sherwood mir verpasst hat, als er mich aus dem Käfig hat holen lassen. Ich fühle noch immer die Verletzungen auf meinem Oberkörper, die ich mir selbst zugefügt habe, aber die Salbe hat gut geholfen.

Doch eine Verletzung schmerzt schlimmer als die anderen. Sie pulsiert, fühlt sich an wie eine riesige offene Wunde, auf die eine unsichtbare Kraft einschlägt. Diese Verletzung ist anders, sie löst etwas in mir aus, das sich anfühlt, als wäre ich entzweigebrochen. Die Brandwunde auf meiner Schulter. Da ich auf dem Rücken liege, verstärkt der Druck meines Körpergewichts den Schmerz noch. Ich versuche die Schulter etwas zu entlasten, indem ich mich leicht seitlich drehe, aber das halte ich mit den über dem Kopf gefesselten Händen nicht lange aus. Der Schmerz ist heftig genug, mich erschaudern zu lassen. Aber ich habe keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, denn diese Wunde ist nicht mein einziges Problem, auch wenn ich nicht fassen kann, dass Sherwood mir das angetan hat. Besser, ich konzentriere mich auf meine Situation, beschließe ich und beginne, mich im Zimmer umzusehen, soweit es mir möglich ist.

Es ist noch hell vor den Fenstern, aber sie sind vergittert. Neben dem Bett steht eine Kommode auf der Mull, Jod, Tabletten und Pflaster liegen. Jemand hat sich also um meine Verletzungen gekümmert. Die Handschellen, mit denen ich gefesselt bin, sind nicht aus Silber, was ich als Fortschritt betrachte. Allerdings liege ich in einem fremden Bett, was ein gewaltiger Schritt nach hinten ist, wenn man bedenkt, dass ich eine Brandwunde habe, die mich als Sherwoods Gefährtin ausweist. Den Mann, von dem ich geglaubt habe, er wäre mein Vater.

Ja, meine Situation hat sich eher noch verschlechtert, da sind die nicht versilberten Fesseln kaum ein Trost. Es gibt einen alten Kleiderschrank im Zimmer, der sich wahrscheinlich schon seit hundert Jahren an diesem Platz befindet. Und auf einem Stuhl steht eine Bettpfanne, von der ich hoffe, dass sie nicht für mich ist. Aber wahrscheinlich ist es sicherer, wenn mein Gefängniswärter mich nicht von den Fesseln losmachen muss und ich gleich hier in diese Pfanne mache, also wird sie wohl doch für mich sein.

Ich weiß nicht, was ich empfinden soll. Verzweiflung? Wut? Hilflosigkeit? Das alles wäre angebracht, aber ich fühle mich nur leer. Irgendwie erschöpft und hilflos. Erstarrt.

Und ich habe noch immer keinen Kontakt zu meiner Wölfin. Da ist nur Stille, mir fehlt ihre Dunkelheit, all die zornigen und wilden Emotionen, die sie auf mich projiziert hat. Obwohl ich diese Dunkelheit immer gehasst habe, sehne ich mich jetzt nach ihr, weil sie mir eine Richtung gewiesen hat. Sie war etwas, woran ich mich festhalten konnte. Jetzt habe ich nichts, an dem ich mich festhalten kann. Ich fühle mich ohne diese gewohnte Finsternis in mir, nicht mehr wie ich selbst. Was komisch ist, da ich immer nach einem Weg gesucht habe, Licht in das Dunkel der Einsamkeit zu bringen.

Ich weiß nur: mit dem Schicksal, das mich erwartet, kann ich nicht leben. Wie könnte ich jemals das Gefühl ablegen, in Sherwood meinen Vater zu sehen, auch wenn er nie ein guter war? Aber in meinem Kopf ist er mein Vater. Und ein Vater macht seine Tochter nicht zu seiner Gefährtin. Bei dem, was er von mir erwartet, laufen mir eiskalte Schauer über die Haut. Ich schüttle mich innerlich und hasse meine Mutter, die Frau, die ich für meine Mutter gehalten habe, noch viel mehr als jemals zuvor. Wahrscheinlich ist es ihr deswegen so einfach gefallen, mich zu verlassen, weil sie gar nicht meine Mutter ist.

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