Raven
»Was glaubst du, wie lange er noch so starke Entzugserscheinungen haben wird?« Ich stehe neben White Horse an der Tür und beobachte Daniels endlich ruhige Atemzüge. Wir haben ihm einen Schlafplatz in der Schule geschaffen. Die vier anderen Neuankömmlinge schlafen in einem der Tipis auf der anderen Seite des Lagers. Einer von ihnen ist ein Grim Wolve, die anderen sind Wölfe, die von Sherwood in die Moonshinesucht gedrängt wurden. Aber bei ihnen wird es noch ein paar Wochen dauern, bis der Entzug einsetzt.
Bevor Sherwood sie in die Badlands geschickt hat, wo sie sich mit Gewehren verstecken und auf uns schießen sollten, wenn wir versuchen würden zu fliehen, hat er ihnen noch Moonshine gegeben. Aber nicht alle Abtrünnigen haben Moonshine bekommen, ein paar sollten möglichst kampfbereit als Wölfe sein. Daniel war einer von ihnen. Und jetzt macht er diesen Entzug durch, der auf mich wirkt, als würde sein Körper um die Wandlung kämpfen, aber die Reste der Droge würden sie aufhalten, was eine unendliche Qual für Daniel ist und meine Wut auf Sherwood nur noch größer macht. Denn offensichtlich wäre kaum einer der Männer dazu in der Lage gewesen, sich zu verwandeln. Da hat Sherwood sich gewaltig verschätzt.
Im Laster haben wir mehr Moonshine gefunden, aber Daniel hat es verweigert. Er will dieses Kapitel endlich beenden. Nicht einmal jetzt, wo sein Entzug so schlimm ist, dass er immer wieder Krämpfe hat oder sich erbricht, will er wieder zu Moonshine greifen. Lieber erträgt er diese Höllenqualen. Als müsste er seine erste Wandlung noch einmal erleben. Und schlimmer. Es tut mir weh, ihn leiden zu sehen. Sherwoods Besessenheit nach Kontrolle hat ihnen das angetan. Daniel hat uns erzählt, dass der Entzug manchmal schon mehr als eine Woche vor der Zusammenkunft auf der Farm eintritt und viele von ihnen sich deswegen schon früh auf den Weg gemacht oder die Farm gar nicht erst verlassen und sich so dem Rudel angeschlossen haben. Der Entzug sollte offensichtlich früh einsetzen, damit Sherwood sicher sein konnte, dass sie alle gemeinsam als Rudel in den Wäldern jagen konnten, um den Zusammenhalt als Rudel zu stärken und die Männer so dazu zu bringen, sich ihm freiwillig vollends anzuschließen. Dann hätten sie das Moonshine nicht mehr nehmen müssen. Und nach und nach wäre Sherwoods Traum von einem einzigen Rudel in dem alle Wölfe vereint unter seiner Herrschaft sind, in Erfüllung gegangen.
»Ein paar Tage, schätze ich. Ich weiß zu wenig über dieses Teufelszeug«, meint White Horse betroffen. »Ich wäre schon froh, wenn wir wüssten, wie wir es den Männern leichter machen könnten.«
»Glaubst du, die anderen wollen das hier auch durchmachen? Freiwillig?« Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand das freiwillig ertragen will. Andererseits haben sie ihre Freiheit erst zurück, wenn sie das Moonshine nicht mehr nehmen müssen. Und wer weiß denn schon, ob die Grim Wolves noch mehr davon herstellen werden, jetzt wo ihr Präsident tot ist?
»Wir sollten zumindest versuchen, sie davon zu überzeugen. Wir haben hier sowieso nur ein paar Dosen, alles andere habe ich vernichtet. Wenn es weg ist, wird es nichts mehr geben. Ich werde nicht zulassen, dass das Camp zum Drogenumschlagsort wird. Inwieweit würde uns das dann noch von dem Alpha unterscheiden?«
»Ja, das wäre nicht okay. Wir geben einfach unser Bestes«, verspreche ich, ohne zu wissen, was genau das ist. »Ich sehe mal nach Ice. Er war vorhin sehr durcheinander. Ich mache mir Sorgen um ihn.«
White Horse brummt zustimmend und verlässt mit mir zusammen die Schule. Er bittet eine der Frauen, ein Auge auf Daniel zu haben und verabschiedet sich dann von mir in Richtung des Lagerfeuers, um das heute Abend die meisten Dorfbewohner sitzen und gemeinsam Brote und gedrehte Fleischspieße in die Flammen halten. Wahrscheinlich ist den wenigsten von ihnen so kurz nach den Ereignissen nach Spaß und Geselligkeit, aber sie tun es, um weiterzumachen. Um die Veränderungen zu verarbeiten und sich über das klarzuwerden, was sie jetzt mit ihrem Leben anfangen wollen. Ich sehe in ihren Gesichtern die gleiche Ratlosigkeit, die auch ich empfinde. Nur befanden sie sich schon viele Jahre in dieser Situation, ich erst ein paar Tage. Für sie muss ihre neue Freiheit also ungleich schwerer zu verstehen sein als für mich.
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Breathe
Любовные романыNur noch eine letzte Schicht in der Bar, dann kann Raven die Kleinstadt Black Falls endlich hinter sich lassen und hoffentlich so der Dunkelheit entkommen, die sie schon ihr ganzes Leben lang quält. Doch sie hat nicht mit Ice gerechnet, der in die S...