Kapitel 27

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Raven

Eagle springt von der Ladefläche meines Pick-ups direkt vor meine Füße und drückt mir den Traumfänger in die Hand, der noch auf dem Auto lag. »Du willst doch keine Albträume bekommen.«

Ich nehme den Traumfänger und betrachte ihn nachdenklich. Ich hatte schon eine Weile keine Albträume, könnte das wirklich an ihm liegen? Nach allem, was ich in den letzten Monaten erlebt habe, hätte ich gedacht, jede Nacht schweißgebadet zu sein. »Nein, will ich nicht.«

»Ich würde sagen, wir sind fertig. Denkst du, es wird dir hier gefallen? Ganz ohne mich?« Eagle zwinkert mir grinsend zu. Ich habe das Gefühl, er steht mir viel zu nahe. In letzter Zeit scheint er beschlossen zu haben, dass wir mehr als nur Freunde sein könnten. Ich weiß nicht so recht, wie ich damit umgehen soll. Zumal alle irgendwie darauf warten, dass zwischen uns etwas passiert. Und ein Teil von mir möchte das auch.

Es ist dieser Teil, der sich nach Wärme und Berührung sehnt. Aber er sehnt sich eben nicht nach Eagles Wärme und Berührung. Und das ist etwas, das dieser Traumfänger nicht vertreiben kann, weil es keine Albträume sind. Diese Träume sind Ausdruck dessen, was ich noch immer für Ice empfinde. Nur wenn ich schlafe, fühlt es sich an, als wäre das Loch in meiner Seele nicht mehr da, weil ich dann irgendwie bei ihm bin. Aber sobald ich aufwache, erfüllt mich der Schmerz wieder bis in den letzten Winkel meines Körpers. Nur Wut und Enttäuschung fühle ich nicht mehr. Vielleicht, weil die Sehnsucht alles überlagert. Oder weil vor ein paar Wochen einer der Männer sich unserem Rudel angeschlossen hat, die die Grim Wolves früher als Abtrünnige bezeichnet haben. Er hat uns berichtet, was Ice auf der Farm für sie alle tut. Und dass jetzt dort alles anders ist. Er hat aus den Grim Wolves und der Farm etwas Gutes erschaffen. Aber da Niko ein Oglala war, hat er beschlossen, nach Hause zurückzukehren.

Ich sehe mich zu dem kleinen Haus um, das White Horse vor über einhundert Jahren für sich, seine Gefährtin und seine Kinder hat bauen lassen. In diesem Haus hat Ice seine Kindheit verbracht. An den Wänden hängen noch immer Kinderfotos von ihm. »Ich komme zurecht. Sam und Nel sind hier, White Horse will regelmäßig vorbeischauen und Pine Ridge ist nicht weit entfernt. Und in den besonders kalten Nächten basteln wir für den Etsy-Store des Reservats«, füge ich grinsend an. Es gibt nicht viel, womit die Oglala sich finanziell über Wasser halten können, aber die Touristen und der Store helfen ein wenig.

Eagle nimmt die Kiste mit den Holzperlen, Lederschnüren und Weidenringen von der Ladefläche. »Dann sollten wir die hier nicht vergessen. Und wenn es dir zu kalt wird, deine Wölfin hat ein dickes Fell«, scherzt er. »Und ich bin auch ganz schön heiß.«

»Unübersehbar«, entgegne ich und zupfe an dem kurzärmeligen Shirt, das er anhat, obwohl es kaum noch 8 Grad sind, sobald die Sonne untergegangen ist.

Ich gehe hinter ihm her in das Wohnzimmer des Hauses, wo noch mehr Kisten mit Bastelzubehör stehen und Nel versucht, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen. »Hey, Mitbewohnerin«, begrüße ich sie.

»Hey, Mitbewohnerin, seid ihr fertig? Ich bekomme sonst noch einen Lagerkoller, bevor wir überhaupt richtig eingezogen sind.«

»Das ist die letzte Kiste«, meint Eagle.

»Ich geh kurz hoch und zieh mir was an, was weniger schmutzig ist«, sage ich zu Nel.

»Dabei steht dir der Kaffeefleck wirklich gut«, meint Eagle und grinst.

»Ich sag nur, du bist gefahren. Das Loch in der Straße war nicht zu übersehen.«

Eagle fängt lauthals an zu lachen. »Schimpf nicht über meine Fahrkünste, ich bin ein Mann, sowas vertrag ich nicht gut. Wenn ich dieses Loch nicht mitgenommen hätte, dann wahrscheinlich das nächste. Man kann ihnen einfach nicht ausweichen hier draußen.«

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