Nach einer guten Stunde Schlaf erwachte ich wieder und trottete schwerfällig ins Badezimmer. Ein Blick in den Spiegel offenbarte mir, dass ich alles andere als gesund wirkte. Ich war zwar von Natur aus eher blass, doch heute war meine Haut geradezu fahl. Meine dunkelbraunen Haare waren vollkommen verschwitzt und meine silbergrauen Augen schienen seltsam leer zu sein. Kein Wunder, dass Kyle so besorgt ausgesehen hatte. Jeder normale Mensch hätte bei meinem Anblick sofort einen Arzt gerufen.
Offensichtlich hatte ich mich in letzter Zeit zu sehr gehen lassen. Mir fehlte es einfach an Elan. Ich bewegte mich zu wenig, aß nur in unregelmäßigen Abständen und ging abends viel zu spät schlafen. Meine Tage waren von Langeweile und Faulenzen geprägt und meine Nächte so unruhig, dass ich mich nur selten erholt fühlte. Die Kombination all dieser Dinge hatte mich mittlerweile wohl derart geschwächt, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Ein tiefes Seufzen drang über meine schmalen Lippen. Ich musste dringend etwas ändern. Am besten sofort!
Entschlossen trat ich vom Spiegel zurück, entkleidete mich und warf die verschwitzten Sachen in den Wäschekorb. Hernach stieg ich unter die Dusche und stellte sie an. Es handelte sich um eine luxuriöse Regendusche mit LED Beleuchtung und integrierter Massagefunktion. Auf Letztere verzichtete ich heute jedoch. Um mir ein wenig Abkühlung zu verschaffen, verwendete ich nur lauwarmes Wasser. Während ich dem leisen Plätschern lauschte, seifte ich mich ausgiebig ein.
Obwohl ich sehr wohlhabend war, wirkte ich im Vergleich zu anderen reichen Kindern eher unscheinbar. Ich war von normaler Statur, relativ klein, schlank, aber nicht sonderlich muskulös. Man sah mir mein Vermögen nicht auf den ersten Blick an und dies war auch gut so. Ich war mit meinem äußeren Erscheinungsbild durchaus zufrieden. Ich hatte weder gefärbte Haare noch irgendwelche Schönheitsbehandlungen nötig, um mein Selbstwertgefühl zu steigern. Es war mir egal, wie ich nach außen hin wirkte, solange ich nicht allzu sehr aus der Masse herausstach. Aus diesem Grund begnügte ich mich auch stets mit schlichter Kleidung. Sie sollte elegant sein, aber keinesfalls zu auffällig.
Nach einigen Minuten spürte ich, wie mir erneut leicht schwindelig wurde, ein deutliches Zeichen dafür, dass ich mir gerade zu viel zumutete. Schnell wusch ich mir den Schaum vom Körper, stellte dann die Dusche ab und wickelte mich in ein weiches Badehandtuch. Nachdem ich mein Haar geföhnt und gescheitelt hatte, verließ ich das Badezimmer. Gleich darauf fand ich mich im Ankleidezimmer wieder.
Mein Kleiderschrank war groß und mein Schuhschrank noch größer. Allerdings lag das nicht an meinem Kaufverhalten. Vielmehr sendeten mir bekannte Marken ungefragt ihre Produkte zu, in der Hoffnung, ich würde sie bei irgendeiner wichtigen Veranstaltung tragen. Ihre Chancen standen jedoch eher schlecht, denn zumeist handelte es sich bei ihrer Ware um ausgefallene Einzelstücke, die ich nie im Leben freiwillig anziehen würde. Die meisten Sachen wurden von mir oder einer der Angestellten fein säuberlich im Schrank aufgehängt und da blieben sie dann auch, bis irgendjemand sie entsorgte.
Es gab allerdings auch ein paar Sachen, die mir sehr gut gefielen. Diese trug ich beinahe täglich. Auch heute entschied ich mich für meinen gewohnten Stil. Ich zog ein weißes Designer-Shirt an und kombinierte es mit einer schlichten, schwarzen Hose und glänzenden Lackschuhen. Auf Schmuck verzichtete ich völlig.
Nachdem ich wieder halbwegs vorzeigbar aussah, warf ich einen Blick in die Küche. Überrascht stellte ich fest, dass Kyle nach dem Kochen sämtliches Geschirr abgewaschen hatte. Töpfe und Teller waren mittlerweile trocken und warteten nur darauf, von mir in den Schrank geräumt zu werden, was ich auch mit Freuden tat. Danach ging ich ins Wohnzimmer zurück, schaltete den Fernseher an und die Schuhe aus und machte es mir wieder auf dem Sofa gemütlich.
Wie so oft lief nichts Besonderes im TV. Ich schaltete gelangweilt durch das Programm und blieb schließlich bei einer harmlosen Tiersendung hängen. Sie war nicht sonderlich spannend, bot aber zumindest ein paar schöne Bilder von Füchsen, Wölfen und anderen fleischfressenden Waldbewohnern.
Je länger ich auf dem Sofa lag, desto öfter glitt mein Blick zur goldenen Wanduhr. Es war mittlerweile kurz nach sechs. Wann würde Kyle wohl zurückkommen? Zwei Stunden waren längst noch nicht vergangen, dennoch wurde ich allmählich unruhig. Vielleicht konnte er seine Arbeit ja eher beenden. Es dauerte sicher nicht sehr lange, ein paar Fische zu füttern und ein paar Blumen zu gießen. Oder hatte er noch etwas Anderes zu erledigen?
Ich wollte ihn möglichst bald wiedersehen und mich weiter mit ihm unterhalten, denn er hatte längst noch nicht alle meine Fragen beantwortet. Außerdem sehnte sich ein geheimer, tief verborgener Teil in mir danach, noch einmal in seine waldgrünen Augen zu schauen und für immer darin zu versinken...
Sofort verdrängte ich diesen Gedanken wieder. Ich hatte Kyle gerade erst kennengelernt und schon ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Er sah gut aus und war darüber hinaus auch noch extrem hilfsbereit. Solchen Personen begegnete man nur selten im Leben. Oder in meinem Fall so gut wie nie! Da war es kein Wunder, dass ich ein klitzekleines bisschen für ihn schwärmte. Allerdings durfte er niemals etwas davon erfahren! Ich bezweifelte stark, dass er ebenfalls schwul war. Selbst wenn doch, hätte ich sicher keine Chance bei ihm. Aber das machte mir nichts aus. Ich wollte lediglich noch einmal mit ihm reden und mich angemessen bedanken. Mehr nicht!
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Seelenverwandt
RomantikZiellos! Nichts beschreibt mein Leben besser, als dieses eine Wort. Doch dann, in einem einzigen, winzigen Augenblick, begann sich die Welt um mich zu drehen und alles veränderte sich... Der 19 jährige Ayden stellt keine großen Erwartungen an das L...