Olga

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Wenn meine beleibte Köchin neben Mutters schlanker Sekretärin stand, wirkte dies immer ein wenig sonderbar. Zwischen den beiden Frauen lagen Welten. Olga war das komplette Gegenteil von Babette. Sie schminkte sich stark, legte teures Parfum auf und trug immer perfekt sitzende Kleider. Ihr platinblondes Haar wirkte, als käme sie gerade frisch vom Friseur und ihre künstlichen Nägel schienen auch neu zu sein. Babette hatte all dem nicht viel entgegenzusetzen. Sie gab sich natürlich und war weder auf Makeup noch auf ein Glätteisen oder Nagellack angewiesen, bevor sie das Haus verließ.

Auch charakterlich hatten Olga und Babette nicht viel gemeinsam. Olga war definitiv kein mütterlicher Typ. Sie erinnerte mich eher an einen hartgesottenen Anwalt. Die Sorte Anwalt, die jeden Prozess gewann. Selbst dann, wenn der Angeklagte schuldig war.

“Möchtest du eine Tasse Tee, Olga?”, fragte Babette und wischte sich die feuchten Hände an ihrer Schürze ab. “Und vielleicht auch ein Stück Kuchen?”

“Keinen Kuchen bitte. Die Linie, ich muss auf sie achten", lehnte Olga sogleich ab.

Doch wenn es ums Essen ging, gab Babette nicht so schnell auf. “Ein kleines Stück Kuchen wird diese Linie nicht gleich zerstören.”

“Da bin ich anderer Meinung. Ich möchte auch noch in zehn Jahren auf meine hervorragende Figur stolz sein können, Babette”, erwiderte Olga und wackelte kokett mit den Hüften. “Man wird ja auch nicht jünger.”

“Das ist wahr”, seufzte meine Köchin. Sie war mindestens 20 Jahre älter als Mamas Sekretärin, hatte sich dafür aber gut gehalten. “Dann also nur Tee? Zitrone?”

“Pfirsich bitte.”

Während Babette in der Küche verschwand, ging ich auf Olga zu und begrüßte sie angemessen. Sofort musterte sie mich von allen Seiten und wie immer fand sie etwas, was ihr nicht gefiel.

“Du siehst so blass aus, Junge. Vielleicht wäre ein Strandurlaub sinnvoll. Oder lieber eine Behandlung im Sonnenstudio.”

“Bitte kein Sonnenstudio.” Allein der Gedanke daran, ließ mich erschauern.

“Also ein Strandurlaub. Ich werde bei nächster Gelegenheit mit Angelica darüber sprechen.”

“Mama hat sicher anderes zu tun, als mit mir in den Urlaub zu fahren", erhob ich Widerworte. Natürlich ohne Erfolg. Niemand kam gegen Olga an. Sie hatte immer das letzte Wort.

“Ein bis zwei Wochen kann sie erübrigen! Immerhin bist du…”

“Ihr einziges Kind, ich weiß.”

“Du solltest dich darüber glücklich schätzen. Diese Tatsache bietet dir viele Vorteile. Immerhin macht sie dich zum Alleinerbe.”

“Das ist mir bewusst.”

“Das sollte es auch. Wenden wir uns jetzt den wesentlichen Dingen zu. Lass uns ins Arbeitszimmer gehen.”

“Natürlich”, stimmte ich zu und folgte ihr. Wie sie trotz der hohen Schuhe so schnell laufen konnte, war mir ein Rätsel.

Olga nahm auf dem Schreibtischstuhl Platz, schlug die Beine elegant übereinander und schaltete den Computer an. Ich ließ mich gegenüber von ihr auf einem der Ledersessel nieder und kam mir dabei vor, wie einer ihrer Klienten

“Ein Zugticket erster Klasse…”, sagte sie, während sie in einer Geschwindigkeit tippte, die wohl jeden beeindruckt hätte. Bei ihr musste alles immer schnell gehen. Sie gab ein Tempo vor, mit dem kaum einer mithalten konnte.

Normalerweise hielt ich sie nicht auf, doch dieses Mal blieb mir nichts anderes übrig, als sie zu unterbrechen. “Zwei", warf ich ein.

Olga hielt inne. “Zweite Klasse?” Verwundert schaute sie zu mir.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt