Verwegen

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Ich erwachte in einer mir gänzlich unangenehmen Position. Mein Kopf lag auf Kyle's Oberkörper, mein Arm ein wenig tiefer an seiner Seite. Wie ich es geschafft hatte, ihm so nahe zu kommen, war mir ein Rätsel. Normalerweise bewegte ich mich kaum im Schlaf. Vielleicht hatte ich wieder einen seltsamen Traum gehabt, an den ich mich jetzt nicht mehr erinnern konnte. Oder es lag nur daran, weil ich in einem fremden Bett lag.

Zum Glück schlief Kyle noch. Vorsichtig löste ich mich von ihm, ohne dass er erwachte. Der kurze Nachmittagsschlaf hatte mir gut getan. Ich fühlte mich erholt und war jetzt vernünftig genug, um Kyle nicht pausenlos anzustarren. Stattdessen verließ ich das Zimmer und ging voller Elan ins Bad.

Die Dusche war nicht so großartig wie meine eigene, aber sie erfüllte ihren Zweck. Hernach trug ich eine große Menge des vom Hotelpersonal bereitgestellten Parfums auf. Normalerweise war weniger natürlich mehr, doch diese Regel galt nicht für Wohltätigkeitsbälle. Bei solchen Veranstaltungen war eher das Gegenteil der Fall. Man sollte um jeden Preis auffallen. Ich passte mich den Gepflogenheiten allerdings nur an, um keine negative Publicity zu ernten, denn mit negativen News fiel man leider nur noch mehr auf.

Da meine Stylistin jeden Augenblick kommen musste, verließ ich das Bad nur mit Boxershorts bekleidet. Überraschenderweise lief ich Kyle dabei direkt in die Arme.

“Entschuldige”, sagte ich sofort und stolperte zwei Schritte zurück. “Möchtest du auch duschen, bevor du dich umziehst?”

Als ich keine Antwort erhielt, schaute ich verwundert zu ihm auf und stellte dabei fest, dass er wie erstarrt war. Er blickte ins Leere, als wäre er mit den Gedanken irgendwo anders in weiter Ferne.

“Ist alles in Ordnung?”, fragte ich ihn, erhielt jedoch abermals keine Antwort. Irgendetwas schien ihn abzulenken. Da er auf meine Worte nicht reagierte, wedelte ich mit der Hand vor seinen Augen herum, bis er endlich wieder zu sich kam.

“Was hast du gesagt?” Kyle wirkte verwirrt.

“Ich habe gefragt, ob du duschen gehen möchtest. Das Bad ist jetzt frei.”

Kyle's Blick glitt über meinen Körper. “Wo sind deine Sachen?”

“Ich zieh mich später an.”

“Später?”

“Geht es dir gut? Du wirkst ein wenig neben der Spur.”

“Ja, sicher.” Kyle schüttelte seinen Kopf. “Ich bin nur noch ein wenig verschlafen.” Er holte seinen Rucksack und verschwand gleich darauf im Bad.

Während ich mich noch fragte, was mit ihm los war, klopfte es auch schon an der Tür. Davor stand eine junge, stark geschminkte Frau mit langen schwarzen Haaren, die sie zu einem hoch angesetzten Zopf gebunden hatte. Sie kam auf mich zu und streckte mir überschwänglich die Hand entgegen.

“Hallo mein Name ist Hannah. Ich bin deine Stylistin.”

“Ayden”, entgegnete ich kurz und schüttelte ihre rechte Hand. In der Linken hielt sie meinen silbernen Frack. Diesen reichte sie mir auch gleich, damit ich mich umziehen konnte.

Wortlos ging ich ins Schlafzimmer und kleidete mich an. Das Material war sehr hochwertig, doch ich fühlte mich fremd darin. Die weißen Lackschuhe, die silberne Hose, das seidene Hemd, all diese Dinge passten nicht zu mir. Hinzu kamen ein passendes Einstecktuch, ein übertriebener Seidenschal, der mit einer Brosche aus Kristall befestigt wurde, und Manschettenknöpfe mit meinen Initialen darauf. Ich sah aus wie ein Kronprinz auf dem 18. Jahrhundert und das obwohl die Stylistin noch keinen Finger gerührt hatte.

Als ich zurück in den Essbereich kam, war der Tisch mit kleinen Dosen und Flaschen überfüllt. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch setzte ich mich auf einen der Stühle und ließ Hannah ihre Arbeit verrichten.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt