Blicke

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Zwei grüne Augen waren das Erste, was ich wahrnahm, als ich wieder zu mir kam. Ich konnte nicht lange bewusstlos gewesen sein, denn die Sonne stand noch immer hoch am Himmel und blendete mich erneut mit ihrem grellen Schein.

"Alles in Ordnung?", fragte mich eine tiefe Stimme, welche unleugbar zu den grünen Augen gehörte.

Ich nickte, während ich feststellte, dass ich nicht auf dem Boden, sondern auf dem Arm eines mir vollkommen fremden Mannes lag. Sofort versuchte ich mich aufzusetzen, was mir mit etwas Hilfe schließlich auch gelang. Kurz darauf wurde mir eine kleine Wasserflasche gereicht.

"Du solltest etwas trinken. Das ist gut für den Kreislauf."

Ich tat, was mir der Fremde empfahl, obwohl ich mich nicht sonderlich durstig fühlte. Während ich allmählich wieder zu mir kam und mich besser zu fühlen begann, musterte ich meinen Gegenüber genau. Er konnte nicht viel älter sein, als ich es war. Sein Haar war dunkelblond und vom Sommerwind völlig zerzaust. Eine Vielzahl an winzig kleinen Sommersprossen zierten seine Wangen und lange Wimpern schmückten seine grünen Augen. Das Auffälligste aber waren seine vollen, sanft geschwungenen Lippen, die mich soeben mitfühlend anlächelten.

"Danke", sagte ich, als ich endlich meine Stimme wiedergefunden hatte. Mehr fiel mir in diesem Augenblick leider nicht ein. Doch offenbar reichte ihm dieses eine Wort aus, denn sein Lächeln wurde just noch eine Spur breiter.

"Kein Problem. Zum Glück war ich gerade in der Nähe und konnte dich rechtzeitig auffangen. Wie geht es dir? Soll ich lieber einen Arzt rufen?"

Ich winkte ab. "Nicht nötig. Mir geht es gut. Die Hitze bekommt mir nicht sonderlich. Außerdem leide ich zuweilen an niedrigen Blutdruck. Aber ansonsten ist alles in Ordnung."

Bevor ich es verhindern konnte, legte sich eine kühle Hand auf meine verschwitzte Stirn, prüfte meine Temperatur und strich alsdann ein paar braune Haarsträhnen aus meinem Gesicht.

"Du solltest besser aus der Sonne gehen", riet mir mein Retter in der Not. "Es ist viel zu heiß hier."

Ich antwortete nichts darauf. Seine grünen Augen, welche mir in diesem Moment viel zu nahe waren, lenkten mich von jedem vernünftigen Gedanken ab. Sie erinnerten mich an einen geheimnisvollen, dunklen Wald. Einen Wald, den ich nur allzu gerne erkundet hätte ...

Schnell verwarf ich den Gedanken wieder. Was bildete ich mir da nur wieder ein? Ich hatte diesen Mann doch gerade erst kennengelernt. Offensichtlich war ich noch immer nicht ganz bei mir.

"Wohnst du hier in der Gegend?"

"Ja, das Haus dort drüben gehört mir", antwortete ich und unterbrach dabei den schon viel zu lange andauernden Blickkontakt. Nur wenige Meter von uns entfernt, direkt neben dem Gartenzaun stand ein schwarzes Motorrad. Ich vermutete, dass es den Fremden gehörte, denn weit und breit war niemand sonst zu sehen.

"Dann hast du es ja nicht sonderlich weit. Lass mich dir aufhelfen." Ehe ich mich versah, wurde ich an beiden Händen gepackt und schwungvoll hochgezogen. Ich begann leicht zu schwanken, wurde jedoch solange festgehalten, bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Wenig später liefen wir langsam durch das Tor zurück zum Haus. Wir mussten nur wenige Schritte gehen. Dennoch fühlte ich mich allein deswegen schrecklich erschöpft. Hastig öffnete ich die Haustür, ging durch die Halle ins Wohnzimmer und ließ mich dort angekommen, erleichtert auf dem Sofa nieder.

Mein Retter in der Not folgte mir mit besorgtem Blick. "Bist du sicher, dass du keinen Arzt benötigst?"

"Ja, ich fühle mich nur etwas schwach. Ich habe in letzter Zeit nicht sonderlich gut geschlafen. Das ist alles."

Ich sah ihm an, dass er mir nicht glaubte. Sein Blick wanderte durch mein Wohnzimmer, welches natürlich in tadellosem Zustand war. Kein Fünkchen Staub bedeckte das Mobiliar, die Kissen auf dem Sofa waren allesamt akkurat aufgestellt und auf dem glänzenden Glastisch befand sich nichts anderes als die Fernbedienung und ein hübscher Blumenstrauß.

"Wann hast du zuletzt etwas gegessen?"

Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. Ich musste eine Weile darüber nachdenken. Schließlich antwortete ich zögerlich: "Heute Morgen ... glaube ich ..."

"Es ist gleich halb vier!"

Nichtssagend zuckte ich mit den Schultern.

Mein unerwartete Gast schüttelte verständnislos den Kopf. Dann blieben seine Augen plötzlich an mir hängen. Er musterte mich langsam von oben bis unten, bis dass ich mich allmählich unwohl fühlte und am liebsten vor ihm versteckt hätte. Schließlich wurde sein Blick entschlossen und er fragte: "Wo ist die Küche? Ich werde dir schnell etwas kochen!"

"Das ist wirklich nicht notwendig", warf ich ein. "Ich habe ohnehin keinen großen Hunger."

"Es spielt keine Rolle, ob du Hunger hast oder nicht. Dir fehlt definitiv Energie! Du brauchst Nahrung." Er ging auf das Sofa zu, platzierte die Kissen ans Fußende und fuhr fort: "Leg deine Beine dahin. Das ist besser für den Kreislauf."

"Bist du Arzt?"

"Nein."

"Was dann? Apotheker? Krankenpfleger?"

"Nichts dergleichen. Leg dich hin."

Widerwillig folgte ich seinem Befehl. Während er die Kissen noch ein wenig zurechtrückte, fragte er mich erneut, wo sich die Küche befand.

"Durch die Halle und dann die zweite Tür links", antwortete ich ihm wenig erfreut über seine Tonlage. Für meinen Geschmack war sein Verhalten eindeutig zu dominant.

"Ruh dich aus. In spätestens einer halben Stunde bin ich zurück."

"Wer bist du denn überhaupt? Wie heißt du?", stellte ich weitere Fragen, erhielt jedoch nicht die gewünschte Antwort.

"Später. Wir können uns nach dem Essen unterhalten", bestimmte mein ungebetener Gast und verließ gleich darauf das Wohnzimmer.

Ich blieb alleine zurück und war deswegen sichtlich unzufrieden. Noch nie in meinem Leben war ich so behandelt worden. Ich wusste nicht recht, was ich von alledem halten sollte. In einer derartigen Situation hatte ich mich noch nie zuvor befunden.

Um meine Nerven zu beruhigen fasste ich das Erlebte im Geiste noch einmal kurz zusammen: Ich hatte einen Schwächeanfall gehabt, welcher glücklicherweise harmlos verlaufen war. In Folge dessen war nunmehr ein zugegebenermaßen gut aussehender, mir jedoch wildfremder Mann in meinem Hause und wollte obendrein noch für mich kochen. Zumindest hoffte ich, dass er das wirklich wollte und nicht gerade all meine Habseligkeiten an sich nahm. In der Halle gab es eine riesige Vitrine mit Modelleisenbahnen, die ein Vermögen wert waren. Und die Münzsammlung von meinem Vater war auch nicht zu verachten. Darüber hinaus befand sich in der Küche das Tafelgeschirr meiner Mutter und der goldene Besteckkasten noch dazu. Er könnte sich einfach bedienen und mit vollen Taschen von dannen ziehen. In meinem derzeitigen Zustand wäre ich unmöglich dazu in der Lage, ihn aufzuhalten.

Doch war er zu solchen Untaten wirklich fähig? Er wirkte definitiv nicht wohlhabend. Seine Jeans waren verwaschen, sein schwarzes Shirt ausgefranst und seine Schuhe garantiert nicht von einer Markenfirma. Doch nur weil er arm war, musste er kein Dieb sein. Er hatte mir freiwillig geholfen und sogar angeboten, einen Arzt anzurufen. So verhielt sich kein Verbrecher. Aber wer war er dann? Und was machte er in dieser wohlhabenden Gegend?

All die Grübelei führte zu nichts. Alleine würde ich keine Antworten finden. Seufzend hörte ich auf, über das Erlebte nachzudenken, schloss stattdessen die Augen und versuchte ein wenig zur Ruhe zu kommen.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt