Nachdem ich die schmutzigen Teller in den Geschirrspüler gestellt und das silberne Besteck abgewaschen hatte, wartete ich ungeduldig auf Kyle's Rückkehr. Unruhig starrte ich auf die Wanduhr, deren Sekundenzeiger sich aus irgendeinem Grund viel zu langsam fortbewegte. Wie lange dauerte so ein Anruf eigentlich? Zehn Minuten? Fünfzehn?
Um mich zu beschäftigen, wischte ich den Küchentisch ab. Ein erneuter Blick auf die Uhr offenbarte mir, dass ich dafür exakt 30 Sekunden gebraucht hatte. Das konnte doch nie und nimmer stimmen! Wieso verging die Zeit heute so langsam? Da lief doch etwas verkehrt. Jede Minute kam mir wie eine Ewigkeit vor.
Auf einmal hörte ich etwas Klappern. Zumindest glaubte ich das. Vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet. Nichts desto trotz näherte ich mich langsam auf Zehenspitzen der Tür. Aufgeregt legte ich meinen Kopf an das Holz, horchte in die Stille hinein und vernahm … nichts! Nichts, als das stetige Ticken der Wanduhr.
Enttäuscht ging ich zurück, säuberte die Theke und ließ das Wasser aus der Spüle. Aber dann fiel mir wirklich nichts mehr ein, was ich hätte tun können. Die Küche war blitzsauber. So sauber wie noch nie an einem Sonntag. Meine Putzfrau würde sich morgen garantiert wundern. Normalerweise ließ ich nämlich alles stehen und liegen.
Hausarbeit war eine der Tätigkeiten, vor die ich mich gerne drückte. Wäsche waschen auch. Und Staub saugen, Fenster putzen, Kochen, Gartenarbeit, … Zum Glück verlangte niemand von mir, dass ich mich all dem widmete. Warum auch? Dazu hatte ich schließlich genügend Angestellte in meinem Haus. Ich wünschte nur, sie hätten am Wochenende nicht alle frei.
Viertel nach Zehn war es endlich so weit. Ich hörte Schritte in der Halle, erst nur ganz leise, dann immer lauter werdend. Gleich darauf wurde die Küchentür geöffnet und Kyle kam auf mich zu.
“Und?”, fragte ich sichtlich nervös.
“Hab alles geregelt. Ich bekomme Dienstag und Mittwoch frei. Dafür muss ich allerdings heute Nachmittag einspringen und morgen Vormittag werde ich auch nicht viel Zeit für dich haben.”
Erleichterung machte sich in mir breit. “Ich werde meiner Mutter Bescheid geben. Sie wird sich um das Organisatorische kümmern.”
Kyle ging um die Theke herum und blieb dicht vor mir stehen. Erstmals wurde mir bewusst, dass er deutlich größer war als ich. Mit meinen 1.70m war ich ziemlich klein geraten. Ihn schätzte ich auf mindestens 1.85.
“Was trägt man eigentlich auf so einer Veranstaltung? Mit Anzug und Krawatte kann ich nicht dienen.”
“Jeder Ball hat seinen eigenen Dresscode. Dieser wird für die Rettung bedrohter Tierarten in der Arktis veranstaltet. Darum werden alle Gäste in weiß erscheinen.”
Kyle's Finger wanderten zum Saum meines Seidenhemdes und zogen sanft daran. “Also langt ein weißes Shirt und eine weiße Hose?”, fragte er, während seine Augen auf meinen Oberkörper gerichtet waren.
“Ein Hemd wäre besser.”
“So wie deines?”
“Nicht unbedingt wie Meines.”
“Gut. Das wäre mir auch ein wenig zu durchsichtig.” Kyle grinste schelmisch.
Erschrocken trat ich einen Schritt zurück. Ich musste mir dringend etwas Anständiges anziehen, damit ich Kyle nicht noch mehr Anlass bot, mich zu ärgern.
“Und weiße Schuhe wären gut.” sagte ich, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. “Zur Not geht auch grau.”
“Ich denke, das kriege ich hin”, entgegnete Kyle. Dann wurde sein Blick ernst. “Meinst du, du kommst alleine zurecht?”
“Natürlich. Ich bin es doch gewohnt, alleine zu leben. Mir ist auch gar nicht mehr schwindelig.”
“Dennoch solltest du es heute lieber ruhig angehen. Wollen wir uns noch einen Film anschauen?”
“Vielleicht später. Ich werde mich erst einmal umziehen.”
“Hältst du das wirklich für notwendig?” Kyle wirkte enttäuscht. Doch ich kaufte ihm das nicht ab. Er war garantiert ein guter Schauspieler, aber ich ließ mich nicht von ihm hinters Licht führen.
“Ja, es ist notwendig”, entgegnete ich entschieden. “Such du derweil einen Film aus. Ich bin gleich zurück.”
Ich hielt mich nicht lange oben auf. Nach kurzer Überlegung, zog ich einfach die Kleider von gestern an und eilte alsdann schnurstracks die Treppe wieder herab. Als ich das Wohnzimmer betrat, hatte Kyle es sich bereits auf dem Sofa bequem gemacht. Schweigend ließ ich mich neben ihm nieder und er startete eine unterhaltsame Verwechslungskomödie, die erfreulicherweise im tiefsten Winter spielte und somit für ein wenig Abkühlung sorgte. Aufmerksam schaute ich zu und schloss schon bald den ein oder anderen Charakter ins Herz.
Nach einer guten halben Stunde änderte Kyle auf einmal seine Position und kurz darauf spürte ich, wie er seinen Kopf auf meine Schulter ablegte. Sofort schlug mein Herz ein paar Takte schneller, doch ich selbst rührte mich keinen Millimeter. Sicher war dies für ihn eine völlig normale Geste und hatte nicht das Geringste zu bedeuten. Höchstwahrscheinlich bemerkte er nicht einmal, was er mit seinem Verhalten bei mir anrichtete. Wieso um alles in der Welt kam er mir ständig so nahe?
Er konnte definitiv kein Interesse an mir haben. Das war unmöglich. Ich hatte nicht das Geringste zu bieten, sah man von meinem Vermögen einmal ab. Ich war ein Müßiggänger, der sinnlos in den Tag hinein lebte und auf Angestellte angewiesen war, um problemlos durch den Tag zu kommen. Er hingegen war ein selbstbewusster, junger Mann mit einem guten Beruf, einem festen Ziel vor Augen und sah darüber hinaus aus, als wäre er soeben einer Modezeitschrift entsprungen.
Nervös schielte ich zu ihm herüber. Er wirkte vollkommen entspannt. So als wäre es für ihn ganz und gar natürlich, sich an die Schulter eines anderen zu lehnen.
Er durfte niemals erfahren, dass ich auf ihn stand, denn das würde alles ruinieren. Ich wollte ihn öfter sehen, mich regelmäßig mit ihm unterhalten und mich nach und nach mit ihm anfreunden. Wir hatten uns auf Anhieb gut verstanden. Vom ersten Augenblick an hatte ich ihn sympathisch gefunden. Darum wollte ich ihn jetzt auf keinen Fall wieder verlieren.
Sicher würde meine harmlose Schwärmerei bald vergehen. Wie schwer konnte es schon sein, ein paar Gefühle loszuwerden?
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Seelenverwandt
RomanceZiellos! Nichts beschreibt mein Leben besser, als dieses eine Wort. Doch dann, in einem einzigen, winzigen Augenblick, begann sich die Welt um mich zu drehen und alles veränderte sich... Der 19 jährige Ayden stellt keine großen Erwartungen an das L...