Launen

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Eine unter einem weißen Laken verborgene Leinwand wurde auf die Bühne getragen. Der Auktionator stellte sich neben sie, nahm das Tuch ab und begann zu sprechen: “Nun zum letzten Stück unserer heutigen Auktion. Es handelt sich um das Gemälde eines unbekannten Künstlern aus dem 17. Jahrhundert. Beachten Sie die leuchtenden Farben. Es wurde erst vor kurzem entdeckt und restauriert. Das Startgebot liegt bei 100.000€.”

Der Auktionator blickte aufmerksam in die Menge. Die erste Hand ging sofort in die Luft. Weitere folgten. In weniger als einer Minute lag das Höchstgebot bei 500.000€.

“Ist es nicht genau das, was du wolltest? Ein Kunstwerk mit einem Schloss darauf? Warum bietest du nicht?”, fragte mich Kyle sichtlich angespannt.

Ich reagierte nicht auf seine Worte. Stattdessen betrachtete ich das Gemälde. Darauf war ein altertümliches Schloss abgebildet. Es befand sich auf einem Berg. Im Hintergrund sah man Bäume und darüber einen strahlend blauen Himmel. Das Bild war wunderschön. Mir gefiel es auf Anhieb. Doch ich hatte keine Lust darauf zu bieten. Meine gute Laune war dahin. In diesem Augenblick war meine Stimmung tief am Boden und das Letzte, was ich wollte, war irgendetwas zu ersteigern.

Die Tatsache, dass Kyle mir offensichtlich etwas Wichtiges verschwiegen hatte, quälte mich weiteehin. Ich wollte nicht schlecht über ihn denken, weil ich ihn eigentlich sehr mochte, aber dennoch kamen immer mehr Zweifel in mir auf. Ich hatte Angst vor der Wahrheit. Vermutlich würde mir Kyle's Antwort nicht gefallen. Hatte er mich nur benutzt? Womöglich um meinen Vater kennenzulernen und einen lukrativen Auftrag von ihm zu erhalten? Wollte er vielleicht nur deshalb mit mir zu diesem Ball gehen?

Nein! Das konnte ich nicht glauben. So jemand war Kyle nicht. Er war nett und hilfsbereit und liebevoll. Es musste eine bessere Erklärung geben. Eine plausible Erklärung, die zeigte, dass Kyle stets nur gute Absichten hatte. Hoffentlich!

Jemand bot 700.000€ und erhielt den Zuschlag. Das Gemälde hatte einen neuen Besitzer gefunden. Kyle schaute mich irritiert an, doch ich zuckte nur mit den Schultern.

"Hat es dir nicht gefallen?"

"Was?"

"Das Bild, Ayden. Wo bist du denn mit deinen Gedanken."

"Doch, es ist schön."

"Warum hast du es dann nicht gekauft? Du hättest es dir doch locker leisten können, oder?"

"Ja, schon..."

"Warum bist du plötzlich so abwesend? Was ist los mit dir?"

Kyle klang aufgebracht. So als wäre es wirklich schlimm, dass ich mir diese Gelegenheit hatte entgehen lassen. Dabei war es nur ein einfaches Bild. Eines von vielen... Warum nahm er die Sache nur so persönlich?

Seufzend wandte ich mich ab. Ich brauchte dringend ein wenig Abstand, sonst würde das hier nicht gut enden. “Komme gleich wieder”, sagte ich zu ihm und verschwand eilig in Richtung der Toiletten.

Ich drehte den Wasserhahn voll auf und ließ für eine Weile eiskaltes Wasser über meine Arme fließen. Die Kälte tat mir gut. Sie lenkte mich ein wenig ab. Leider vermochte sie es nicht, meinen Geist abzukühlen, welcher auch jetzt noch immer auf Hochtouren lief.

Ich wünschte, ich wäre noch immer unwissend. Wünschte mir, Kyle wäre meinem Vater nie begegnet. Alles war so schön gewesen. Die Limo, das Hotelzimmer, der Tanz,... Es war geradezu perfekt. Aber jetzt? Von einer Sekunde auf die andere hatte sich alles geändert. Plötzlich sah ich ihn mit völlig anderen Augen.

Müde richtete ich mich auf und blickte in den Spiegel. Ich erkannte die Person, die mir entgegenblickte, nicht wieder. Sie war mir völlig fremd. Der junge Mann im Spiegel wirkte schön. Er wirkte erfolgreich und selbstbewusst. So als könne er alles mit Leichtigkeit erreichen.

Ich fühlte mich in diesem Moment jedoch ganz anders. Ich war schrecklich verunsichert und hatte darüber hinaus große Angst. Nicht nur Angst vor der Wahrheit, sonder auch Angst vor der Zukunft. Hatten Kyle und ich überhaupt eine Zukunft?

Nach einem Moment der Ruhe und Einsamkeit verließ ich das Badezimmer wieder, obgleich ich mich kein bisschen besser fühlte. Zu meiner Überraschung erwartete Kyle mich direkt vor der Tür. Und er wirkte nicht sonderlich gut gelaunt. “Lass uns gehen!”, bestimmte er und zog mich sogleich Richtung Ausgang.

Er war sehr ernst. So ernst, dass ich es nicht einmal wagte, ihm zu widersprechen. Stattdessen folgte ich ihm schweigend draußen.

Die Luft hatte sich merklich abgekühlt. Ein frischer Wind wehte und der Vollmond schien auf uns herab, als wir vor der Pforte stehen blieben.

“Ich schreibe Albert schnell eine Nachricht”, informierte ich Kyle und ließ meinen Worten Taten folgen.

Er nickte nur. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus, während wir warteten. Mir war nicht nach Reden zumute und ihm scheinbar ebenso wenig.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt