Im Wald gab es eine Vielzahl an Tieren. Als ich einen schmalen Pfad entlangging, erblickte ich einen Fuchs, der sich hinter einem Baum versteckte, eine Eule, die auf einem dicken Ast saß, und einen Hase, der über eine grüne Wiese hoppelte. Die Luft war angenehm kühl, die Blätter raschelten und die Vögel zwitscherten.
Plötzlich ertönte ein schrilles Geräusch in der Ferne und ehe ich mich versah, ergriffen alle Waldbewohner die Flucht. Fort war der Frieden, fort die Harmonie. Nur ich allein blieb zurück. Umgeben von Einsamkeit.
Verschlafen öffnete ich die Augen und schaute mich um. Ich lag auf dem Sofa im Wohnzimmer. Allerdings waren die Kissen nunmehr alles andere als akkurat angeordnet. Zwei hatten bereits Bekanntschaft mit dem blauen Teppichboden gemacht. Als ich mich träge aufrichtete, folgte ein Drittes. Der Fernseher lief noch immer, zeigte aber mittlerweile eine Quizshow. Gerade als ich ihn ausschalten wollte, ertönte erneut das schrille Geräusch, welches ich bereits in meinem Traum vernommen hatte. Es handelte sich um die Türklingel!
Sofort war ich wieder hellwach. Hastig sprang ich auf, eilte in die Halle und öffnete die Pforte. Als ich kurz darauf in zwei waldgrüne Augen blickte, begann ich instinktiv zu lächeln.
"Wie ich sehe, bist du wohlauf. Ich habe schon befürchtet, dir wäre etwas zugestoßen."
"Ich bin nur eingeschlafen."
"Du siehst schon viel besser aus", meinte Kyle und trat ein. "Ich hoffe, du hast mittlerweile ein wenig mehr Appetit. Ich habe dir nämlich etwas Schönes mitgebracht." Zur Bestätigung seiner Worte hielt er eine gut gefüllte Plastiktüte in die Höhe.
"Was ist da drin?", fragte ich neugierig nach und schloss die Haustür.
"Überraschung", entgegnete Kyle und ging in die Küche.
"Ich glaube langsam, dir macht es Spaß, meine Fragen nicht zu beantworten", stellte ich mürrisch fest und folgte ihm.
"Vielleicht..."
Mein treusorgender Gast stellte die Plastiktüte auf der Theke ab und öffnete sie. Darin befanden sich zwei verschlossene Schalen.
"Ich hoffe, es handelt sich nicht wieder um Haferflocken."
"Nein, viel besser. Diesmal ist es Grießbrei."
Entsetzt starrte ich Kyle an. "Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein."
Seine Antwort war ein herzhaftes Lachen. "Nur ein Scherz", beruhigte er mich. "Obwohl sie das auch im Angebot hatten. Aber ich dachte mir, du würdest dich mehr über Hähnchengeschnetzeltes mit Reis freuen."
Erleichtert lächelte ich. "Definitiv."
Kyle öffnete die Plastikschalen und reichte mir eine davon. Ich holte zwei Löffel aus der Schublade neben der Spüle und dann gingen wir gemeinsam zurück ins Wohnzimmer, wo der Fernseher noch immer lief.
Ich nahm wieder auf dem Sofa Platz. Kyle begnügte sich diesmal mit einem der Sessel. "Schaust du gerne Quizshows an, Ayden?", fragte er mich und begann zu essen.
"Nein, ganz und gar nicht. Ich sehe eigentlich lieber Krimis."
"Klassische oder Moderne?"
"Lieber die Klassischen. Ich mag es, wenn ein Detektiv nach und nach neue Hinweise entdeckt. Da kann man als Zuschauer richtig gut miträtseln. Was schaust du gerne an? Wenn du etwas Bestimmtes sehen willst, kann ich gerne umschalten."
"Ich bin nicht wählerisch."
Wir aßen eine Zeit lang schweigend weiter, während der Moderator eine Frage nach der anderen an den Kandidaten richtete. Bei 80.000 gab dieser schließlich auf, nahm das Geld in Empfang und wurde durch jemand Anderes ersetzt.
"Arbeitest du gerne als Haushüter?", fragte ich, als die Werbepause einsetzte und ich die Stille zwischen uns nicht länger ertragen konnte. "Dieser Job klingt für mich nicht gerade wie ein Traumberuf."
"Ist es auch nicht. Aber es bringt mich meinem Ziel näher."
"Also ist es nur ein Mittel zum Zweck?"
"Ganz genau."
"Und wenn du dein Ziel erreicht hast? Kündigst du dann?"
"Vielleicht. Das hängt davon ab, wie sich die Dinge weiter entwickeln."
"Welche Dinge?"
Kyle stellte seine leere Plastikschale auf dem Glastisch ab. Dann wandte er sich direkt an mich. "Du stellst gerne Fragen", behauptete er.
"Und du antwortest offenbar nur ungern", entgegnete ich in derselben Tonlage
Kyle grinste. "Ich habe meine Gründe dafür."
Nachdem die Werbepause endete, schlug die goldene Uhr an meiner Wand zur achten Stunde. Als sie verstummte, kam ich nicht umhin, meinen Gast noch eine Frage zu stellen: "Wohnst du eigentlich hier in der Nähe?"
"Nein, das kann ich mir bei Weitem nicht leisten. Ich lebe in einem Wohnkomplex am anderen Ende der Stadt."
"Wenn du möchtest, kannst du gerne hier übernachten", bot ich ihm an, denn bis zum anderen Ende der Stadt brauchte man selbst mit dem Motorrad mindestens eine halbe Stunde. Wahrscheinlich sogar noch länger, denn um diese Zeit waren die Straßen überfüllt.
"Du bist aber großzügig, Ayden. Dabei ist es noch gar nicht so spät."
"Es soll heute Abend noch gewittern. Behauptet zumindest der Wetterbericht."
"Dann lass uns erst einmal abwarten. Ich überlege es mir später noch."
Ich gab mich mit dieser Antwort vorerst zufrieden. Natürlich wollte ich ihn zu nichts drängen. Aber ich wollte auch nicht, dass er schon wieder geht. Ich hatte die Befürchtung, dass ich ihn danach vielleicht niemals wieder sehen würde, und das wäre doch wirklich schade gewesen.
Viertel nach acht endete die Quizshow und Kyle griff nach der Fernbedienung. Er schaltete so lange durch, bis er auf eine mir wohlbekannte Krimiserie stieß. Diese sahen wir uns gemeinsam an.
Alsbald fesselte mich die Geschichte so sehr, dass ich alles um mich herum vergaß. Gespannt verfolgte ich die Nachforschungen des Detektivs, bis der Täter endlich entlarvt wurde. Wie so oft lag ich mit meiner Vermutung völlig falsch. Aber das machte mir nichts aus. Im Gegenteil, ich freute mich immer über ein unerwartetes Ende.
Noch bevor der Abspann vorbei war, ertönte der erste Donnerschlag. Ein Zweiter folgte sogleich. Dann setzte der Regen ein. Es war ein kräftiger Schauer, der von einem heftigen Sturm begleitet wurde. Immer wieder erhellten Blitze den stark bewölkten Nachthimmel.
"Offenbar hatte der Wetterbericht recht", stellte Kyle fest und schaltete den Fernseher aus.
"Also bleibst du?", fragte ich hoffnungsvoll nach.
"Wenn dein Angebot noch steht..."
"Aber sicher! Lass uns am Besten gleich nach oben gehen."
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Seelenverwandt
RomanceZiellos! Nichts beschreibt mein Leben besser, als dieses eine Wort. Doch dann, in einem einzigen, winzigen Augenblick, begann sich die Welt um mich zu drehen und alles veränderte sich... Der 19 jährige Ayden stellt keine großen Erwartungen an das L...