Verdienste

7 0 0
                                    

Ich hatte keinerlei Pläne für den heutigen Tag. Es gab keine Aufgaben, welche ich erledigen musste, denn niemand stellte jemals irgendwelche Erwartungen an mich. Ich war so frei wie ein Vogel, konnte tun und lassen, was ich wollte, doch wie so oft, fiel mir einfach nichts Passendes ein. Es gab so viele Möglichkeiten, so viele Dinge, die ich hätte unternehmen können, doch ich hatte zu rein gar nichts Lust.

Nachdem ich den Vormittag und auch große Teile des Nachmittags auf dem Sofa vor dem Fernseher verbracht hatte, erhob ich mich schließlich schwerfällig und beschloss zumindest ein paar Schritte durch den Garten zu gehen. Als ich mein Haus, das dank seiner schieren Größe eher die Bezeichnung Villa verdiente, verließ, empfing mich die strahlende Sonne. Geblendet schloss ich die Augen lief aber dennoch vorsichtig weiter, denn das bisschen Licht konnte mich nicht aufhalten.

Zahlreiche, farblich perfekt aufeinander abgestimmte Blumen säumten den schmalen Steinweg, welcher durch meinen Vorgarten führte. Die Tatsache, dass die Pflanzen hier wachsen und gedeihen konnten, war nicht mein Verdienst. Ihr Wohlergehen hatten sie einzig und allein dem Gärtner zu verdanken, welcher sich täglich um sie kümmerte. Er goss sie, düngte sie und schnitt sie zurück. Ich war nur derjenige, dem sie gehörten. Sie waren wie so vieles hier ein lieb gemeintes Geschenk meiner Eltern. Doch ich würdigte sie zumeist kaum eines Blickes.

Während ich gemächlich dem geschwungenen Steinweg folgte, gewöhnten sich meine Augen allmählich an das grelle Sonnenlicht und ich nahm noch mehr Details wahr. Emsige Bienen und bunte Schmetterlinge umkreisten die Blumen und ließen sich auf ihren großen Blüten nieder. Auf der alten Buche neben dem Haus huschte ein kleines Eichhörnchen von Ast zu Ast und auf der erst vor wenigen Stunden frisch gemähten Wiese hatten sich einige Singvögel niedergelassen, um nach Würmern zu suchen. Auch dies war natürlich nicht mein Verdienst.

Im Grunde genommen war nichts an diesem beschaulichen Ort mein Verdienst. Ernüchterung machte sich in mir breit, als mir diese Tatsache erstmals bewusst wurde. Sämtliche Hausarbeiten wurden von Angestellten erledigt. Sie wuschen die Wäsche, putzten die Fenster, scheuerten die Böden, polierten die Möbel, kochten und backten. Ich brauchte nicht das Geringste zu tun. Stattdessen durfte ich mein sorgenfreies Leben in vollen Zügen genießen. Doch gerade das war es, was mir bedauerlicherweise nicht gelang!

Gähnend schritt ich weiter voran. Der Steinweg endete an einem goldenen Gartentor, welches zumeist verschlossen war. Dahinter erstreckte sich eine schmale Straße, die nur überaus selten befahren wurde. Sämtliche Grundstücke auf dieser Straße befanden sich zwar in Privatbesitz, doch die Meisten dienten nur als Ferienhaus oder Wertanlage. Sie blieben überwiegend unbewohnt.

Höchstwahrscheinlich war ich der einzige dauerhafte Bewohner dieses Stadtgebietes. Darum war es hierzulande auch so still und friedlich. Obgleich ich bereits seit über einem Jahr hier hauste, kannte keinen Einzigen meiner Nachbarn. Nicht nur, dass ich niemals ein einziges Wort mit ihnen gewechselt hatte, den Meisten war ich noch nicht einmal begegnet.

Ich öffnete das Tor und trat auf die einsame Straße hinaus. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Die umliegenden Häuser waren ebenso gepflegt und schön anzusehen, wie das Meine, aber sie wirkten einsam und verlassen auf mich.

Ich lief ein paar Schritte die Straße entlang und lauschte dabei dem fröhlichen Gezwitscher der Vögel und dem sanften Rauschen der Blätter. Auf einmal vernahm ich das tiefe Brummen eines Motors. Überrascht schaute ich auf, um die Herkunft des ungewohnten Geräusches zu ergründen, doch offenbar war diese schnelle Bewegung zu abrupt für meinen ermüdeten Geist gewesen, denn im selben Moment überkam mich ein Anfall von Schwindel. Die Welt drehte sich um mich herum und ich vermochte mich kaum mehr auf den Beinen zu halten. Sämtliche Geräusche schienen zu verstummen. Nur das Rauschen der Blätter hallte unerträglich laut in meinem Kopf wider.

Gepeinigt schüttelte ich den Kopf und suchte zugleich nach Halt. Normalerweise vergingen diese Schwindelanfälle innerhalb von wenigen Sekunden, doch diesmal war das nicht der Fall. Ich begann zu schwanken und wusste ab dieser Sekunde, dass ich dringend Hilfe benötigte. Allerdings konnte ich weder sprechen, noch mich sonst irgendwie bemerkbar machen. Panisch versuchte ich gegen die drohende Ohnmacht anzukämpfen, während die Umgebung um mich herum immer mehr verblasste.

Plötzlich spürte ich eine zarte Berührung an meinen Rücken. Ich wusste nicht, ob sie echt war oder nur eingebildet, doch in diesem Moment war es mir gleich. Ich gab auf, schloss erschöpft die Augen und ließ mich einfach fallen.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt