Abenteuer

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Voller Elan betrat ich die Küche. Was brauchte man für ein perfektes Frühstück? Definitiv Brot. Und Butter. Wurst und Käse konnten auch nicht schaden. Oder bevorzugte Kyle lieber etwas Süßes?

Ich durchwühlte die Schränke nach allem, was essbar war. Schließlich fand ich nicht nur die gesuchte Marmelade, sondern auch noch eine Hand voll Tomaten. Nur Kaffee hatte ich keinen im Haus. Aber ich war mir sicher, dass Kyle sich auch mit einer Tasse Tee begnügen würde.

Während der Wasserkocher lief, drapierte ich Wurst auf einen, Käse auf einen zweiten und die geschnittenen Tomaten auf einen dritten Teller. Die Butter beließ ich in der Dose und die Marmelade im Glas. Nachdem ich den Tee aufgegossen hatte, deckte ich den Küchentisch mit dem schönsten Geschirr, das dieses Haus zu bieten hatte: Mutters Tafelservice.

Leider fand ich kein frisches Obst. Auch Müsli hatte ich nicht zu bieten. Doch zumindest gab es leckeren Sahnejoghurt. Diesen füllte ich in zwei kleine Glasschalen um und fertig war das Frühstück.

Es war definitiv nicht das beste Frühstück aller Zeiten. Das war unschwer zu erkennen. Aber mehr war mit der begrenzten Anzahl an Lebensmitteln leider nicht zu erreichen.

Für die richtige Atmosphäre zündete ich eine Stabkerze an und dämmte das Tageslicht, indem ich die Jalousien herunterließ. Zur Krönung platzierte ich noch eine meiner Zimmerpflanzen auf dem Tisch.

“Das muss nun aber wirklich reichen”, dachte ich bei mir und holte das Besteck. Ich nahm nicht das Goldene, denn das wäre wohl ein wenig zu übertrieben gewesen. Silber reichte für diesen Anlass völlig aus.

Zufrieden setzte ich mich und wartete auf meinen Gast. Dieser betrat auch wenige Minuten später die Küche und setzte sich mir gegenüber. Sein Haar war noch feucht und sein Shirt mit Falten übersät. Dennoch wirkte er gut gelaunt.

“Das sieht gut aus”, bemerkte er. “Hätte nicht erwartet, dass du so viel zu bieten hast.”

Ich grinste. “Es ist nicht sonderlich viel, aber ich schätze, es wird für uns reichen.”

“Bestimmt” Kyle nahm sich zwei Scheiben Brot und begann sie zu belegen. Ich tat es ihm nach. Anfangs aßen wir schweigend, wobei mein Blick immer wieder auf seine unzähligen Sommersprossen fiel. Sie passten nicht recht zu seinen ebenmäßigen, ernsten Gesichtszügen und verliehen ihm gerade darum einen besonderen Ausdruck. Er war nicht im klassischen Sinne schön, sondern stach aufgrund einzigartiger Merkmale aus der Masse heraus. Die meisten Modelagenturen hätten ihn mit offenen Armen empfangen.

Als sich die Teller langsam leerten, wurde ich wieder redseliger. “Wohnst du eigentlich alleine?”, fragte ich ihn ganz ohne Hintergedanken.

“Ja. Für mehr als eine Person ist kein Platz in meiner Wohnung”, antwortete Kyle. Dann schob er seinen Teller beiseite und beugte sich ein wenig vor. “Wieso willst du das wissen?”

“Nur so.", entgegnete ich schulterzuckend. "Ich dachte, du hast vielleicht eine Freundin.”

“Da hast du falsch gedacht”, sagte Kyle und ließ mich dabei nicht aus den Augen. “Ich schätze mal, dass du auch single bist?”

Ich nickte. “Seit ich denken kann.”

“Dabei müssten die Frauen doch bei dir Schlange stehen. Du bist jung, reich und aus gutem Hause.”

“Ja, ich bin der lebende Traum aller Schwiegermütter. Du glaubst gar nicht, wie viele ältere Damen mir schon ihre Töchter andrehen wollten. Bei jeder Feier war es das Gleiche. Mir wurde ein Mädchen nach dem anderen vorgestellt. Ich musste unzählige Hände schütteln, wurde ständig zum Tanz aufgefordert und habe dennoch niemanden in Erinnerung behalten. Mit 16 habe ich mich dann erstmals geweigert, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen.”

“Du kannst tanzen?” Kyle's Interesse wuchs.

“Nur ein paar Standardtänze. Was man halt so braucht. Um ehrlich zu sein, bin ich nicht besonders gut. Mir fehlt es da eindeutig an Talent.”

“Ich kann mir das kaum vorstellen. Dich auf der Tanzfläche, das würde ich gerne einmal sehen.”

“Wirst du nicht. Wie gesagt, weigere ich mich seit gut drei Jahren solche Veranstaltungen zu besuchen. Sie sind langweilig und anstrengend zugleich."

“Schade. Ich hätte dich sogar freiwillig begleitet und vor den gierigen Schwiegermüttern beschützt.” Kyle lachte auf.

“Meinst du das Ernst?”

“Warum nicht? Ist doch bestimmt spaßig zwischen den ganzen eitlen Snobs. Ich hätte meine helle Freude daran.”

Ich dachte viel zu lange über seine Worte nach. Gemeinsam mit Kyle auf einem Wohltätigkeitsball … Konnte das gut gehen? Wie würden wohl meine Eltern reagieren, wenn ich plötzlich einen Freund mitbrachte, der ganz und gar nicht standesgemäß war? Und mein Bruder erst? Sicher käme er aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Plötzlich reizte es mich, diese Idee in die Wirklichkeit umzusetzen. “Warte kurz”, bat ich Kyle und lief schnell ins Arbeitszimmer, um etwas zu überprüfen.

Im Grunde genommen, verdiente der Raum diese Bezeichnung nicht, denn es wurde noch nie darin gearbeitet. Aber zumindest war er seinem Zweck entsprechend eingerichtet worden. Schnell umrundet  ich den wertvollen Mahagonischreibtisch und öffnete die oberste Schublade des Eckschranks, auf welchem seit jeher ein uraltes Telefon mit Wählscheibe stand. Ich wusste nicht, ob es noch funktionierte oder nur ein dekoratives Objekt war. Zumindest hatte ich es noch nie Klingeln hören.

In der Schublade befand sich mein Kalender. Auch wenn ich an den Veranstaltungen nicht mehr teilnahm, trug ich sie dennoch alle ein, um zu wissen, wo sich meine Verwandten gerade aufhielten. Schnell blätterte ich durch die Seiten auf der Suche nach dem nächsten Termin und wurde auch gleich fündig. Der nächste Wohltätigkeitsball fand am Dienstag, den 27. August statt. Also übermorgen!

Als ich in die Küche zurückkehrte, stellte ich fest, dass Kyle nicht mehr auf seinem Platz saß. Er hatte den Tisch abgeräumt und stand nunmehr hinter der Theke. Zögerlich ging ich auf ihn zu und begann zu sprechen.

“Die nächste Feier ist in zwei Tagen. Am Dienstagabend.”

“Hier in der Nähe?”

“Nein, etwas weiter entfernt. Aber es gibt eine gute Zugverbindung und die Hotelzimmer werden immer im Voraus reserviert”, versuchte ich ihm die Reise schmackhaft zu machen.

Kyle schaute auf. “Ein 5 Sterne Hotel?”

“Ja.” Ich verdrehte die Augen.

“Du bietest mir also an, mit dir zu verreisen? Ich darf dich auf diese Feier begleiten, deine Familie kennenlernen, dich vor nervigen Schwiegermüttern und deren Töchtern beschützen und zum krönenden Abschluss die Nacht mit dir in einem 5 Sterne Hotelzimmer verbringen?”

“In einer Suite.”

“Einer Suite?”

“Ja. Suiten sind größer und …”

“Luxuriöser!”

“Genau.” Unsicherheit machte sich in mir breit.

Kyle's Blick war ausdruckslos, während er über mein Angebot nachdachte. Dann begann er auf einmal zu lächeln und sagte: “Das will ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.”

Erleichtert atmete ich aus. “Bekommst du so kurzfristig frei?”

“Ich denke, das kann ich regeln. Am besten rufe ich gleich bei der Agentur an”

Ich nickte zustimmend. Daraufhin verließ Kyle den Raum.

Wer hätte gedacht, dass sich die Dinge auf diese Weise weiterentwickeln würden? Kyle und ich zusammen auf einem Wohltätigkeitsball? Ich konnte es mir nur schwerlich vorstellen. Doch ich war mir sicher, dass es ein Abenteuer werden würde. Vielleicht sogar das größte Abenteuer meines ganzen bisherigen Lebens!

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