In meinem Haus gab es vier Schlafzimmer. Eins davon benutzte ich, die anderen drei dienten als Gästezimmer. Allerdings wurden die Gästezimmer nur hergerichtet, wenn ich Besuch erwartete. Da dies nicht der Fall gewesen war, konnte ich Kyle unmöglich dort unterbringen. Stattdessen führte ich ihn in mein eigenes Zimmer.
Als ich die Tür öffnete und wir den Raum betraten, wirkte er sichtlich erstaunt. Möglicherweise lag dies an der weißen Wandvertäfelung und dem rosèfarbenen Teppich. Oder am goldenen Kronleuchter und der mit Ornamenten verzierten Decke. Oder war vielleicht doch das majestätische King Size Bett Schuld an seinem Erstaunen? Was auch immer es war, ich war stolz darauf, Kyle beeindruckt zu haben.
"Das Bad befindet sich hinter der linken Tür", teilte ich ihm mit und ging voraus.
Er folgte mir und wirkte beim Anblick des Badezimmers nicht minder überrascht. Dabei war dieses im Vergleich zum restlichen Haus wirklich relativ schlicht. Neben der Regendusche gab es in dem Raum nur eine einfache Eckbadewanne, zwei Waschbecken und eine Toilette, die hinter einer Trennwand verborgen war. Die Fliesen glänzten in einem dunklen Königsblau und die Badematten waren allesamt perlweiß. Lediglich die Armaturen und der Spiegel waren vergoldet.
"Dein Haus ist wirklich imposant", meinte Kyle, nachdem er alles gesehen hatte.
"Müsstest du dergleichen nicht gewohnt sein bei deinem Beruf?"
"Ich bin Vieles gewohnt, aber das hier übertrifft wirklich alles, was ich jemals gesehen habe. Diese Einrichtung erinnert mich an einen Palast. Du stammst nicht zufällig von einem alten Adelsgeschlecht ab?"
"Einige meiner Vorfahren waren adelig. Unter meinen Ahnen gibt es ein paar Grafen und Barone, aber heutzutage benutzen wir keine Titel mehr."
Kyle starrte mich an, als käme ich von einem anderen Stern. Offenbar war diese Aussage ein wenig zu viel für ihn gewesen. Ich wollte nicht, dass er in mir nur meine Herkunft und meinen Reichtum sah. Darum wechselte ich rasch das Thema.
"Im Schubfach befinden sich frische Handtücher. Wenn du willst, kannst du mein Duschgel und meine Zahnpasta benutzen. Zahnbürsten sind in dem Eckschrank neben der Tür. Such dir einfach eine aus", informierte ich ihn. "Brauchst du noch ein Shirt für die Nacht?"
"Nein, danke. Mach dir nur keine Umstände. Ich bin in solchen Dingen recht genügsam."
"Ich will nur, dass du dich wohlfühlst. Eigentlich habe ich auch Gästezimmer, aber da wurden die Betten nicht bezogen und das würde jetzt auch zu lange dauern."
"Ich habe kein Problem damit, mir das Schlafzimmer mit dir zu teilen. Ich glaube, meine gesamte Wohnung ist nicht einmal annähernd so groß wie diese zwei Räume hier", mutmaßte Kyle und ging auf die Dusche zu. Offenbar hatte die LED Beleuchtung sein Interesse geweckt.
"Ich wusste gar nicht, dass es solche kleinen Wohnungen gibt", entgegnete ich verwundert. Gerne hätte ich einmal einen kurzen Blick in seine Privaträume geworfen, aber ich traute mich nicht, ihn darum zu bitten. Sicher hätte er das seltsam gefunden. Ich war ohnehin schon viel zu neugierig ihm gegenüber.
"Woher auch? Ich wette, du residierst ausschließlich in solchen Luxusvillen."
"Nicht nur. Ich habe auch schon in Hotelzimmern übernachtet", verteidigte ich mich.
"5 Sterne Hotels?"
"Ja, aber da waren die Zimmer trotzdem wesentlich kleiner."
Kyle drehte sich wieder zu mir um und lachte auf. "Das hat dich bestimmt maßlos schockiert."
"Gar nicht. Ich fand es nur ein wenig zu eng."
"Du würdest keine drei Tage in meiner Wohnung aushalten"
"So schlimm kann es doch nicht sein", entgegnete ich. Sicher übertrieb er.
"Schlimmer als alles, was du dir vorstellen kannst. Meine Küche besteht aus einer winzigen Theke, einem kleinen Herd, einem uralten Kühlschrank und einer fleckigen Spüle. In meinem Wohnzimmer gibt es nur ein zerschlissenes Sofa und einen Fernseher. Für einen Tisch ist da kein Platz. Mein Badezimmer besitzt weder eine Wanne, noch ein zweites Waschbecken oder irgendwelche Schränke. Ich bin schon froh, dass die Waschmaschine reingepasst hat."
"Und dein Schlafzimmer?"
"Ein schmales Bett, ein Bücherregal und ein Kleiderschrank mit zwei Türen. Das ist alles, was du darin finden kannst."
Seine Antwort bestürzte mich. Wie konnte man nur auf solch engem Raum leben? "Aber deine Wohnung muss doch auch irgendwelche Vorteile bieten, oder?", fragte ich weiter, denn mein Wissensdurst war längst noch nicht gestillt. "Sonst würdest du da wohl kaum leben."
"Die Miete ist billig und vom Balkon aus hat man eine nette Aussicht auf den Spielplatz."
"Und deine Nachbarn? Die sind sicher sehr freundlich?"
"Sie sind vor allem sehr laut. Die Wände sind nicht besonders dick in solchen Häusern. Dir ist es vermutlich nicht bewusst, aber du lebst hier im reinsten Paradies."
"Jedes Paradies hat auch seine Schattenseiten", entgegnete ich. "Das Haus ist schön, aber es ist auch still."
"Magst du die Ruhe denn nicht?"
"Nicht immer. Manchmal fühle ich mich ein wenig einsam hier. So ganz ohne Nachbarn..."
"Vielleicht solltest du hin und wieder mal ein paar Freunde einladen", schlug Kyle vor.
Ich ging nicht näher darauf ein. Er musste nicht unbedingt wissen, dass ich keine Freunde besaß. In meiner Kindheit war ich immer nur von Erwachsenen umgeben gewesen. Ich hatte nie eine einfache Schule besucht. Stattdessen wurde ich von den unterschiedlichsten Privatlehrern unterrichtet. In meiner Freizeit musste ich immer alleine spielen. Die einzige Person, die manchmal ein wenig Zeit mit mir verbracht hatte, war mein Halbbruder Conor gewesen. Allerdings ist dieser 11 Jahre älter als ich und lebte damals die meiste Zeit über in einem Internat.
Bevor Kyle mir noch weitere Vorschläge dieser Art unterbreiten konnte, teilte ich ihm mit, dass er sich ruhig Zeit lassen könne. Anschließend verließ ich das Bad und begab mich ins Ankleidezimmer.
Nachts trug ich nur ein dünnes Seidenhemd. Im Sommer reichte mir das vollkommen aus. Hastig zog ich mich um und lief zurück ins Schlafzimmer. Dort angekommen, hörte ich das leise Rauschen der Dusche. Offenbar würde Kyle noch eine Weile brauchen.
Ich nahm die Tagesdecke ab, faltete die Bettdecke zurück und schüttelte die Kissen auf. Dann machte ich einen kurzen Rundgang durch das Haus, schloss die Haustür ab und schaltete alle Lichter aus.
Meine Zähne putzte ich mir im zweiten Badezimmer, welches sich im Erdgeschoss befand. Hernach ging ich zu Bett. Mittlerweile war es kurz nach Elf. Kyle hielt sich noch immer im Badezimmer auf. Eigentlich wollte ich auf ihn warten, um ihm eine gute Nacht zu wünschen, doch der Schlaf übermannte mich. Es war ein anstrengender und ereignisreicher Tag gewesen und ich fühlte mich zu diesem Zeitpunkt mehr als nur müde. Gähnend drehte ich mich zur Seite und schloss die Augen.
Geraume Zeit später glaubte ich zu spüren, wie sich ein kräftiger Arm um meinen Körper schlang. Doch das hatte ich sicher nur geträumt...
DU LIEST GERADE
Seelenverwandt
RomanceZiellos! Nichts beschreibt mein Leben besser, als dieses eine Wort. Doch dann, in einem einzigen, winzigen Augenblick, begann sich die Welt um mich zu drehen und alles veränderte sich... Der 19 jährige Ayden stellt keine großen Erwartungen an das L...