Gefallen

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Ein süßlicher Duft benebelte meine Sinne. Ich meinte sogar eine feine Zimtnote zu erkennen. Verwundert öffnete ich die Augen und setzte mich auf.

Mein geheimnisvoller Gast war soeben zu mir zurückgekehrt. Mit einem großen, dampfenden Teller in der rechten und einem silbernen Löffel in der linken Hand kam er auf mich zu.

"Was ist das?", fragte ich wenig angetan von dem süßen Geruch.

"Haferflocken mit Kirschen und Zimt."

Angewidert verzog ich den Mund.

"In deiner Küche gibt es nicht sonderlich viele Lebensmittel."

"Die Köchin arbeitet leider nur Wochentags."

Ein kurzes, liebloses Lachen ertönte. "Deine Probleme wöllte ich haben", meinte mein nunmehr offiziell zum Koch degradierter Gast und setzte sich zu mir.

"Muss ich das wirklich essen?", fragte ich, während ich die weiße Pampe auf dem Teller argwöhnisch begutachtete. Weder der Zimt noch die fünf Kirschen in der Mitte verbesserten den sich mir bietenden Anblick.

"Haferflocken sind gesund. Sie enthalten unter anderem wichtige Mineralstoffe."

"Bist du ein Koch?"

"Das verrate ich dir, wenn du endlich mit dem Essen beginnst", erhielt ich zur Antwort. Dabei duldete sein Blick keine Widerrede.

Wenig begeistert nahm ich Teller und Löffel in Empfang und kostete. Es schmeckte definitiv besser als es aussah. Zwar würde es niemals zu einem meiner Leibgerichten gehören, aber zumindest war es genießbar.

Sichtlich zufrieden beobachtete mein mir noch immer völlig unbekannter Gast, wie ich zu essen begann. Er stützte sich mit einem Arm auf der Sofalehne ab, schaute mich direkt an und begann endlich damit, sich vorzustellen: "Mein Name ist Kyle. Ich bin 21 Jahre alt und weder ein Arzt noch ein Koch oder Apotheker. Ich arbeite als Haushüter."

"Bitte, was?" Von diesem Beruf hatte ich noch nie etwas gehört.

"Wohlhabende Hausbesitzer bezahlen mich dafür, dass ich in ihrer Abwesenheit auf ihre Villen aufpasse. Ich öffne die Fenster, gieße die Blumen, kümmere mich um die Tiere, leere die Briefkästen und so weiter und so fort."

"Ich schätze, da hast du hier mehr als genug zu tun. Die meisten Häuser in der Gegend stehen das ganze Jahr über leer", stellte ich fest.

"Das ist meiner Agentur auch aufgefallen. Darum haben wir die Besitzer angeschrieben und ihnen unsere Dienste angeboten. Mit Erfolg."

"Also halte ich dich gerade von deiner Arbeit ab?" Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen und begann schneller zu essen. Doch Kyle hielt mich auf.

"Langsam. Immer mit der Ruhe. Ich habe es heute wirklich nicht eilig. Ich bin nur da, um die Fische der Hellers zu füttern. Die können zur Not auch ein Stündchen länger auf ihre Mahlzeit warten. Niemand wird das überprüfen."

Ich nickte verstehend. Dennoch wollte ich Kyle nicht unnötig lange aufhalten. Er hatte sicherlich Besseres zu tun, als sich um meine Wenigkeit zu kümmern. Vermutlich wartete daheim bereits eine Freundin sehnsüchtig auf seine Rückkehr. Männer wie er waren immer vergeben. Diese Tatsache hatte mich eine Vielzahl an Filmen und Serien gelehrt.

"Wie heißt du eigentlich?", riss mich Kyle nach einem Moment des Schweigens aus meinen Überlegungen.

"Ayden."

"Ein schöner Name. Aber ziemlich ungewöhnlich für jemanden deines Standes. Wohnst du hier alleine, Ayden?"

Ich nickte. "Meine Eltern haben mir das Haus zu meinem 18. Geburtstag geschenkt. Ich lebe seit über einem Jahr hier."

"Und was machst du beruflich? Oder gehst du noch zur Schule?"

"Nein, nichts dergleichen. Ehrlich gesagt, weiß ich noch nicht wirklich, was ich machen will. Vermutlich werde ich in ein paar Jahren einfach die Firma meines Vaters übernehmen. Er produziert Designermöbel. Spezialanfertigungen für Kunden mit besonderen Wünschen."

"Klingt nicht so, als würde dich das sonderlich interessieren?"

"Nicht wirklich, aber es ist der einfachste Weg", sagte ich, aß den letzten Löffel voll Haferbrei und gab Kyle den leeren Teller zurück.

"Der einfachste Weg ist nicht immer der Beste. Es ist dein Leben. Was auch immer du daraus machst, es sollte in erster Linie dich selbst zufrieden stellen."

"Das ist alles nicht so einfach."

"Wegen deiner Eltern?"

"Nein, ganz und gar nicht. Sie würden mich jederzeit unterstützen. Aber es gibt so viele Möglichkeiten und mir ..."

"Und dir stehen alle Türen offen!", vollendete Kyle meinen Satz.

"Und mir ist noch nicht klar, in welche Richtung ich gehen soll, wollte ich sagen."

"Ich bin sicher, du wirst bald etwas finden, was dir gefällt." Kyle wirkte sehr zuversichtlich, doch ich bezweifelte, dass er recht hatte.

Schließlich erhob sich vom Sofa und ging zur Tür. "Ich hab dir noch eine Tasse Tee gekocht", informierte er mich. "Sie sollte mittlerweile abgekühlt sein. Ich bringe sie dir gleich."

Nachdenklich schaute ich ihm hinterher, als er den Raum verließ.

Gefallen ...

Was gefiel mir eigentlich?

Was bereitete mir Vergnügen?

Und was würde mich auch langfristig glücklich machen?

Ich fand keine Antwort auf diese Fragen.

Im Grunde genommen, tat ich den lieben langen Tag nichts Produktives. Gelegentlich las ich ein Buch, sah mir des Öfteren schöne Filme an, ging hin und wieder einmal spazieren oder besuchte meine Eltern, wenn sie denn im Lande waren. All diese Dinge machten mir Spaß, doch sie bereicherten mein Leben nicht.

Ich stand still. Inmitten von Reichtum und Macht. Ein Tag war wie der Andere. Sie alle waren nett, frei von Hindernissen und Problemen, führten allerdings allesamt ins Leere.

Was wollte ich eigentlich erreichen? Welche Ziele strebte ich an? Besaß ich überhaupt irgendein Ziel?

Ich hatte keine Wünsche, hatte keine Träume. Es verlangte mir nach nichts, denn ich besaß doch bereits alles. Oder?

In diesem Augenblick kam Kyle zurück. Er lächelte mir aufmunternd zu und reichte mir sogleich eine dampfende Tasse Tee. Dankbar nahm ich sie entgegen und kostete einen Schluck. Sofort breitete sich der saure Geschmack von heißer Zitrone in meinem Mund aus. Offenbar war der Tee nicht gesüßt.

"Fühlst du dich jetzt besser?", fragte mich Kyle noch immer milde lächelnd.

"Ja, ein wenig. Vielen Dank für deine Hilfe."

"Keine Ursache. Brauchst du noch irgendwas?"

Verneinend schüttelte ich den Kopf, was mir erstaunlicherweise sogar gelang, ohne mich mit dem heißen Zitronentee zu bekleckern.

"Dann werde ich dich jetzt verlassen. Aber nicht für lange. In spätestens zwei Stunden komme ich zurück und sehe noch einmal nach dir. Ruh dich solange aus und vergiss nicht ausreichend zu trinken."

Seine Hand streifte mein Haar, doch ehe ich die Berührung wirklich realisieren konnte, war sie auch schon wieder vorbei. "Bis später", verabschiedete sich Kyle, winkte mir an der Wohnzimmertür noch einmal kurz zu und verschwand. Wenige Minuten später vernahm ich das tiefe Brummen eines Motors, erst lauter, dann immer leiser werdend, bis es schließlich in der Ferne verstummte. Er war fort! Doch ich war mir sicher, dass er sein Versprechen halten und alsbald wiederkommen würde.

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt