Abend

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Der Sonntagabend verlief mehr oder weniger ereignislos. Nach einer Stunde der Untätigkeit besserte sich meine Laune wieder. Ich fühlte mich zwar immer noch niedergeschlagen, hatte aber genug Energie, um mich aufzuraffen und den Keller wieder zu verlassen.

Hoffnungsvoll schaute ich auf mein Handy, entdeckte jedoch nur eine kurze Nachricht von Olga: “Deine Mutter hat mich gerade angerufen. Ich werde morgen vorbeikommen, um alles in die Wege zu leiten.”

Ich bedankte mich nur kurz bei ihr. Olga war eine der Sekretärinnen meiner Mutter. Sie arbeitete schon viele Jahre für unsere Familie und hatte währenddessen mehrmals ihre Loyalität und Zuverlässigkeit bewiesen. Zu Beginn wollte Mama sie nicht einstellen, denn Olga hatte optisch einiges zu bieten. Ihr Haar war sehr lang, ihre Oberweite sehr groß, ihre Taille sehr schmal und ihre Röcke oftmals viel zu kurz. Doch im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen hatte sie niemals den Versuch unternommen, meinen Vater zu verführen und das rechnete ihr jeder in dieser Familie hoch an. Eine Chance hätte sie bei ihm ohnehin nicht gehabt, denn er liebte Mama über alles.

Seit 20 Jahren waren meine Eltern miteinander verheiratet und sie führten noch immer eine perfekte, skandalfreie Ehe. Auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren und sich gerne einmal zankten, würden sie einander niemals verlassen.

Punk um Sieben bereitete ich mein Abendessen zu. Ich aß nur eine Kleinigkeit, denn ich war nicht sehr hungrig. Anschließend schaute ich zwei Folgen einer Krimiserie an, konnte mich aber kaum auf die Handlung konzentrieren, da mein Blick immer wieder zu meinem Handy wanderte.

Wann machte er wohl normalerweise Feierabend? Musste man als Haushüter wirklich so lange arbeiten? Oder hatte er bereits damit aufgehört und tat gerade etwas völlig anderes? Womöglich traf er sich mit jemandem. Einer Freundin vielleicht? Allerdings hatte er mir gegenüber behauptet, dass er nicht in einer festen Beziehung wäre. Natürlich könnte das auch eine Lüge gewesen sein. Ahnte er möglicherweise etwas von meinen Gefühlen? Hatte ich mich zu auffällig verhalten? Ich hatte ihn schon des Öfteren angestarrt. Und ihm viele Fragen gestellt. Sehr viele Fragen …

Frustriert raufte ich mir die Haare. Bestimmt wirkte ich auf ihn wie ein naiver Junge, der zum ersten Mal verliebt war. Was ja auch den Tatsachen entsprach. Aber das musste Kyle nicht unbedingt wissen.

Er wirkte sehr erfahren. Sicher hatte er schon einige Beziehungen hinter sich und würde nicht lange allein bleiben. Wobei… Nur weil er nicht in festen Händen war, musste er die Nächte nicht alleine verbringen. Vielleicht war er einfach nicht der Typ für Beziehungen und vergnügte sich stattdessen anderweitig.

Hastig schüttelte ich den Kopf. Das wollte ich mir jetzt lieber nicht  genauer vorstellen. Bevor mein Gehirn sich noch weitere Horrorszenarien dieser Art ausdenken konnte, schaltete ich lieber den Fernseher aus, ging nach oben und machte mich bettfertig.

Als ich das Badezimmer verließ, erwartete mich noch immer keine Nachricht von Kyle. Es gab nicht das geringste Lebenszeichen von ihm. Dabei hatte er doch versprochen, mich anzurufen. Ich erinnerte mich zwar nicht mehr an den genauen Wortlaut, doch ich war mir sicher, dass er heute gesagt hatte. Es waren nur noch anderthalb Stunden bis Mitternacht. Hatte er mich etwa vergessen?

Um mir die Zeit zu vertreiben, öffnete ich die Nachttischschublade und holte mein aktuelles Buch hervor. Es handelte sich um eine Sammlung von Kurzgeschichten. Das Buch konnte mich glücklicherweise deutlich mehr ablenken als der Fernseher. Ich las solange, bis mir die Augen zufielen und ich in einen leichten Schlaf abdriftete.

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Deep inside
time filled with sadness
I cannot break silence of your heart
time filled with sadness
Whatever!
I cannot break silence of your heart[/align]

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