Leer

34 2 0
                                    


Am Donnerstag flog Mathias nach Dänemark. Abends beim Training schlug Kati vor: „Wollen wir nicht ein bisschen durch die Gegend ziehen morgen?" „Ich weiß ja nicht.... Da passieren immer so komische Sachen" grinste ich sie an. „Ach Quark, diesmal lasse ich Dich einfach nicht aus den Augen." „Also gut. Ich fahre ja erst am Sonntag nach München. Da können wir morgen ruhig nochmal losziehen." „Supi!!!"

Als ich dann am Freitag spät nach Hause kam, schrieb ich noch an Mathias: „Hey Mathias...." Und es kam keine Antwort. Also schickte ich einfach noch ein bisschen mehr „Stell Dir vor, ich war mit Kati aus..... und es war super, ohne irgendwelche Aufregung! Melde mich morgen nach unserem Spiel. Vermisse Dich...."

Am Samstag hatte er die Nachricht wohl gelesen, schrieb aber nichts zurück. Ich fing an mich ein bisschen zu wundern. Unser Spiel lief ok. Keine Glanzleistung, aber der nächste Sieg war unter Dach und Fach. Nach dem Spiel unterhielt ich mich noch mit Kati: „Bisschen komisch ist das schon.... Mathias meldet sich nicht." „Wie? Ich meine, ich weiß, dass ihr keine Romane schreibt, aber ein bisschen textet er doch sonst schon, oder?" „Ja... ich weiß jetzt ja auch nicht, was ich davon zu halten habe." „Er ist doch zu Hause, oder?" „Am Freitag hatte er noch einen Pressetermin für die Stiftung, bei der er Botschafter ist, aber danach wollte er zu seinen Eltern." „Vielleicht gibt es da ja ein Funkloch...." „Ich mache mir schon ein bisschen Sorgen....." „Frag' doch mal bei Lasse.... Vielleicht weiß der ja was." „Also wenn er sich morgen nicht gemeldet hat, dann mache ich das auch. Aber jetzt muss ich nach Hause... muss noch packen. Ich fahre ja schon morgen früh los." „Kätzchen, ich wünsche Dir eine ganz tolle Woche in München..." „Ich bin ja ein bisschen außerhalb untergebracht und nehme meine Joggingklamotten mit. Da kann ich wenigstens laufen... Ich glaube nicht, dass ich viel von München sehe. Die Systemumstellung wird sicher ganz schön anstrengend." „Meld' Dich, wenn Du quatschen willst, ok?" „Klar... mache ich. Wir sehen uns dann nächsten Sonntag zum Spiel." „Bleib sauber Kätzchen!"

Ich schrieb zu Hause nochmal an Mathias: „Hey Mathias... wir haben die nächsten Punkte eingefahren.... Mehr gibt's am Telefon.... Vermisse Dich." Gelesen.... Aber keine Antwort.

Als ich am Sonntag in der Bahn saß, überlegte ich gerade Lasse anzurufen, da bekam ich eine Nachricht....

Von Mathias: „Hallo Jan, ich wollte Dir nur mitteilen, dass ich wieder mit Mette zusammen bin. Alles Gute für Dich, Mathias." Mein Herz blieb stehen. Ungläubig starrte ich auf mein Handy. Nein, nein, nein.... Das kann doch gar nicht sein....Das ist nicht wahr.... Dann kam noch ein Bild.... Und das zeigte ihn und Mette zusammen, nebeneinander und er trug seine Schiene an der Hand. Ich schaute minutenlang auf das Bild. Dann versuchte ich ihn anzurufen. Er ging nicht ans Telefon. Stattdessen erhielt ich erneut eine Nachricht: „Ruf mich nicht mehr an".

Und alles in mir zerbrach....

Ich kam im Hotel an und wie in Trance zog ich meine Joggingklamotten an und ging laufen. Es gab eine Runde von ungefähr einer Stunde.... Die lief ich 3x. Und ich fühlte.... Nichts..... Abendessen fiel aus, kein Hunger. Ich schaute auf mein Handy.... Nichts. Außer diesem blöden Bild. Ich warf mein Handy an die Wand. Mindestens das Display war hinüber.... Scheißegal.... Von der Arbeit habe ich noch ein Firmenhandy.

Montagmorgen schaute ich in den Spiegel und fand mich nicht..... Ich zwang mich zum Frühstück. Ich hatte schließlich zu arbeiten! Und ich war für jede Sekunde froh, die ich arbeiten konnte. Dann brauchte ich wenigstens nicht nachzudenken. Am Abend ging ich wieder laufen. Und ich fühlte.... Nichts. Die Woche verlief immer nach demselben Schema. Aufstehen, Arbeiten, Laufen.

Am Samstag gegen Abend war ich wieder zurück in Berlin. Es klingelte zwar noch bei mir, aber ich ignorierte das einfach. Ich suchte mich immer noch und fand.... Nichts. Alles in mir war leer.

Am Sonntag stand ich wieder vor dem Spiegel. Ich sah die Drachen an meinen Ohrläppchen. Ich zog sie aus und wollte sie schon in den Mülleimer schmeißen. Ich hörte Mathias Stimme in meinem Kopf „damit du hast Erinnerung an mich". Ich sollte sie an Mette schicken, dachte ich wütend. Und damit fand ich dann endlich einen winzig kleinen Funken von mir. Und das, was mir die ganze Woche nicht gelungen war, bahnte sich seinen Weg. Ich fing hemmungslos an zu weinen.

Es war mir in meinem ganzen Leben noch nie so schwergefallen, mich für ein Spiel fertigzumachen. Ich versuchte nochmal mein Spiegelbild anzugrinsen.... Vollkommen verquollene Augen, tiefe Schatten unter den Augen, blaß und etwas ausgezehrt. Wer war das im Spiegel eigentlich? Aber es half ja nicht. Ich hatte meine Mannschaft und ich konnte und wollte sie nicht im Stich lassen.

Als Kati mich sah, entfuhr es ihr: „Mein Gott, Kätzchen.... Wie siehst Du denn aus? Soviel zu arbeiten, gehört verboten." „Hör zu Kati, ich sage das jetzt nur einmal und dann möchte ich nicht mehr darüber sprechen! Mathias hat Schluß gemacht und ist wieder mit Mette zusammen. Das war's!" „Ja, aber... wie?... wann?" „Was an ‚ich möchte nicht darüber sprechen' hast Du nicht verstanden?" fauchte ich sie an und ließ sie einfach stehen.

Das mit dem Handballspielen funktionierte auch nicht wirklich. Das erste Mal seit Sina weg war, spielte ich nicht durch. Micha wechselte mich schon nach 10 Minuten aus. „Jan... was ist los?" „Nichts Micha, ich hatte eine anstrengende Woche.... Sorry... ist wohl nicht mein Tag!" „Kein Problem, wir haben ja schließlich noch mehr Spielerinnen, die es richten können. Willst Du nochmal rein?" „Nur, wenn es sein muss und jemand dringend Pause braucht." Musste nicht sein.... Auch gut....

Ohne zu Duschen wollte ich mich ganz schnell verdrücken. Aber natürlich hatte ich die Rechnung ohne Kati gemacht. „Jan.... lauf' nicht davon!" „Kati, ich habe keinen Bock zu reden, ok?" „So geht das nicht Kätzchen! Was um alles in der Welt ist passiert?" Ich gab ihr einfach keine Antwort. „Hör mal, ich habe versucht, Dich die ganze Woche zu erreichen...und nicht nur ich." „Mein Handy ist kaputt gegangen.... So wie mein Herz.... Kati, ich brauche noch ein bisschen Zeit! Ich kann und will noch nicht reden, ok?" „Aber...." „Kati, bitte.... Ich kann nicht.... ich muss mich erst wiederfinden..." und mit Tränen in den Augen wandte ich mich ab und ging.

Zu Hause feuerte ich meine Sporttasche in die Ecke und heulte eine gefühlte Ewigkeit. Dann ging ich erstmal duschen. Ich hörte die Türklingel zwar, aber ich wollte ja sowieso niemanden sehen. Im Badezimmer sah ich die Ohrstecker wieder. Aber diesmal blieben die Tränen aus. Vorsichtig, als könnte ich mich an ihnen verletzen, packte ich sie in eine Schachtel. Und dann verstaute ich die Schachtel in meine „Erinnerungskiste", in der ich auch die wenigen Sachen aufbewahrte, die ich von meiner Mutter behalten hatte. Und in diesem Moment wusste ich, morgen ist ein neuer Tag. Er wird schwer und es wird mich noch viel Zeit kosten, wieder ich zu werden: aber sterben werde ich auch nicht daran!


Handball im Herzen (Mathias Gidsel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt