Die Schichten von weißen Stoffen fühlten sich fremd auf seiner Haut an. Das Gewicht hing an seinen Schultern, zerrte die Arme Richtung Boden. Seine Hände verschwanden in viel zu weiten und unpraktischen Ärmeln gleichermaßen wie sein gesamter Körper in den Massen von Seide. Yao stellte sich auf Zehenspitzen, zupfte den Stoff an Luciels Schultern nach einer ihm unbekannten Ordnung zurecht, während er sie im Spiegel dabei beobachtete. Wie kleine Insekten flogen ihre Finger über Knicke im Gewand und besserten sie aus.
„Seid Ihr aufgeregt, Eure Hoheit?"
Sein Blick entwich Richtung Fenster. Eine Gruppe von Wachen hatte sich vor dem Eingang zur Sternenhalle versammelt. Sofort glitt ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Nein. Sie waren nicht hier, um ihn zu verhaften. Sicherlich nicht. Unruhe ballte sich in seiner Brust.
„Sollte ich es denn sein?"
Während sie eine weitere Falte ausbesserte, streifte Yao kurz seinen Nacken. Er zuckte zusammen. Dass ihre Hände einer Messerklinge ähnlich kalt waren, half seinem heranreifenden Verfolgungswahn nicht im Geringsten. Hapidea konnte die Nachricht nicht gelesen haben, oder? Die Zofe sprach mit Luciel, als hätte sie ihm nicht noch vor einigen Stunden den größten Beweis entnommen, der ihn als Spion entlarven könnte. Doch wie sollten sie ohne seine Kräfte an die Nachricht gekommen sein? Seine Sorgen waren offensichtlich selbstgemachter Natur!
„Unsere Meisterin kann es kaum abwarten. Seit Tagen spricht sie über nichts anderes!"
So wie Yao es darstellte, klang diese Ehe für Vinadea nicht wie ein Zwang, sondern eher eine Wahl. Wer war diese Frau, dass sie ihn (einen Fremden) scheinbar willentlich heiraten wollte?
„Wir sind fertig. Seid Ihr bereit?", verkündete Yao.
War er das? War er denn jemals wahrlich bereit gewesen? Ein neuer Schaudern erfasste ihn und jede Spur von Hunger (das Frühstück musste ausgelassen werden) verließ ihn augenblicklich. Das Hochzeitsgewand erstickte ihn, zerdrückte seine Brust und auch, als er nur zögerlich nickte, der jungen Dienerin nach draußen an die Luft folgte und versuchte, tief durchzuatmen, musste er feststellen, dass diese lästige Aufregung keineswegs weichen wollte. Sein Blick klebte am Boden, während sie die Gruppe von Wachen passierten. Ein Dutzend Augen brannten in seinem Nacken, ließen die Hitze in sein Gesicht aufsteigen. Das Licht der Sonne, Wärme und Glückseligkeit versprechend, brachten die polierten Klingen ihrer Waffen zum Glänzen. Stünde nicht die Gefahr im Raum, dass Luciel jederzeit einer dieser Säbel, Speere oder Schwerter gegen die Kehle gedrückt bekommen könnte, hätte er sogar gerne hier verweilt. Luciels Feuerkräfte mochten zwar mangelhaft sein, doch dafür beherrschte er die Schwertkunst wie kein anderer. Aber nicht heute. Heute musste er heiraten.
„Wofür sind die Wachen hier?"
Ein wenig später, außerhalb der Mauern – erst dann traute Luciel sich, diese Frage zu stellen. Für ihn waren sie offenbar nicht gekommen, sonst wäre er bereits verhaftet worden. Der eiserne Griff um sein Herz lockerte sich.
„Wovon sprecht Ihr?" Verwundert blieb Yao stehen, linste um die Ecke der Mauer und sah den Wachen nach, als würde sie ihre Anwesenheit erst durch Luciels Hinweis bemerken. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, nahm seine erschöpfte und wohlmöglich auch leicht zitternde Form ein und verdrehte in einem scheinbar unbeobachteten Moment die Augen. Doch der Prinz hatte es gesehen, "Da ist niemand, Eure Hoheit."
Das Gewicht dieser Worte peitschte ihm entgegen. Der Boden knirschte unter den Fußsohlen, als er abrupt stehen blieb und ein letztes Mal nach hinten sah. Wo er die Kämpfer erwartete, empfing ihn lediglich gähnende Leere im Vorgarten der Sternenhalle. Das aufbauende Donnern in seiner Brust übertönte sogar seine schwere Atmung. Er hatte es doch genau gesehen! Keine Spuren auf dem Boden, nicht einmal abgeknickte Grashalme auf der Wiese. Als wären sie in der Luft verschwunden! Luciel rieb sich die Augen, vermochte nicht zu verstehen, was sich ihm offenbarte. War es nun so weit gekommen? Hatte der Wahnsinn nun endlich Besitz von seinem schwachen Verstand ergriffen? War es der Schlafmangel? Die Luft? Ist es Hapidea doch gelungen, ihn zu vergiften?
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Götterparabeln I: Himmelserklimmer
FantasyKönigsstürzer. Vatermörder. Himmelserklimmer. Luciel hinterfragt nicht. Er dient seinem Sonnengott gewissenhaft, auch wenn er nicht versteht, warum alle anderen Götter verboten sind. Er vertraut seiner Familie, reist ins Exil und heiratet die sch...