Kapitel Einunddreißig

3 2 0
                                    

Ein Zug, ein einzelner bedachter Befehl, entschied über Leben oder Tod.

Entschied über Zerstörung oder Frieden.

Über den Fall von Nationen.

Für die Mächtigen dieser Welt war es nicht mehr als ein Spiel. Ein Zeitvertreib. Eine Beschäftigung. Eine Ablenkung. Mit dem Leben anderer als Einsatz. Als wären sie die Götter selbst bestimmten sie über das Schicksal des Kontinents – getrieben nicht durch Edelmut oder Wohlwollen, sondern durch verdorbene Seelen und Köpfe voller Gier. Dreist waren sie, griffen nach der Sonne, dürsteten nach Kraft, die nicht ihre war. Ihre Herzen waren leer und so glaubten sie, nur mehr mehr mehr könnte die klaffenden Löcher in ihren Brüsten füllen. Mehr Tote. Mehr Macht. Mehr Ländereien. Mehr Steuern. Mehr Waffen. Mehr Untertanen. Mehr Schätze, entrissen den leblosen Händen der Unschuldigen. Einfach mehr! Mehr! Mehr! Bis der Hunger gestillt war und das Spiel von Neuem beginnen konnte.

Luciel rieb sich die Nase.

Ihre Fäule stank.

„Am besten teilen wir uns auf die Nachbarstaaten auf."

Luciel hatte längst aufgehört, den Worten der Minister zu lauschen. Wie leichtfertig sie einen Krieg planten, verdrehte ihm den Magen. Shiloh zeigte auf die Karte in der Mitte des Tisches, Millionen Augenpaare folgten ihrer Bewegung. Mit einem Stab schob sie die Figuren auf dem Kontinent umher.

Drei Farben für drei Armeen.

Phobos. Deimos. Shiloh.

„Militärische Stützpunkte und große Städte sollten wir meiden. Dörfer und kleine Ortschaften sind leichter einzunehmen", warf Deimos ein und setzte seine Figuren auf verindae'sche Siedlungen, "Von dort aus können wir uns zu Festungen und Knotenpunkten vorkämpfen."

Geschwächt vom Hunger, die Steuern meist zu hoch, um Geld für Söldner zum Schutz anzustellen. Selbstverständlich waren diese Orte leichter einzunehmen. Die Wahrheit schmeckte wie Galle auf seiner Zunge; bitter und eklig.

„Wenn wir uns von den Stützpunkten fernhalten und sichergehen, dass niemand flieht, um den Angriff kundzugeben, können wir so spät wie möglich Gegenwehr erwarten. Mit Aurins Unterstützung sollten wir die Hauptstadt innerhalb einiger Wochen erreicht haben."

Wie makellos seine Brüder ihre Rollen spielten! Es war erschreckend. Beinahe könnten sie selbst Luciel täuschen. Die Masken der Generäle fest im Gesicht, tauschten sie sich mit den Ministern aus, teilten ihre Pläne mit dem König, der direkt neben Luciel saß und gespannt zuhörte.

„Wozu brauchen wir Aurins Unterstützung? Was kann der Inselstaat schon bieten?", rief eine Ministerin (Luciel kannte weder Name noch Position von irgendwem) durch den Raum.

Ihr kratzige Stimme hallte am Gewölbe ab. Rauch stieg von ihrer Pfeife auf. Mägdekammer? Nein. Sittenbüro? Nein. Rasch gab er auf. Wäre er kein Prinz, so würden sie seinen Namen ebenfalls nicht kennen. Nicht, dass ein Zimmer voller zukünftiger Mörder Respekt verdient hätte. Sie waren gleichermaßen Spielfiguren wie die Steine auf der Karte vor ihm – austauschbar. Hatten sie ihren Zweck erfüllt, würde der König nicht lange zögern, sie von sich zu streifen.

„Was ist die Loyalität der Heiden wert?", fragte wer anders.

Ihre Gesichter verschmolzen zu einer einzigen hässlichen Fratze – Macht erstrebend, Fangzähne fletschend, Blut dürstend, Angst schürend, Albträume nährend.

„Die Einnahme von Aurin hat keiner unserer Soldaten überlebt. Das ist ein Fakt, den es anzuerkennen gilt." Phobos' tiefe Stimme donnerte über die rege Diskussion hinweg, forderte Bühne für seine Worte, "Einige sagen, Hapidea von Aurin hätte sie allein getötet. Andere behaupten, er besäße eine eigene Armee. Nur er kennt die Wahrheit."

Götterparabeln I: HimmelserklimmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt