Kapitel Zweiundzwanzig

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Zwei Pferde preschten voran durch das zephyrische Königreich, zogen eine schwarze Kutsche mit ihren Schatten. Durch Dörfer, Wälder und über Ländereien hinweg galoppierten sie auf Blütenblätter bestreuten Wegen begleitet von Lobgesängen und Jubelrufen. Verbreitet die Kunde, unsere Hoheiten sind zurückgekehrt! Aurin ist gefallen! Abryss sei Dank! Am Ende des Tages siegt das Gute!

Die Stimmen kamen von überall; Der Wind trog ihre Hymnen vom Säuseln der Baumkronen, sammelte sie aus dem Inneren der Häuser und kratzte sie von den Straßen auf, um sie den Passagieren der Kutsche darzubringen. Vina starrte wortlos aus dem Fenster, ihr Ausdruck zur Gleichgültigkeit trainiert, doch die eisige Kälte, die sie versprühte, war schwer zu ignorieren. Nicht einmal Deimos, der mit einem schlechten Scherz auf den Lippen geboren war, fand es in sich, die Stille zu unterbrechen. War die Kutsche schon immer so eng gewesen?

„Vina, lass es mich erklären. Ich-", bat er zum wohl tausendsten Mal.

Zögerlich griff er nach ihrer Hand, doch hielt sich auf halbem Wege wieder auf. Die Kutsche passierte einen Torbogen. Wachen am Zaun verbeugten sich tief. Der Palast war nicht mehr fern.

„Kannst du Hapis Sicherheit garantieren?", unterbrach sie.

Vina fixierte Luciel mit ihrem Blick. Ist Hapi noch auf Aurin? Geht es ihm gut? Warum ist er nicht mit uns gekommen? Wird er uns folgen? War er wohlauf? Wenigstens am Leben? Ihre Augen verzogen sich mit Gewitterwolken. Jede von ihnen schwer mit Sorgen um ihren Bruder. Luciel seufzte schwer und nickte, bejahte alle ihrer Fragen. Entgegen seiner Vermutung wusste sie wohl nichts von seiner wahren Identität. Die Liste ihrer Verräter wuchs mit jedem Sonnenaufgang. Luciel war Vina wichtig, gewiss, doch wie würde sie dann Hapis Lügen verkraften? Welches Verhältnis brachte ihre Schicksale zusammen?

„Dann wünsche ich keine Erklärung."

Phobos und Deimos betrachteten die vorbeiziehende Landschaft, die immer gepflegter wurde, je näher sie dem Palast kamen. Auch wenn sie es sich nicht anmerken ließen, es fiel ihnen wohl schwer, dieser Unterhaltung zwischen Eheleuten beizuwohnen. Selbst Luciel fühlte sich wie ein Fremder, trotz dass all seine geliebten Menschen ihn umgaben.

„Das kannst du wahrlich so nicht meinen...", murmelte Luciel enttäuscht und griff nun tatsächlich nach ihrer Hand, "Gedenkst du mich nicht wenigstens zu beschimpfen?"

Zu treten? Zu schlagen? Er würde alle ihrer Strafen entgegennehmen! Wie gerne er die giftigen Flüche von eben diesen Lippen ertragen würde, die er am Morgen erst geküsst hatte. Alle Strafen dieser Welt hatte er verdient!

Phobos, der neben Vina saß, räusperte sich und fing unauffällig den Blick seines Zwillings. Es musste ein köstliches Theater sein, wie Luciel mit den Konsequenzen seiner eigenen Torheit kämpfte!

„Bei Deas Sternenhimmel!", entgegnete seine Frau und entzog grob ihre Finger seines Griffes, "Meine Heimat ist zerstört, mein Bruder wird vermisst, ich wurde von dir belogen und du beschwerst dich, dass ich kein Gespräch mit dir führen will?"

Deimos hatte die höfischen Manieren endgültig aufgegeben. Seine Finger spielten mit den Goldornamenten, die seine Ohren zierten, und beobachtete den Streit mit regem Interesse. Auch Phobos presste die Lippen fest aufeinander und schenkte dem Schlossgraben plötzlich mehr Aufmerksamkeit als er es zuvor in seinem Leben je getan hatte. Seht ihr die Enten dort unten? Und sind das Wildgänse dort drüben? Sag, Deimos, wusstest du davon?

„Du hast Recht, bitte vergib mir."

Die Pferde hielten an und die Kutsche kam abrupt zum Stehen. Kaum hatte der Kutscher die Tür geöffnet, überstürzten sich die Zwillinge beinahe bei dem verzweifelten Versuch, der Szene zu entfliehen. Doch weit streunten sie nicht von den anderen. Es könnte ja noch zum Eklat kommen! Deimos konnte es kaum erwarten, auch wenn ihn der Funken eines schlechten Gewissens plagte. Doch als Vina sich ein letztes Mal an seinen jüngsten Bruder wandte, verging auch dies.

Götterparabeln I: HimmelserklimmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt